Montag, 5. August 2019

Als Gage gibt's ein Brötchen

Es gibt Dinge, die tut man so selbstverständlich, dass man auf die Rahmenbedingungen, unter denen man sie erledigt, gar nicht mehr achtet. Doch mein jüngster Gang zum Bäcker ließ mich dann doch stutzen. Ich trat nicht durch eine Ladentür in die Bäckerei ein. Ich musste durch einen eisernen Kettenvorhang zum täglichen Brot vordringen. Der Hunger trieb mich hinein.

War das eine schräge Werbeaktion? Hatte hier ein Aktionskünstler, a la Cristo das Stilmittel der Verfremdung angewandt, um die Kunden auf Altbekanntes durch ein neues Erscheinungsbild so zu verfremden, dass es wieder ihre Neugier und Aufmerksamkeit auf sich zog? Auf einmal erschien mir der stinknormale Eingang zur Bäckerei wieder Vorhang, hinter dem sich eine Zirkusmanege oder eine große Bühne verbergen mochte.

Doch was mich hinter dem Kettenvorhang erwartete, hatte mit Zirkus oder mit Varieté nichts zu tun. Die Bäckereifachverkäuferinnen traten hinter ihrer Theke nicht in Glitzerkostüm mit Zauberstab oder als von der Brotschneidemaschine zersägte Jungfrauen auf. Sie trugen immer noch ihre klassische Arbeitskleidung. Und statt Champagner, Zauberkunststücken und Chansons gab es wie gewohnt Brötchen, Brot Teilchen und Croissants.

Das einzige, was üblicherweise balanciert und dressiert werden musste, waren Backwaren, Kaffee und ungeduldige Kunden.

Was es mit dem Kettenvorhang, der so manchen Brillenträger und so manche ambitionierte Frisur-Trägerin herausforderte, erfuhr ich dann auf Nachfrage. Eine freundliche Bäckereifachverkäuferin ließ mich wissen: „Mit dem metallenen Kettenvorhang halten wir und die Tauben vom Leib, die und sonst regelmäßig durch die offenen Türen fliegen.“

So ist das also: Weil sich die Tauben nicht an die Spielregeln halten, müssen die Kunden eben wie im Zirkus dressiert werden und durch einen Kettenvorhang, der jedem Zirkus zur Zierde reichen würde, in die Bäckerei eintreten. Da wird jeder Einkauf zum Auftritt. Ich schlage vor: Kunden, die besonders glamourös durch den Kettenvorhang schreiten, ohne ihre Frisur oder ihre Brille zu ruinieren, bekommen ein Brötchen gratis.

Dieser Text erschien am 5. August 2019 in der NRZ

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