Anzeige aus der Mülheimer Zeitung vom 14.02.1939 |
Die älteste Karnevalsgesellschaft, die MüKaGe, trägt das Jahr
1937 im Namen. Diese Jahreszahl weist in eine Zeit, in der viele Menschen in
Deutschland nichts zu lachen hatten. Wie feierten die Mülheimer, nach der nationalsozialistischen
Machtübernahme 1933 und vor dem Beginn des 2. Weltkrieges 1939 die Fünfte
Jahreszeit? Ein Blick in Zeitungen und Festschriften aus dem Stadtarchiv zeigen
es.
Aus Berichten der von der NSDAP gleichgeschalteten Mülheimer
Zeitung erfahren wir unter der Überschrift „Närrisches Volk“, dass sich in der
Session 1937/38 die Erste Mülheimer Karnevalsgesellschaft gebildet habe, deren
Karnevalssitzungen in Gaststätte des Saarners Ernst Rosendahl „sich auch bei
Dorffremden“ zunehmender Beliebtheit erfreuen. Von Büttenreden, Tanz und
Schunkelliedern ist die Rede. Die Büttenredner würden vom Präsidenten Willi
Enaux und vom Vorsitzenden Paul Eneke
aus dem Publikum heraus auf die Bühne gebeten.
Das Wort Büttenreden lässt aufhorchen. Denn das Dritte Reich
kannte keine Meinungsfreiheit. Und so überrascht es nicht, wenn man
weiterliest, dass die Büttenredner Anekdoten aus ihrer Kindheit und Jugend oder
auch aus der Stadtgeschichte zum Besten gegeben hätten. „Echter volkstümlicher
Humor verletzt niemanden!“ heißt es denn auch vielsagend in einem anderen
Mülheimer Zeitungsbericht aus der Session 1937/38. Dort wird unter der
Überschrift: „Ruhrische Karnevalsbilanzen“ festgehalten, dass auch Regierungsbeamte, Behördenleiter,
führende Parteigenossen und Wehrmachtsgeneräle im Karneval gerne mitfeierten
„und sich sogar bützen“ ließen. Den Karneval feiert die Mülheimer Zeitung
damals als „Jubeltage des Brauchtums“, an denen „die völkischen Kameradschaft,
die Lebensbejahung und der eiserne Wille, für die Heimat einzustehen“ zum
Ausdruck komme.
Die in Mülheim von Karl Kamphausen angeführte NSDAP überlässt
den Karneval nicht dem kleinen Häuflein der Saarner Karnevalisten. In den
Tollen Tagen der Session 1938/39, die mit dem Rosenmontag am 20. Februar 1939
ihren Höhepunkt erreichten, lud die NS-Organisation „Kraft durch Freude“ 1500 Mülheimer
zu einer Karnevalssitzung, die unter dem Motto „Köln grüßt Mülheim“ in der
Stadthalle über die Bühne ging. „Wie auf Kommando“, wird in der Lokalpresse
berichtet, seien närrischen Volkgenossen, „von ihren Sitzen aufgesprungen“ und
der Sitzungspräsident habe „donnernde Klatschmärsche aus den Kulissen geholt“.
Wer weiß wie die Geschichte am 1. September 1939 mit dem deutschen Überfall auf
Polen weiterging, liest diese Zeilen ebenso beklommen wie den Zeitungsbericht
über die Karnevalskirmes auf dem Viktoriaplatz, an dem .zuvor, auf Geheiß der
NS-Machthaber die dort 1907 errichtete Synagoge der Jüdischen Gemeinde
niedergebrannt worden war.
Doch davon und von der drohenden Kriegsgefahr wollen die
Mülheimer nichts wissen, die sich damals in zahlreichen Gaststätten und Hotels
bei Kappenfesten, Karnevalskonzerten, Altweiber- und Maskenbällen einfach nur
vergnügen wollen. Für die MüKaGe-Mitglieder Josef Behrend, Karl Pitschel und
Willi Lünnig wird es der letzte Karneval ihres Lebens sein. Sie gehören zu den
3500 Mülheimern, die als Soldaten der Wehrmacht im 2. Weltkrieg fallen.
Nicht die erste Karnevalsgesellschaft Mülheims
Die Erste Große Mülheimer Karnevalsgesellschaft (MüKaGe) von
1937 ist nicht die erste Karnevalsgesellschaft der Stadtgeschichte. Ab Mitte
des 19. Jahrhunderts gründeten sich in Mülheim immer wieder
Karnevalsgesellschaften wie etwa die Aula, die Spaßigen Lüt, der Saarner
Klumpen Klubb oder die Alhambra. Doch diese Gesellschaften haben die Stürme der
Zeit nicht überstanden. Die 1928 in Styrum gegründete KG Mölm Boowenaan wurde
1955 neu gegründet. Die MüKaGe konnte 1946 bei Rosendahl in Saarn ihre erste
Nachkriegssitzung feiern. Ihr Gründungspräsident Willi Enaux stand noch bis
1957 an der Spitze der Ersten Großen Mülheimer Karnevalsgesellschaft.
Dieser Text erschien am 23. Februar 2019 in NRZ & WAZ
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