Es gibt Dinge, die tut man so
selbstverständlich, dass man auf die Rahmenbedingungen, unter denen man sie
erledigt, gar nicht mehr achtet. Doch mein jüngster Gang zum Bäcker ließ mich
dann doch stutzen. Ich trat nicht durch eine Ladentür in die Bäckerei ein. Ich musste
durch einen eisernen Kettenvorhang zum täglichen Brot vordringen. Der Hunger
trieb mich hinein.
War das eine schräge Werbeaktion? Hatte hier ein Aktionskünstler,
a la Cristo das Stilmittel der Verfremdung angewandt, um die Kunden auf Altbekanntes
durch ein neues Erscheinungsbild so zu verfremden, dass es wieder ihre Neugier
und Aufmerksamkeit auf sich zog? Auf einmal erschien mir der stinknormale
Eingang zur Bäckerei wieder Vorhang, hinter dem sich eine Zirkusmanege oder
eine große Bühne verbergen mochte.
Doch was mich hinter dem Kettenvorhang erwartete, hatte mit
Zirkus oder mit Varieté nichts zu tun. Die Bäckereifachverkäuferinnen traten hinter
ihrer Theke nicht in Glitzerkostüm mit Zauberstab oder als von der
Brotschneidemaschine zersägte Jungfrauen auf. Sie trugen immer noch ihre
klassische Arbeitskleidung. Und statt Champagner, Zauberkunststücken und Chansons
gab es wie gewohnt Brötchen, Brot Teilchen und Croissants.
Das einzige, was üblicherweise balanciert und dressiert
werden musste, waren Backwaren, Kaffee und ungeduldige Kunden.
Was es mit dem Kettenvorhang, der so manchen Brillenträger und
so manche ambitionierte Frisur-Trägerin herausforderte, erfuhr ich dann auf
Nachfrage. Eine freundliche Bäckereifachverkäuferin ließ mich wissen: „Mit dem metallenen
Kettenvorhang halten wir und die Tauben vom Leib, die und sonst regelmäßig durch
die offenen Türen fliegen.“
So ist das also: Weil sich die Tauben nicht an die
Spielregeln halten, müssen die Kunden eben wie im Zirkus dressiert werden und
durch einen Kettenvorhang, der jedem Zirkus zur Zierde reichen würde, in die Bäckerei
eintreten. Da wird jeder Einkauf zum Auftritt. Ich schlage vor: Kunden, die
besonders glamourös durch den Kettenvorhang schreiten, ohne ihre Frisur oder
ihre Brille zu ruinieren, bekommen ein Brötchen gratis.
Dieser Text erschien am 5. August 2019 in der NRZ
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