Demografisch sind die Frauen in der
Mehrheit. 50,4 Prozent der Deutschen sind Frauen. Doch im Deutschen Bundestag
sind Frauen mit einem Mandatsanteil von 30,9 Prozent eine Minderheit. Seinen
höchsten Frauenanteil hatte der Bundestag zwischen 2013 und 2017, als 36,5
Prozent seiner Abgeordneten weiblich waren. Noch schlechter sieht es in unserer
Stadt aus. Von den 55 Ratsmitglieder sind nur 11 Frauen. Das entspricht einem
Mandatsanteil von 20 Prozent, während 51,3 Prozent aller Mülheimer weiblich
sind.
100 Jahre nach der Einführung des
Frauenwahlrechtes in Deutschland hat der brandenburgische Landtag ein Gesetz
verabschiedet, wonach die Wahllisten aller Parteien, die künftig zu Landtagswahlen
antreten paritätisch mit Frauen und Männern besetzt sein müssen. Der Deutsche
Frauenrat und die Bundeskonferenz der deutschen Gleichstellungsbeauftragten
sehen in diesem ostdeutschen Landesgesetz auch ein wegweisendes Vorbild für den
Bund.
Auch Mülheims
Gleichstellungsbeauftragte Antje Buck sagt: „Wir sollten diesen Versuch. Das
hätte eine positive Strahlkraft. Es würde das Vertrauen in unsere Demokratie
und deren Repräsentativität stärken, weil es gut ist, wenn möglich viele
unterschiedliche Frauen und Männer ihre biografischen Erfahrungen in die
politische Arbeit einbringen.“ Buck ist zuversichtlich, dass sich mit einem
solchen politischen Rückenwind auch mehr Frauen für die parlamentarische Arbeit
gewinnen ließen. Die seit 20 Jahren in ihrem Amt aktive
Gleichstellungsbeauftragte weist darauf hin, dass regionale Quotierungen in
Parlamenten und Parteien längst gang und gebe seien. Darüber hinaus wüscht sich
Buck eine selbstkritische Reflektion erstarrter und zeitraubender
Parlamentsrituale, die der Tatsache Rechnung trage, „dass die Sitzungszeiten im
Parlamentsbetrieb immer auch Lebenszeit sind.“
Bürgermeisterin Margarete Wietelmann (SPD)
sieht das genauso wie Buck. Auch wenn sie keine begeisterte Verfechterin von
Frauenquoten ist, sieht die Sozialdemokratin, „eine gesetzlich vorgeschriebene
Geschlechterparität ein notwendiges Vehikel, um mehr Frauen in die Parlamente
zu bringen.“ Grundsätzlich sieht sie die politischen Parteien vor der
Herausforderung mehr junge Menschen an die Politik und die Parlamente heranzuführen.
Wietelmanns Amtskollegin Ursula Schröder sagt dagegen: „Ich bin keine
Quotenfrau“. Sie ist davon überzeugt, dass Frauen auch ohne Quotierung Mandate
gewinnen und ausfüllen können. Allerdings sieht sie, dass vor allem jüngere
Frauen, die noch mit der Familien- und Existenzgründung beschäftigt seien, oft
keine Zeit für die aktive Politik in Parteien und Parlamenten hätten.
Die Fraktionssprecherin der Grünen,
Franziska Krumwiede-Steiener sagt: „Das Partitégesetz, wie es in Brandenburg eingeführt worden ist und in
weiteren Bundesländern aktuell diskutiert wird, begrüße ich voll und ganz. Nur
so wird sich der Frauenanteil in den Parlamenten verbessern.“ Ein Paritätsgesetz
für die Parlamente wird nach Ansicht Krumwiedes die Parteien dazu zwingen, nach
qualifizierten Frauen zu suchen,
Sitzungen effizienter zu gestalten und Männerseilschaften zu öffnen. Eine rein
männliche Verwaltungsspitze wie sie derzeit in Mülheim amtiert ist für die
Grüne ein „No Go“.
Für die Vize-Vorsitzende der Mülheimer
FDP, Meike Maass, die bis 2017 dem Rat der Stadt angehörte, ist das brandenburgische
Paritätsgesetz verfassungswidrig.
Die Liberale warnt vor einer Geschlechterteilung des Wahlvolkes und vor einem
Angriff auf den verfassungsrechtlichen Gleichheitsgrundsatz. Gleichzeitig hält
Maass hält einen „höheren Frauenanteil in den Parlament für wünschenswert und
angezeigt“.- Dies hält die Büroleiterin der NRW-Schulministerin Yvonne Gebauer
aber nur für erreichbar, wenn Parteien und Parlamente ihre Arbeitsabläufe
zeitlich so gestalten, „dass sie familienfreundlicher werden.“
Mülheims erste Parlamentarierinnen
Die Lehrerin Maria Büßmeyer und die Hausfrauen Katharina
Havermann und Luise Blumberg zogen vor 100 Jahren als erste Frauen in den
Mülheimer Stadtrat ein. Büßmeyer und Blumberg gehörten der katholischen
Zentrumspartei und Blumberg der liberalen Deutschen Volkspartei an. Mit ihnen
saßen 1919 69 Männer im Stadtparlament. Unter den 39 Stadtverordneten, die am
13. Oktober 1946 in den ersten Nachkriegsstadtrat gewählt worden, waren mit den
Christdemokratinnen Anna Maria Rodenbüsch und Maria Riebartsch und den
Sozialdemokratinnen Katharina Meyer, Luise Foshagen, Änne Kleinbekes fünf
Frauen. 1953 wurde mit der Christdemokratin Gisela Prätorius erstmals eine Frau
für Mülheim in den Bundestag gewählt. Ihr sollten 1967 die Christdemokratin
Helga Wex und 1998 die Liberale Ulrike Flach nachfolgen. Vor Nordrhein-Westfalens
erster Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) und der
NRW-Gesundheitsministerin Barbara Steffens (Grüne) wurde Mülheim bereits in den
1960er Jahren von der Christdemokratin Anni Seelbach im Landtag vertreten. Mit
der Sozialdemokratin Eleonore Güllenstern wurde 1982 erstmals eine
Oberbürgermeisterin gewählt. Ihr sollte 2003 ihre Parteifreundin Dagmar Mühlenfeld (als
Nachfolger des Christdemokraten Jens Baganz) in dieses Amt folgen.
Dieser Text erschien am 25. Februar 2019 in der Neuen Ruhr Zeitung
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