Wenn die Mehrheit der 463.000 SPD-Mitglieder zwischen dem 20. Februar und dem 2. März für den von CDU/CSU und SPD ausgehandelten Koalitionsvertrag stimmt, wird es zu einer Neuauflage der Großen Koaltion kommen.
Wenn auch noch nicht alle Ressortbesetzungen feststehen, stehen die politischen Weichenstellungen mit dem 128 Seiten starken Koalitionsvertrag, der mehr Dynamik, Aufbruch und Zusammenhalt in Deutschland und in Europa verspricht, jetzt fest.
So plant die alte und neue Regierungskoalition unter anderem eine Begrenzung der sachgrundlosen Befristung von Arbeitsplätzen, einen höheren Sprechstundenanteil für gesetzlich versicherte Patienten, eine Erhöhung des Kindergeldes und der Mütterrente, die Einführung eines Baukindergeldes, die Rückehr zur paritöätischen Krankenversicherungsfinanzieru ng durch Arbeitgeber und Arbeitnehmer sowie die Bekämpfung des Ärztemangels in ländlichen und strukturschwachen Regionen.
Außerdem wollen die Koalitionäre in spe mehr Steuergeld in die Hand nehmen, um die Kinderarmut stärker zu bekämpfen, mehr Sozialwohnungen zu bauen, die berufliche Bildung und die Verkehrsinfrastruktur zu stärken und um den Verteidigungshaushalt, wie von der Nato gefordert, aufzustocken. Gleichzeitig sollen die Steuerzahler durch eine Reduzierung des Solidaritätszuschlages entlastet werden.
Wie sehen die katholischen Sozial- und Wirtschaftsverbände den Koalitionsvertrag? Der Bundesvorsitzende der Katholischen Arbeitnehmerbewegung, Andreas Luttmer-Bensmann, lobt Union und SPD dafür, dass der Koalitionsvertrag wichtige Fragen, wie Digitalisierung, Rente, Pflege, Arbeit, Flucht und Integration aufgreift." Beim Umwelt- und Klimaschutz agieren die Union und SPD aus seiner Sicht zu halbherzig, um Fortschritte auch beim fairen Wirtschaften und bei der Schaffung globaler Gerechtigkeit erreichen zu können.
Für die KAB geht außerdem darum. ein Rentensystem zu schaffen, das "gerecht, verlässlich und armutsvermeidend“ wirkt. Deshalb bietet Luttmer-Besmann der von den Koalitionären geplanten Kommission „Verlässlicher Generationenvertrag“ die Mitarbeit seines Verbandes an.
Er begrüßt die anvisierte Begrenzung der befristeten Arbeitsverhältnisse und die Rückkehr zur paritätischen Finanzierung der Krankenversicherung. Auch die angestrebten Lohnerhöhungen für Pflgekräfte und eine damit einher gehende Verbesserung ihrer Arbeitsbedingungen sind sind aus seiner Sicht überfällig.
Der Chef des Bundesverbandes der Katholischen Unternehmer, Ulrich Hemel, unterstreicht: „Der Koalitionsvertrag enthält gute Einzelheiten, aber seine Perspektive ist nicht die der Zukunft und nicht die der jungen Generation. Die steuerlich gute Situation wird nicht zur Entlastung der Bürger genutzt, sondern in die Aufrechterhaltung einer hohen Steuerquote investiert. Dort wo es um steuerliche Entlastung geht wie etwa beim Solidaritätszuschlag, kommen diese spät und halbherzig, obwohl sie schon lange zugesagt waren und fiskalisch möglich sind. Im Grunde ist die einseitige Aufrechterhaltung einer hohen Staatsquote ein Verstoß gegen das Prinzip richtig verstandener Subsidiarität, so wie diese von der Christlichen Soziallehre gefordert wird."
Die katholischen Unternehmer vermissen eine steuerliche Entlastung von Forschung und Entwicklung, aber auch einen verlässlichen Rahmen für einen Umgang mit dem sich abzeichnenden Klimawandel. Hier fehlt ihnen eine Selbstverpflichtung der öffentlichen Hand
Der BKU kritisiert eine überproportionale Belastung der Unternehmen. Durch die Rückkehr zur Parität bei der Krankenversicherung rechnet er mit Kosten von 5 Milliraden Euro und weist darauf hin, dass die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall schon heute zur Folge habe, dass Unternehmen mehr als die Hälfte der Gesamtkosten für die Absicherung im Krankheitsfall zahlen. "Dies betrifft kleinere und mittlere Unternehmen überproportional", sagt Hemel und kritisiert, "dass die Erweiterung der Mütterrente zu Lasten der jüngeren Generation geht, weil die dafür nötigen 3 bis 4 Milliarden Euro pro Jahr müssen von den heute Erwerbstätigen aufgebracht werden müssen."
Darin sieht der BKU einen Verstoß gegen das Solidaritätsprinzip der christlichen Soziallehre. Außdrücklich begrüßt der katholische Unternehmerverband dagegen das im Koalitionsvertrag enthaltene Bekenntnis zu vertiefter europäischer Zusammenarbeit, zu einem freien Welthandel, zur Stärkung der dualen beruflichen Aus- und Weiterbildung sowie zu einem Lohnkostenzuschuss, der die Wiedereingliederung von Langzeitarbeitslosen in den Arbeitsmarkt erleichtern soll.
Das sich der Bundesverband der Katholiken in Wirtschaft und Verwaltung (KKV) noch keine einheitliche Meinung gebildet hat, kann sein Geschäftsführer Joachim Hüpkes nur seine persönliche Meinung zum Koalitionsvertrag äußern. Er sagt:
"In meinen Augen haben sich zu viele Positionen durchgesetzt, die nicht dem Markenkern der CDU und der CSU entsprechen. Die Aufgabe der Schäubelschen Positionen und die Übernahme des Finanzministeriums durch die SPD ist für die Partei, die nur noch gut 20 % gewählt haben, ein schöner Erfolg."
Hüpkes fragt sich: "Wo ist ein Zuwanderungsgesetz?" Er beklagt, dass "große Zukunftsaufgaben für unser Land öffentlichkeitswirksam zugekleistert werden, damit jeder sein Gesicht wahren kann." Angesichts des Unmutes an der Unions-Basis bedauert Hüpkes, dass nicht auch die Mitglieder von CDU und CSU zum Koalitionsvertrag befragt werden und dass sich die Union durch eine zu nachgiebige Verhandlungsführung erpressbar gemacht habe. Die halbherzige Absenkung des Solidaritszuschlags, der 2019 auslaufen sollte und die geplanten Rentenerhöhungen hält er finanzpolitisch für das falsche Signal. "Ich glaube", sagt Hüpkes, "Union und SPD bilden nur deshalb eine Große Koalition, weil sie Angst vor einer Minderheitsregierung oder Neuwahlen haben." Diese Angst macht aus seiner Ansicht nur die Populisten stark.
Dieser Text erschien in der Tagespost vom 14. Februar 2018
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