"Vor 50 Jahren gab es in Mülheim noch 12 Hauptschulen, heute nur noch eine, weil die lebensnahe und praxisorientierte Hauptschule aus ideologischen Gründen politisch kaputt gemacht worden ist", kommentiert Schmidt die schulpolitische Entwicklung. "Wir hatten als Hauptschulabsolventen 1969 keine Zukunftsangst. Denn die Hauptschule war damals das, was ihr Name sagt, eben eine Hauptschule", sagen Bärbel Loss, Rolf Kreuselberg, Hermann-Josef Spitz und Renate Wiedemann. Sie waren 4 von 34 Schülern, die damals bereits nach neun Schuljahren in den Ernst des Berufslebens entlassen wurden.
"Wir hatten keine Angst vor der Zukunft!"
Dass sie gut in dieses Berufsleben starten konnten, hatte auch damit zu tun, dass ihr Lehrer ihnen in ihrem letzten Schuljahr eine Praktikumsstelle besorgt hatte. "Das war damals noch pädagogisches Neuland", erinnert sich Schmidt. So besorgte er Hermann-Josef Spitz, der später als Garten- und Landschaftsbautechniker mit geistig und seelisch behinderten Menschen arbeiten sollte, eine Praktikumsstelle in der Mülheimer Stadtgärtnerei. Bärbel Loss, die später eine Berufsausbildung als Kinderpflegerin und Hauswirtschafterin absolvieren sollte, konnte ihr Talent mit seiner Hilfe in einem Kindergarten ausprobieren. Rolf Kreuselberg machte seine Praktikantenarbeit in einem Mülheimer Gas,- Wasser- und Heizungs-Installationsbetrieb so viel Freude, dass er mit seinem Hauptschulabschluss dort als Lehrling anheuerte. Obwohl Kresuselberg, wie seine Klassenkameraden, inzwischen an der Schwelle zum Rentenalter steht, arbeitet er heute immer noch mit großer Begeisterung als Haustechniker in einem österreichischen Vier-Sterne-Hotel. Auch Renate Wiedemann, die seit vielen Jahren die Requisite des Mülheimer Backsteintheaters betreut, ließ ihrem Schulpraktikum in einer Mülheimer Schneiderwerkstatt eine entsprechende Berufsausbildung folgen. Später sollte sie ihr Arbeitsleben in verschiedene Abteilungen des Evangelischen Krankenhauses führen, während ihre Klassenkameradin Bärbel Loss nach Jahren in ihrem erlernten Beruf ihr Geld als Ein-Frau-Puppentheater und als Komödiantin verdient hat. Heute gehört sie zum Ensemble des Mülheimer Komödchen Sorglos.
"Wir hatten erst einen alten Klassenlehrer, der kurz vor der Rente stand. Umso toller war es für uns, mit Winfried Schmidt dann einen Klassenlehrer zu bekommen, der nur wenig älter war, als wir", erinnert sich Renate Wiedemann. Ihre Mitschüler Bärbel Loss, Hermann-Josef Spitz und Rolf Kreuselberg haben ihren alten Lehrer, den sie an diesem Abend im Gesellenhaus gerne wiedersehen, als einen sehr zugewandten und nahbaren Pädagogen in Erinnerung, der nicht autoritär sein brauchte, weil er eine natürliche Autorität besaß. Dass sich die alten Klassenkameraden der Hauptschule Broich auch nach 50 Jahren noch als Gemeinschaft verstehen und ihren Zusammenhalt sichtlich gerne pflegen, hat sicherlich auch mit den unvergesslichen Gemeinschaftserlebnissen ihrer Schulzeit zu tun. Und so lieferten nicht nur die Schulausflüge und Klassenfahrten, die die 69er aus Broich zum Beispiel nach Rhöndorf, an das Grab des ersten Bundeskanzlers Konrad Adenauer, ins Bonner Bundeshaus, ins Mülheimer Schulandheim nach Hohenunkel und zum Segeln aufs IJsselmeer führten, auch 50 Jahre danach noch reichlich Gesprächsstoff.
Dieser Text erschien am 4. November 2019 im Lokalkompass der Mülheimer Woche
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