Freitag, 23. November 2018

Was tun gegen Kinderarmut?

Die Zahl erschreckt. Ein Drittel der Kinder in Mülheim leben mit ihren Eltern von Arbeitslosengeld 2, sind also von Armut bedroht. Gleichzeitig ist in den vergangenen Jahren nicht nur die Zahl der "armen" Kinder, sondern auch die Zahl der Einkommensmillionäre in unserer Stadt gestiegen.

Nach einer Auftaktveranstaltung zum Thema Kinderarmut in Mülheim, die im September in der Stadthalle über die Bühne ging, beschäftigten sich jetzt 30 interessierte Mülheimer, auf Einladung der SPD-Fraktion, im Medienhaus mit der Frage, was man konkret gegen Kinderarmut tun könnte.

Sowohl die Profis, die als Sozialarbeiterinnen, Sozialpädagoginnen, Erzieher, Lehrer und Fallmanager mit dem Thema beschäftigt sind, als auch die schlicht interessierten Bürger, wie der Vorsitzende des Eppinghofer Bürgervereins, Bernhard Köhler, führten während der gut zweistündigen Diskussion bemerkenswerte Lösungsvorschläge ins Feld.

Bernd Köhler sind einen Kern des Problems in der finanziellen Förderstruktur, die sich im Bereich der Bekämpfung von Kinderarmut auf fast 150 verschiedene Gesetze verteile. Er fordert eine Durchforstung der kommunalen, regionalen und nationalen Förderinstrumente und eine radikale Aufhebung des Kooperationsverbotes der verschiedenen politischen Ebenen, wenn es um konkrete sozialpolitische Maßnahmen zugunsten armer Kindern und ihrer Eltern gehe.

Der ehemalige Leiter der Sozialagentur, Klaus Konietzka, sieht unter anderem im Bildungsbereich Nachholbedarf, da 40 Prozent der betroffenen Eltern noch nicht mal einen Hauptschulabschluss und 84 Prozent keine Berufsausbildung hätten. Flankierend spricht er sich für die bundesweite Einführung einer Kindergrundsicherung aus.

Aus Sicht des Mülheimer Sozialforschers, Volker Kersting, täte die Stadtplanung gut daran, mehr Spiel- Bewegungs- und Freiräume für Kinder einzuplanen, weil die Gehirnforschung gezeigt habe, dass es einen engen Zusammenhang zwischen Motorik und intellektueller Entwicklung gebe.

Schulsozialarbeiter Georg Jöres lobte die Stadt Mülheim ausdrücklich für ihre überdurchschnittlichen Investitionen in denen offenen Grundschulganztag. Während der kommunale Pflichbeitrag bei 400 Euro pro Kind liege, zahle man in Mülheim 2800 Euro, um eine qualifizierte pädagogische Betreuung und Förderung zu gewährleisten, auf die vor allem Kinder aus armen und bildungsfernen Familien angewiesen seien. In diesem Zusammenhang würdigte Klaus Konietzka die Absicht der Mülheimer Kommunalpolitiker, trotz der desolaten Haushaltssituation der Stadt am hohen Förderniveau für den offenen Ganztag in den Grundschulen festzuhalten. Georg Jöres hielte es angesichts der in Mülheim drastisch angestiegenen Kinderarmut für sinnvoll den offenen Ganztag in Grundschulen in einen gebundenen und für alle Kinder verpflichtenden Ganztag umzuwandeln.

Das würde aus Sicht der Pädagogen Abdrea Schindler (Erich-Kästner-Grundschule) und Matthias Kocks (Willy-Brandt-Gesamtschule) aber nur dann Sinn machen, wenn allen Schülern, wie zum Beispiel in Lübeck, über ein Förderbudget für arme Kinder ein kostenfreies Mittagessen und eine Finanzierung der schulischen Grundausstattung, respektive der Teilnahmen an Schulprojekten ermögliche. Für 

Elena Stanowski vom Kinderschutzund können gut gemeinte Förderprogramme wie das Bildungs- und Teilhabepaket BUT ihre oft durch Arbeitslosigkeit und andere soziale Probleme Adressaten nur erreichen, wenn die Beantragung entbürokratisiert würde. Außerdem fordert Stanwoski vor dem Hintergrund ihrer Erfahrungen aus der Eltern-Kind-Beratung die freien Träger von Kindertagesstätten zu mehr Flexibilität und Entgegenkommen auf, wenn es darum gehe, Kinder aus nicht-christlichen Zuwandererfamilien aufzunehmen und ihnen damit die für sie besonders notwendige Frühförderung zugute kommen zu lassen. Die Styrumer Schulsozialarbeiterin Doris Wieschermann glaubt, dass man Kinder aus bildungsfernen und materiell armen Elternhäusern nur dann aus dem Teufelskreis der sich vererbenden Armut befreien kann, wenn man die Förderdfizite in den Elternhäusern durch den verstärkten Einsatz von Schulsozialarbeitern kompensiere. Nur so könne man eine strukturelle Überforderung der Lehrer verhindern und Kindern aus den betroffenen Familien eine Entwicklungsperspektive eröffnen.

Für die Vorsitzende des Vereins, Hilfe für Frauen, Nicole Weyers kommt es darauf an, das Potenzial der besonders oft von Armut betroffenen alleinerziehenden Mütter zu heben, "in denen man ihnen nicht nur Bildung und ehrenamtliche Arbeit, sondern einen auskömmlich bezahlten Arbeitsplatz auf dem ersten Arbeitsmarkr verschafft."

Dieser Text erschien am 23. November 2018 un NRZ/WAZ

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