Mittwoch, 25. September 2019

Bleibt die Kirche im Dorf?

„Wir werden in Zukunft sehr alt aussehen“, sagt Dr. Herbert Fendrich. Er sagt es ohne Rechthaberei und mit dem Unterton des Bedauerns. An seiner ehemaligen Wirkungsstätte fordert er seine Mitdiskutanten in der katholischen Akademie Die Wolfsburg zum Widerspruch auf: „Bitte, widersprechen Sie mir und sagen sie mir, dass das doch nicht wahr sein kann.“

Der bischöfliche Beauftragte für Kirche und Kunst, der seinen Dienst 1981 in der Bauabteilung des Bistums begann, wurde jetzt bei einem Symposium in der katholischen Akademie in den Ruhestand verabschiedet. Thema: „In welchen Räumen feiern wir künftig Gottesdienst?“ Der Leiter des Seelsorgeamtes, Dr. Michael Dörnemann erinnerte an den 2014 verstorbenen Ruhrbischof Hubert Luthe, der Fendrichs Engagement für einen zeitgemäßen und ausdrucksstarken Kirchenbau als Kulturmensch stets unterstützt habe. Dörnemann setzte einen optimistischen Kontrapunkt zu Fendrichs pessimistischer Prognose: „Es werden immer wieder in den Gemeinden Initiativen vor Ort entstehen, die eine zeitgemäße und die Menschen ansprechende Form von Gottesdienstorten entwickeln und weiterentwickeln werden.“ Dörnemann dankte Fendrich für sein weitsichtiges und leidenschaftliches Engagement zugunsten des Erhaltes von kunsthistorisch wichtigen Kirchen und für seine bereits vor fast 20 Jahren erstmals angestellten und bis heute wegweisenden Überlegungen zur perspektivischen Umnutzung und Neunutzung von Kirchen, die mangels Masse, nicht länger als Gottesdienstorte oder zumindest nicht allein als Gottesdienstorte aufrechtzuerhalten seien. Der Leiter des Seelsorgeamtes erinnerte daran, dass das Ruhrbistum in den vergangenen zwei Jahrzehnten bereits 96 Kirchen aufgegeben, umgewidmet und in 30 Fällen abgerissen hat.

Er geht davon aus, dass von den aktuell 400 Kirchen des Bistums bis 2030 noch 80 bis 120 Kirchen zu erhalten sein werden. Professor Albert Gerhards und der Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken Professor, Thomas Sternberg, beide mit theologischer und kunstgeschichtliche Expertise für die Bedeutung von Kirchen ausgestattet, machten mit Blick auf Erfahrungen der vergangenen Jahre deutlich, dass Kirchen nicht nur für Gemeindemitglieder, sondern auch für kirchenferne Menschen explizit nicht-kommerzielle Orte der Identifikation, der geistigen Orientierung, der Stille, der Zuflucht, der Gotteserfahrung und der transzendenten Selbsterfahrung seien.

Sternberg machte an Beispielen wie der vor 125 Jahren eingeweihten Aschaffenburger Kirche St. Maria Geburt, deutlich, dass im Kirchenraum der Zukunft weniger mehr ist. „Es kann Kirchen nur guttun, wenn man sich wie in St. Maria Geburt, darauf besinnt mit welcher Intention die Kirche seinerzeit gebaut worden ist. Deshalb muss es kein Nachteil sein, es kann sogar ein Vorteil sein, wenn man wie in der Aschaffenburger Marienkirche, Kirchenbänke aus dem kirchenraum entfernt und die Kirche, je nach gottesdienstlichem Anlass und an der Besucherzahl orientiert bestuhlt. So gewinnt man mehr Platz für neue liturgische  und spirituelle Gemeinschafts- und Raum-Erfahrungen.“

Einer der gut 100 Symposiums-Teilnehmer im Kardinal-Hengsbach-Saal der Wolfsburg regte an, nicht nur über die Grenzen des Ruhrbistums sondern auch über die deutschen Landesgrenzen zu schauen, wenn es darum gehe, Kirchenräume neu zu nutzen. Er führte ein selbst erlebtes Beispiel aus England an, wo eine Kirche nicht nur als Gottesdienstraum, sondern auch als Festsaal für Hochzeiten, Geburtstage oder silberne und goldene Hochzeiten genutzt werden können. So werde dort der Kirchenraum und seine Instandhaltung nicht nur durch die Gemeindemitglieder finanziert.

