„Kirche
für alle oder Heiliger Rest“. Schon der Titel des Buches, das der katholische
Sozialdemokrat und Politikberater Erik Flügge im Medienforum des Bistums
vorstellt, provoziert.
Und Flügge will provozieren. Seine
steile These: 10 Prozent der Katholiken verbrauchen 90 Prozent der Kirchensteuern.
90 Prozent der katholischen Kirchenmitglieder, die sonntags nicht regelmäßig
zum Gottesdienst kommen, in keinem katholischen Verband aktiv sind und auch
nicht an Gemeindefesten teilnehmen, gehen leer aus.
Dabei empfiehlt Flügge das, was er
seiner derzeit ebenfalls in die Defensive geratenen Partei auch empfiehlt. „Machen
Sie Hausbesuche und sprechen Sie mit den Leuten, die sonntags nicht zur Kirche
kommen.“
„Können wir das. Wollen die das oder
stellen wir uns damit nicht auf die gleiche Ebene wie die Zeugen Jehovas?“
kommt eine Nachfrage aus dem Publikum. Flügge muss selber lachen und meint: „Anders,
als die Zeugen Jehovas, sollen Sie den Leuten keine fertige Botschaft aufs Auge
drücken, sondern sich für die Menschen und Ihre Anliegen und Fragen
interessieren, die zwar noch Kirchensteuer zahlen, aber nicht mehr zum aktiven
Kern der Kirche gehören.“
„Das meinen Sie aber nicht wörtlich
mit dem Hausbesuch?“ kommt eine weitere Nachfrage aus dem Auditorium. „Doch das
meine ich genau so wie ich es sage“, betont Flügge. Und eine Zuhörerin lässt
sich von ihm überzeugen: „Das haben wir mal in einem Neubaugebiet gemacht und
das kam gut an. Das sollten wir vielleicht wieder machen“, unterstützt die Frau
aus dem Publikum Flügges Missionsauftrag, den er natürlich nicht als solchen
versteht. Vielmehr geht es ihm um Impulse und die Horizonterweiterung, die die
Kirche braucht, um wieder auch bei den Menschen anzukommen, die es nicht als
dringendes Bedürfnis empfinden, sonntags die Heilige Messe zu besuchen.
Ein reifer Katholik im besten Alter
empfiehlt, von Flügges Buch inspiriert: „Wir brauchen als Kirche kein
Kirchenrecht und keine Dogmen. Wir müssen uns wieder auf den Kern, das
Evangelium Jesu, konzentrieren. Und wir brauchen mehr geistliche Anregung von
unseren Priestern und pastoralen Mitarbeitern.“ Der aktive Katholik, der nach
seiner eigenen Aussage schon manchen kritischen Briefwechsel mit der
Bistumsspitze hinter sich hat, glaubt, dass es der Liturgie des Gottesdienstes
gut tun könnte, wenn Priester nach der Predigt zur Diskussion bitten und auch
Kommentare und eigene Gedanken der Gemeindemitglieder in die Erklärung des Sonntagsevangeliums
zulassen.
Generalvikar Klaus Pfeffer, dem als
Diskutant an diesem von Vera Steinkamp glänzend, weil unaufdringlich, moderierten
Abend die Rolle des amtskirchlichen Advokaten zugedacht ist, lässt sich erst gar
nicht in diese Rolle hineindrängen. „Wie Erik Flügge bin ich auch der Ansicht,
dass es auch in Zukunft eine katholische Kirche geben wird, die gut sein wird,
auch wenn sie nicht mehr so sein wird, wie sie heute ist und wie wir älteren
sie noch kennengelernt haben.“ Unumwunden räumt Pfeffer dem
katholisch- sozialdemokratischen Kirchen-Revoluzzer Erik Flügge ein, „dass es
unserer Kirche nur guttun kann, wenn sie freier und offener wird, als sie es in
der Vergangenheit war und sich dabei vorurteilsfrei auf den
generationsübergreifenden Dialog mit allen ihren Mitgliedern einlässt.“
Dabei lässt eine aktive Katholikin aus
dem Publikum keinen Zweifel daran, dass ihr die Polarisierung zwischen der „Kirche
für alle“ und dem „heiligen Rest“ nicht schmeckt und auch nicht zielführend sein
kann. „Ich will mit meinem Buch zuspitzen, aufrütteln und anregen. Mir ist es
nicht wichtig, wer am Ende zu welcher Gruppe in der Kirche gehört“, entschärft
Flügge seine innerkirchliche Lagertheorie und macht deutlich, dass die Kirche
aus seiner Sicht nur dann eine gesellschaftlich relevante Zukunft haben wird,
wenn sie wie die kränkelnden Volksparteien, ihr Steuerzahlergeld nicht in
Steine und Strukturen, sondern in kommunikations- und seelsorgefähige Menschen
investiert.“ Dem will der Generalvikar nicht wiedersprechen. Er lässt aber auch
durchblicken, dass er die Beharrungskräfte und die Erwartungshaltungen im
System Kirche für stark und nur schwer veränderbar hält. Für Erik Flügge steht
auf jeden Fall fest: „Wir müssen in der katholischen Kirche den
institutionellen Egoismus überwinden, um die individuellen Fähigkeiten der
Katholiken, die sich bis zur Selbstaufgabe für ihr Kirche einsetzen, zur
Entfaltung zu bringen statt sie zu verschleißen.“
ZUR PERSON
Der Politikberater, Vortragsredner und
Buchautor Erik Flügge (Jahrgang 1986)
stammt aus Backnang/Baden-Württemberg. Bereits als Jugendlicher hat er sich in
der Katholischen Kirche, im Deutschen Roten Kreuz und in der SPD engagiert.
Nach dem Abitur studierte er ab 2005 in Tübingen Germanistik, katholische
Theologie und Politikwissenschaften. Er hat für die SPD unter anderem die
erfolgreichen Wahlkampagnen für die Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen
(2012) und in Niedersachsen (2017) geplant. Außerdem initiierte er für die
Deutsche Bischofskonferenz das öffentlichkeitswirksame Blog- und Buch-Projekt „Valerie
und der Priester“, in dem eine kirchenferne Journalistin ein Jahr mit einem
katholischen Priester aus dem Münsterland lebte und ihre Eindrücke von dessen
Alltag beschrieb. (valerieunderpriester.de)
Der aus dem Sauerland stammende
Generalvikar des Bistums Essen, Klaus Pfeffer, ist Verwaltungschef des Bistums
und des Stellvertreter des Bischofs. Er wurde 1963 geboren und engagierte sich
schon als Jugendlicher ehrenamtlich in der Katholischen Kirche. Bevor er an der
Ruhr-Universität katholische Theologie studierte und hauptberuflich in der
Katholischen Kirche arbeitete, war er als Zeitungsjournalist tätig. Nach seinem
Theologie-Studium arbeitete er als Diakon und Kaplan in Gelsenkirchen und
Essen. Nach einer Zusatzausbildung am
Jugendpastoralinstitut Don Bosco in Benediktbeuern wurde Pfeffer
zunächst Stadtjugendseelsorger in Duisburg, ehe er die Leitung des
bischöflichen Jugendamtes, des Jugendbildungsstätte
St. Altfried in Essen-Kettwig und die Aufgabe des
Diözesan-Jugendseelsorgers übernahm.
Dieser Text erschien am 30. Oktober 2018 im Neuen Ruhrwort
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