Es ist nicht einfach, Schüler zwei Stunden
lang mit einem Lebensbericht und einem anschließenden Gespräch zu fesseln.
Sally Perel kann es. 400 Jugendliche hören ihm in der Aula des Gymnasiums
Broich gebannt zu, als der 93-Jährige ihnen erzählt wie er als Jude den
Holocaust überlebte, weil er als Hitlerjunge und Wehrmachtssoldat in eine neue
Identität schlüpfte und damit den Willen seiner von den Nazis ermordeten Mutter
erfüllte: "Geh, Sally. Du musst leben!"
Die Jugendlichen haben ihre Begegnung mit
dem Zeitzeugen gut vorbereitet. Sie haben sich den 1990 gedrehten Film
"Hitlerjunge Salomon" angeschaut, der die Überlebensgeschichte Sally
Perels erzählt. Und sie haben sich zusammen mit ihren Geschichtslehrern Florian
Sauer und Seydi Güngör überlegt, welche Fragen sie dem Zeitzeugen aus
einer Zeit stellen wollen, die sie und ihre Eltern nur aus dem Geschichtsbuch
kennen. Am Ende seines ergreifenden Lebensberichtes sagt Perel seinen jungen
Zeitzeugen: "Die Geschichte ist die wichtigste Lehrmeisterin der Menschheit
und Zeitzeugen sind die besten Geschichtslehrer. Aber die Zeitzeugen meiner
Generation wird es nicht mehr lange geben. Doch jetzt, wo ihr meine
Lebensgeschichte gehört habt, seid auch ihr Zeitzeugen und ich gebe euch den
Auftrag, dass ihr das Gehörte und eure Erfahrungen an eure Kinder und
Kindeskinder weitergebt, damit sich eine menschliche Katastrophe wie sie meine
Generation erleben musste, niemals wiederholen kann."
Die Fragen, die Luisa Schleinitz (16), Tom
Herzberg (17), Till Herrmann (16) und Xenia Schetter (17) Sally Perel
stellvertretend für ihre Mitschüler stellen, zeigen, dass sie seine Botschaft
verstanden haben und seinen Auftrag angenommen haben. Und die brutal ehrlichen
Antworten, die sie von dem in Peine geborenen und heute in Israel lebenden
Sally Perel bekommen, zeigen, dass der Holocaust-Überlebende seinen Auftrag als
Zeitzeuge bis zuletzt zu seiner Lebensaufgabe macht. "Wie fühlen Sie sich
mit ihrer Lebensgeschichte, wenn Sie hier heute unter deutschen Jugendlichen
sitzen?", wollen seine jungen Interviewer wissen: "Ich spüre, dass
mein Überleben einen Sinn hat und dass ich meine Mission erfüllt habe, wenn ich
auch nur einen Jugendlichen, der mit rechtsextremen Ideen liebäugelt, durch
meine Lebensgeschichte eines besseren belehrt habe", sagt Perel.
"Wie sehen Sie die religiös
motivierten und begründeten Konflikte zwischen Juden, Christen und
Muslimen", fragen die Schüler nach. Perel antwortet: "Gott war nicht
in Auschwitz. Ich bin Atheist. Und deshalb sage ich, schafft heute die Religionen
ab und wir haben morgen Frieden, weil jede Religion für ihren Gott kämpft und
die Anhänger anderer Religionen als Götzendiener ansieht." In der nächsten
Fragerunde wollen die Jugendlichen wissen, was aus Perels Bruder geworden ist,
der das KZ Dachau überlebt hat, aber inzwischen verstorben ist. "Mein
älterer Bruder war für mich mehr Vater als Bruder. Als wir uns 1945 wiedersahen
und in die Arme fielen, haben wir wild gelacht. Und er hat mir die Kraft für
das Weiterleben gegeben, in dem er mir sagte: 'Mir ist egal wie du überlebt
hast. Mir ist nur wichtig, dass du überlebt hast" erklärt Perel.
"Bereuen Sie rückblickend eine
Entscheidung", wollen die Schüler wissen. "Ich bereue nichts. Denn
hätte ich mich anders verhalten als ich es getan habe, säße ich heute nicht
unter Ihnen. Ich habe mich für das Leben entschieden. Denn ich wollte
leben", lässt der Zeitzeuge seine jungen Gesprächspartner wissen. Und zum
Schluss ihres Zeitzeugengesprächs wollen die Broicher Gymnasiasten von dem in
Deutschland geborenen und aufgewachsenen Israeli erfahren, ob er im Nahen Osten
einen Weg zum Frieden sieht. "Ich bin in der israelischen Friedensbewegung
aktiv, weil ich glaube, dass man dem Frieden nachlaufen muss. Wenn ein Frieden
funktionieren soll, muss er gerecht sein. Und das bedeutet für mich. Die
israelischen Siedler müssen aus den besetzten Gebiete räumen und es muss neben
dem Staat Israel eine Staat Palästina mit der Hauptstadt Ost-Jerusalem
entstehen."
Nach ihrem Zeitzeugeninterview, dass nicht
nur ihre Geschichtslehrer beeindruckt, sind sich Xenia, Luisa, Tom und Till
einig: "Viele Fakten haben wir vorher schon gekannt. Doch das Gespräch mit
dem Zeitzeugen Sally Perel hat uns emotional bewegt und uns eine viel tiefer
gehende Vorstellung davon vermittelt, was während des Nationalsozialismus
passiert ist."
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