Samstag, 23. Februar 2019

Karneval unter dem Hakenkreuz


Anzeige aus der Mülheimer Zeitung vom 14.02.1939
Die älteste Karnevalsgesellschaft, die MüKaGe, trägt das Jahr 1937 im Namen. Diese Jahreszahl weist in eine Zeit, in der viele Menschen in Deutschland nichts zu lachen hatten. Wie feierten die Mülheimer, nach der nationalsozialistischen Machtübernahme 1933 und vor dem Beginn des 2. Weltkrieges 1939 die Fünfte Jahreszeit? Ein Blick in Zeitungen und Festschriften aus dem Stadtarchiv zeigen es.

Aus Berichten der von der NSDAP gleichgeschalteten Mülheimer Zeitung erfahren wir unter der Überschrift „Närrisches Volk“, dass sich in der Session 1937/38 die Erste Mülheimer Karnevalsgesellschaft gebildet habe, deren Karnevalssitzungen in Gaststätte des Saarners Ernst Rosendahl „sich auch bei Dorffremden“ zunehmender Beliebtheit erfreuen. Von Büttenreden, Tanz und Schunkelliedern ist die Rede. Die Büttenredner würden vom Präsidenten Willi Enaux und vom Vorsitzenden  Paul Eneke aus dem Publikum heraus auf die Bühne gebeten.

Das Wort Büttenreden lässt aufhorchen. Denn das Dritte Reich kannte keine Meinungsfreiheit. Und so überrascht es nicht, wenn man weiterliest, dass die Büttenredner Anekdoten aus ihrer Kindheit und Jugend oder auch aus der Stadtgeschichte zum Besten gegeben hätten. „Echter volkstümlicher Humor verletzt niemanden!“ heißt es denn auch vielsagend in einem anderen Mülheimer Zeitungsbericht aus der Session 1937/38. Dort wird unter der Überschrift: „Ruhrische Karnevalsbilanzen“ festgehalten, dass  auch Regierungsbeamte, Behördenleiter, führende Parteigenossen und Wehrmachtsgeneräle im Karneval gerne mitfeierten „und sich sogar bützen“ ließen. Den Karneval feiert die Mülheimer Zeitung damals als „Jubeltage des Brauchtums“, an denen „die völkischen Kameradschaft, die Lebensbejahung und der eiserne Wille, für die Heimat einzustehen“ zum Ausdruck komme.

Die in Mülheim von Karl Kamphausen angeführte NSDAP überlässt den Karneval nicht dem kleinen Häuflein der Saarner Karnevalisten. In den Tollen Tagen der Session 1938/39, die mit dem Rosenmontag am 20. Februar 1939 ihren Höhepunkt erreichten, lud die NS-Organisation „Kraft durch Freude“ 1500 Mülheimer zu einer Karnevalssitzung, die unter dem Motto „Köln grüßt Mülheim“ in der Stadthalle über die Bühne ging. „Wie auf Kommando“, wird in der Lokalpresse berichtet, seien närrischen Volkgenossen, „von ihren Sitzen aufgesprungen“ und der Sitzungspräsident habe „donnernde Klatschmärsche aus den Kulissen geholt“. Wer weiß wie die Geschichte am 1. September 1939 mit dem deutschen Überfall auf Polen weiterging, liest diese Zeilen ebenso beklommen wie den Zeitungsbericht über die Karnevalskirmes auf dem Viktoriaplatz, an dem .zuvor, auf Geheiß der NS-Machthaber die dort 1907 errichtete Synagoge der Jüdischen Gemeinde niedergebrannt worden war.

Doch davon und von der drohenden Kriegsgefahr wollen die Mülheimer nichts wissen, die sich damals in zahlreichen Gaststätten und Hotels bei Kappenfesten, Karnevalskonzerten, Altweiber- und Maskenbällen einfach nur vergnügen wollen. Für die MüKaGe-Mitglieder Josef Behrend, Karl Pitschel und Willi Lünnig wird es der letzte Karneval ihres Lebens sein. Sie gehören zu den 3500 Mülheimern, die als Soldaten der Wehrmacht im 2. Weltkrieg fallen. 

Nicht die erste Karnevalsgesellschaft Mülheims


Die Erste Große Mülheimer Karnevalsgesellschaft (MüKaGe) von 1937 ist nicht die erste Karnevalsgesellschaft der Stadtgeschichte. Ab Mitte des 19. Jahrhunderts gründeten sich in Mülheim immer wieder Karnevalsgesellschaften wie etwa die Aula, die Spaßigen Lüt, der Saarner Klumpen Klubb oder die Alhambra. Doch diese Gesellschaften haben die Stürme der Zeit nicht überstanden. Die 1928 in Styrum gegründete KG Mölm Boowenaan wurde 1955 neu gegründet. Die MüKaGe konnte 1946 bei Rosendahl in Saarn ihre erste Nachkriegssitzung feiern. Ihr Gründungspräsident Willi Enaux stand noch bis 1957 an der Spitze der Ersten Großen Mülheimer Karnevalsgesellschaft.


Dieser Text erschien am 23. Februar 2019 in NRZ & WAZ

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