Sonntag, 12. August 2018

Wiedersehen auf Kreta


Heiners Schmitz (rechts) und sein griechischer Freund
Michaelis auf Kreta
Foto: Ute Schmitz
Für den Mülheimer Fotografen Heiner Schmitz wurde sein Sommerlaub auf Kreta zu einer Zeitreise ins Jahr 1962. Denn er hatte sein Reisetagebuch im Gepäck, das er als 22-Jähriger, während einer Sommerreise zwischen Lehre und Studium geschrieben hatte.


Mit Schlafsack und Rucksack machte er sich damals auf den Weg. Der Vater gab ihm 1000 Mark als Reisekasse mit. „Ich hatte damals eine Sehnsucht nach Stille und Einsamkeit in mir und wollte eine Reise machen, von der ich ahnte, dass ich sie nur zu diesem Zeitpunkt meines Lebens machen könnte“, erinnert sich Schmitz.


Viel hat er in diesem Sommer 1962 erlebt. Doch es war eine Begegnung im Südwesten der griechischen Insel Kreta, die ihn im Kopf geblieben ist. „Ich wanderte durch die Weißen Berge und badete dort in einer Quelle“, erzählt der Ruhrpreisträger. Als er nach der Erfrischung wieder auf den Weg machte, merkte erst nach etwa 1,5 Kilometern, dass er seine Uhr an der Quelle liegen gelassen hatte. „Das versetzte mich überhaupt nicht in Panik, weil ich bis dahin auf meiner Reise nur gute Erfahrungen gemacht hatte und auf sehr gastfreundliche Menschen gestoßen waren, die dem Exoten aus Deutschland wohlwollendes Interesse entgegengebracht hatten“, schildert Schmitz die Situation aus einer Zeit, in der das damals von einer Militärdiktatur regierte Griechenland noch keinen Massentourismus kannte.


Umso irritierter und verzweifelter reagierte der junge Mann aus Mülheim, als er weder seine Uhr noch das Geld, seinen Schlafsack und seine Kamera wiederfand, die er in seinem am Wegesrand abgestellten Rucksack verstaut hatte. „Ich habe mich hingesetzt und vor lauter Wut geheult“, sagt Schmitz.


Doch dann hörte er in der Ferne zwei Männer singen und folgte ihren Stimmen. So traf er auf zwei Imker, die mit der Honigernte beschäftigt waren. Einer von ihnen, der sich ihm als Michaelis und als Sohn des örtlichen Popen vorstellte, sprach Englisch, so dass er sich mit ihm verständigen und ihm sein Leid klagen konnte.


„Ich werde dir alle gestohlenen Dinge zurückbringen. Aber jetzt ruh‘ dich erst mal aus und probiere unseren Honig und unseren Käse, während wir unsere Bienenstöcke abernten“, ließ der zwölf Jahre ältere Grieche aus dem Dorf Ramni den jungen Deutschen aus Mülheim wissen. Der Sohn des Popen kannte seine Nachbarn und wusste genau, wo er nach dem Diebesgut fahnden musste, um sein gewagtes Versprechen einzuhalten. „Ich bekam nicht nur meine Wertsachen zurück, sondern durfte in seinem Elternhaus auch übernachten und mich stärken. Und zum Abschied schrieb mich Michaelis noch einige griechische Zeilen in mein Tagebuch, die ich aber aufgrund meiner fehlenden Sprachkenntnisse nicht entziffern konnte“, erzählt Schmitz den Fortgang der Geschichte, die jetzt bei seinem zweiten Kreta-Urlaub, 56 Jahre später, zu einem berührenden Wiedersehen mit dem inzwischen 90-jährigen Michaelis in Ramni führte, bei dem er, wie im Sommer 1962 mit Käse und Honig willkommen geheißen wurde. Inzwischen wusste Schmitz, der sich die griechischen Zeilen in seinem Reisetagebuch, die er sich hatte übersetzen lassen, bedeuteten: „Der junge Mann, der durch unsere Berge wandert, ist freundlich und kein Spion. Deshalb haben wir ihn aufgenommen!“ Beim Wiedersehen in Ramni verriet Michaelis seinem deutschen Gast: „Meine Zeilen in deinem Reisetagebuch sollten dich schützen. Denn damals wurdest du von der Polizei als vermeintlicher Spion beobachtet.“    


Dieser Text erschien am 11. August 2018 in der NRZ

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