Auch Sternberg führte in diesem Zusammenhang persönliche Erfahrungen aus Italien an, wo Kirchen, die nicht mehr oder nicht mehr nur als Gottesdienstraum genutzt werden können, inzwischen auch als Speisesaal für Bedürftige oder als Wohnheim für Obdachlose benutzt werden

Professor Gerhards machte allerdings deutlich, „dass es nicht an Ideen und Konzepten für die Umnutzung von profanierten Kirchen mangelt, sondern dass es immer auch um die Frage geht, wie man ein Kirchengebäude langfristig finanziell und bautechnisch unterhalten kann.“

Thomas Sternberg und Michael Dörnemann erinnerten in diesem Zusammenhang an die große Hilfs- und Spendenbereitschaft, die sich nach dem Brand in Notre Dame in Paris für den Wiederaufbau dieser Kirche entwickelt habe, „weil Kirchen wie Notre Dame oder der Kölner Dom eben nicht nur eine sakrale sondern auch eine nationale Symbol Bedeutung besitzen.“

Sternberg empfahl, den Blick über den Rhein zu richten: „Obwohl Frankreich ein laizistischer Staat ist, werden dort alle Kirchen, die vor 1905 errichtet worden sind, vom französischen Staat instandgehalten, während in Deutschland dafür alleine die Kirchensteuer zahlenden Kirchenmitglieder aufkommen müssen. Hinzu kommt, dass die Denkmalschutz-Mittel faktisch auf null gesetzt worden sind.“

Herbert Fendrich und Albert Gerhards können sich die Instandhaltung und weitere Nutzung von Kirchenräumen als gesamt-gesellschaftliche Aufgabe vorstellen, die zum Beispiel mit Hilfe von Landesstiftungen und privaten Trägervereinen finanziert werden könnte. Fendrich warnte davor nur die „ganz alten historistischen Kirchen zu erhalten, die schon bei ihrer Entstehung von gestern waren.“

Es passte ins Bild, dass das Symposium zur Zukunft unserer Kirche und Gottesdiensträume mit einer Abendandacht in der Akademie-Kirche ausklang, die mit ihrer schlichten und konzentrierten Raum-Sprache ein gutes Beispiel dafür abgibt wie und wo man In Zukunft Gottesdienste mit einer zeitgemäßen Liturgie und Spiritualität feiern kann, wenn doe ehemaligen Volkskirchen durch die demografische Entwicklung, aber auch durch Kirchenaustritte weiter geschrumpft sein wird.

Neue Kirchenräume an der Ruhr  

Auch in jüngster Zeit wurden an der Ruhr noch Kirchen gebaut.

So finanzierte von Herbert Fendrich beratene Fußballbundesligist FC Schalke 04 im Jahr 2001 in seiner Arena Auf Schalke die Einrichtung einer ökumenischen Kapelle, in der seitdem über 2000 Taufen und 1000 Trauungen und Jubiläen gottesdienstlich gefeiert worden sind.

Die 1935 im Essener Südviertel eingeweihte und 2008 profanierte Kirche St. Engelbert wird seit 2011 vom Trägerverein Chorforum als Chor-Kirche und als Kulturhaus unterhalten.

Die 1967 eingeweihte und 2007 profanierte Kirche Heilig Kreuz im Mülheimer Stadtteil Dümpten wird seit 2009 als Urnenkirche genutzt, in der weiterhin Gottesdienste und Konzerte stattfinden.

Im Jahr 2000 wurde aus Christus-König-Kirche in Oberhausen-Buschhause die erste deutsche Jugendkirche Tabgah, benannt nach dem biblischen Ort der wunderbaren Brotvermehrung. Hier bringen sich Jugendliche mit einem maximalen Gestaltungsfreiraum selbst ein, um von ihrer Lebenswirklichkeit inspirierte Formen des Glaubenslebens auszuprobieren. 2020 soll die Jugendkirche Tabgah in der Kirche St. Joseph am Duisburger Dellplatz ihre neue Heimat finden.

In Bochum Stahlhausen hat man aus der nach dem 2. Weltkrieg wiederaufgaebauten und in den 1990er Jahren aufgegebenen evangelischen Friedenskirche eine Friedenskapelle gemacht, die seit 2015 Teil des Stadtteilzentrums Q1 ist, das von der Evangelischen Kirchengemeinde Bochum und vom Bochumer Verein IFAK getragen wird. In der Trägervereinbarung heißt es über das gemeinsame Ziel des Stadtteil- und Gemeindezentrums: „Die Träger verfolgen gemeinsam den Zweck, im Bochumer Westend das Zusammenleben von Menschen aus unterschiedlichen Kultur-, und Religionskreisen zu verbessern, Benachteiligungen jeder Art insbesondere in den Lebensfeldern Bildung, Soziales, Kultur und Sport entgegenzuwirken sowie die Chancengleichheit aller EinwohnerInnen zu erhöhen. Die beiden Institutionen repräsentieren in ihrer bisherigen Gemeinwesen-orientierten Arbeit unterschiedliche Traditionen und Schwerpunkte und wollen in der neuen Trägerstruktur ihre Kompetenzen zum Wohle aller EinwohnerInnen zu einem vorbildlichen gemeinsamen Handeln weiterentwickeln.“ Das 2016 von der Wüstenrot-Stiftung prämierte Q1 sieht sich selbst als Haus für Kultur, Religion und Soziales im Bochumer Westend.

Dieser Text erschien am 14. September 2019 im Neuen Ruhrwort



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