„Wir werden in Zukunft sehr alt aussehen“, sagt Dr. Herbert Fendrich. Er sagt
es ohne Rechthaberei und mit dem Unterton des Bedauerns. An seiner ehemaligen
Wirkungsstätte fordert er seine Mitdiskutanten in der katholischen Akademie Die
Wolfsburg zum Widerspruch auf: „Bitte, widersprechen Sie mir und sagen sie mir,
dass das doch nicht wahr sein kann.“
Der
bischöfliche Beauftragte für Kirche und Kunst, der seinen Dienst 1981 in der Bauabteilung
des Bistums begann, wurde jetzt bei einem Symposium in der katholischen
Akademie in den Ruhestand verabschiedet. Thema: „In welchen Räumen feiern wir
künftig Gottesdienst?“ Der Leiter des Seelsorgeamtes, Dr. Michael Dörnemann
erinnerte an den 2014 verstorbenen Ruhrbischof Hubert Luthe, der Fendrichs
Engagement für einen zeitgemäßen und ausdrucksstarken Kirchenbau als
Kulturmensch stets unterstützt habe. Dörnemann setzte einen optimistischen
Kontrapunkt zu Fendrichs pessimistischer Prognose: „Es werden immer wieder in
den Gemeinden Initiativen vor Ort entstehen, die eine zeitgemäße und die
Menschen ansprechende Form von Gottesdienstorten entwickeln und weiterentwickeln
werden.“ Dörnemann dankte Fendrich für sein weitsichtiges und
leidenschaftliches Engagement zugunsten des Erhaltes von kunsthistorisch
wichtigen Kirchen und für seine bereits vor fast 20 Jahren erstmals angestellten
und bis heute wegweisenden Überlegungen zur perspektivischen Umnutzung und Neunutzung
von Kirchen, die mangels Masse, nicht länger als Gottesdienstorte oder
zumindest nicht allein als Gottesdienstorte aufrechtzuerhalten seien. Der Leiter
des Seelsorgeamtes erinnerte daran, dass das Ruhrbistum in den vergangenen zwei
Jahrzehnten bereits 96 Kirchen aufgegeben, umgewidmet und in 30 Fällen abgerissen
hat.
Er
geht davon aus, dass von den aktuell 400 Kirchen des Bistums bis 2030 noch 80 bis
120 Kirchen zu erhalten sein werden. Professor Albert Gerhards und der
Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken Professor, Thomas Sternberg,
beide mit theologischer und kunstgeschichtliche Expertise für die Bedeutung von
Kirchen ausgestattet, machten mit Blick auf Erfahrungen der vergangenen Jahre
deutlich, dass Kirchen nicht nur für Gemeindemitglieder, sondern auch für
kirchenferne Menschen explizit nicht-kommerzielle Orte der Identifikation, der
geistigen Orientierung, der Stille, der Zuflucht, der Gotteserfahrung und der transzendenten
Selbsterfahrung seien.
Sternberg
machte an Beispielen wie der vor 125 Jahren eingeweihten Aschaffenburger Kirche
St. Maria Geburt, deutlich, dass im Kirchenraum der Zukunft weniger mehr ist. „Es
kann Kirchen nur guttun, wenn man sich wie in St. Maria Geburt, darauf besinnt
mit welcher Intention die Kirche seinerzeit gebaut worden ist. Deshalb muss es
kein Nachteil sein, es kann sogar ein Vorteil sein, wenn man wie in der Aschaffenburger
Marienkirche, Kirchenbänke aus dem kirchenraum entfernt und die Kirche, je nach
gottesdienstlichem Anlass und an der Besucherzahl orientiert bestuhlt. So
gewinnt man mehr Platz für neue liturgische und spirituelle Gemeinschafts- und Raum-Erfahrungen.“
Einer
der gut 100 Symposiums-Teilnehmer im Kardinal-Hengsbach-Saal der Wolfsburg
regte an, nicht nur über die Grenzen des Ruhrbistums sondern auch über die
deutschen Landesgrenzen zu schauen, wenn es darum gehe, Kirchenräume neu zu
nutzen. Er führte ein selbst erlebtes Beispiel aus England an, wo eine Kirche
nicht nur als Gottesdienstraum, sondern auch als Festsaal für Hochzeiten,
Geburtstage oder silberne und goldene Hochzeiten genutzt werden können. So
werde dort der Kirchenraum und seine Instandhaltung nicht nur durch die Gemeindemitglieder
finanziert.
Auch
Sternberg führte in diesem Zusammenhang persönliche Erfahrungen aus Italien an,
wo Kirchen, die nicht mehr oder nicht mehr nur als Gottesdienstraum genutzt
werden können, inzwischen auch als Speisesaal für Bedürftige oder als Wohnheim
für Obdachlose benutzt werden
Professor
Gerhards machte allerdings deutlich, „dass es nicht an Ideen und Konzepten für
die Umnutzung von profanierten Kirchen mangelt, sondern dass es immer auch um
die Frage geht, wie man ein Kirchengebäude langfristig finanziell und
bautechnisch unterhalten kann.“
Thomas
Sternberg und Michael Dörnemann erinnerten in diesem Zusammenhang an die große Hilfs-
und Spendenbereitschaft, die sich nach dem Brand in Notre Dame in Paris für den
Wiederaufbau dieser Kirche entwickelt habe, „weil Kirchen wie Notre Dame oder
der Kölner Dom eben nicht nur eine sakrale sondern auch eine nationale Symbol
Bedeutung besitzen.“
Sternberg
empfahl, den Blick über den Rhein zu richten: „Obwohl Frankreich ein
laizistischer Staat ist, werden dort alle Kirchen, die vor 1905 errichtet
worden sind, vom französischen Staat instandgehalten, während in Deutschland
dafür alleine die Kirchensteuer zahlenden Kirchenmitglieder aufkommen müssen.
Hinzu kommt, dass die Denkmalschutz-Mittel faktisch auf null gesetzt worden
sind.“
Herbert
Fendrich und Albert Gerhards können sich die Instandhaltung und weitere Nutzung
von Kirchenräumen als gesamt-gesellschaftliche Aufgabe vorstellen, die zum
Beispiel mit Hilfe von Landesstiftungen und privaten Trägervereinen finanziert
werden könnte. Fendrich warnte davor nur die „ganz alten historistischen
Kirchen zu erhalten, die schon bei ihrer Entstehung von gestern waren.“
Es
passte ins Bild, dass das Symposium zur Zukunft unserer Kirche und Gottesdiensträume
mit einer Abendandacht in der Akademie-Kirche ausklang, die mit ihrer
schlichten und konzentrierten Raum-Sprache ein gutes Beispiel dafür abgibt wie
und wo man In Zukunft Gottesdienste mit einer zeitgemäßen Liturgie und
Spiritualität feiern kann, wenn doe ehemaligen Volkskirchen durch die
demografische Entwicklung, aber auch durch Kirchenaustritte weiter geschrumpft
sein wird.
Neue Kirchenräume an der Ruhr
Auch
in jüngster Zeit wurden an der Ruhr noch Kirchen gebaut.
So
finanzierte von Herbert Fendrich beratene Fußballbundesligist FC Schalke 04 im
Jahr 2001 in seiner Arena Auf Schalke die Einrichtung einer ökumenischen
Kapelle, in der seitdem über 2000 Taufen und 1000 Trauungen und Jubiläen gottesdienstlich
gefeiert worden sind.
Die
1935 im Essener Südviertel eingeweihte und 2008 profanierte Kirche St.
Engelbert wird seit 2011 vom Trägerverein Chorforum als Chor-Kirche und als Kulturhaus
unterhalten.
Die
1967 eingeweihte und 2007 profanierte Kirche Heilig Kreuz im Mülheimer
Stadtteil Dümpten wird seit 2009 als Urnenkirche genutzt, in der weiterhin
Gottesdienste und Konzerte stattfinden.
Im
Jahr 2000 wurde aus Christus-König-Kirche in Oberhausen-Buschhause die erste deutsche
Jugendkirche Tabgah, benannt nach dem biblischen Ort der wunderbaren
Brotvermehrung. Hier bringen sich Jugendliche mit einem maximalen
Gestaltungsfreiraum selbst ein, um von ihrer Lebenswirklichkeit inspirierte
Formen des Glaubenslebens auszuprobieren. 2020 soll die Jugendkirche Tabgah in
der Kirche St. Joseph am Duisburger Dellplatz ihre neue Heimat finden.
In
Bochum Stahlhausen hat man aus der nach dem 2. Weltkrieg wiederaufgaebauten und
in den 1990er Jahren aufgegebenen evangelischen Friedenskirche eine
Friedenskapelle gemacht, die seit 2015 Teil des Stadtteilzentrums Q1 ist, das
von der Evangelischen Kirchengemeinde Bochum und vom Bochumer Verein IFAK
getragen wird. In der Trägervereinbarung heißt es über das gemeinsame Ziel des
Stadtteil- und Gemeindezentrums: „Die
Träger verfolgen gemeinsam den Zweck, im Bochumer Westend das Zusammenleben von
Menschen aus unterschiedlichen Kultur-, und Religionskreisen zu verbessern,
Benachteiligungen jeder Art insbesondere in den Lebensfeldern Bildung,
Soziales, Kultur und Sport entgegenzuwirken sowie die Chancengleichheit aller
EinwohnerInnen zu erhöhen. Die beiden Institutionen repräsentieren in ihrer
bisherigen Gemeinwesen-orientierten Arbeit unterschiedliche Traditionen und Schwerpunkte
und wollen in der neuen Trägerstruktur ihre Kompetenzen zum Wohle aller
EinwohnerInnen zu einem vorbildlichen gemeinsamen Handeln weiterentwickeln.“
Das 2016 von der Wüstenrot-Stiftung prämierte Q1 sieht sich selbst als Haus für
Kultur, Religion und Soziales im Bochumer Westend.
Dieser Text erschien am 14. September 2019 im Neuen Ruhrwort
Dieser Text erschien am 14. September 2019 im Neuen Ruhrwort
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