Samstag, 23. Dezember 2017

Weihnachten 1917: Auch die Mülheimer schwankten vor 100 Jahren zwischen Hunger, Durchhaltewillen und Friedenshoffnung

Soldaten feiern Weihnachten im "Deutschen Haus" an der Eppinghofer Straße
Foto: Stadtarchiv Mülheim an der Ruhr
www.stadtarchiv-mh.de
Vor 100 Jahren wird das Weihnachtsfest vom Ersten Weltkrieg überschattet. Ein Blick in die Mülheimer Zeitung vom 24. Dezember 1917 zeigt es. Das Blatt macht damals mit einem Artikel über die deutsch-russischen Friedensverhandlungen in Brest-Litowsk auf. Neben dem Aufmacher heißt es in einem patriotischen Gedicht: „Nicht Pracht und Glanz ist uns beschieden in dieser harten Zeit Nicht reiche Gaben, wie im Frieden. Noch tobt der harte Völkerstreit. Zum vierten Mal in heiliger Nacht, umtost vom wilden Kriegsgedröhne, stehen fern ab der Heimat im Felde die Heldensöhne.“

Im Lokalteil finden sich mehrere Berichte über Lebensmitteldiebstähle. Sie werfen ein Licht auf die strikte Lebensmittelrationierung. Der vierte Kriegswinter geht als Steckrüben-Winter in die Geschichte ein. Auch in Mülheim wird gehungert. Selbst die Futtermittel werden knapp. Deshalb richtet die Stadt in Broich eine Pferde-Brot-Bäckerei ein.

Neben den Personal-Nachrichten, in denen vor allem darüber berichtet wird, welche Soldaten aus dem seit 1899 in Mülheim stationierten Infanterieregiment 159 befördert oder mit dem Eisernen Kreuz ausgezeichnet worden sind, findet man auch in der Heilig-Abend-Ausgabe 1917 die Traueranzeige der Lederfabrik Coupienne, die ihrem Arbeiter Hermann ter Jung gewidmet ist, der, wie es dort im Propaganda-Deutsch heißt: „auf dem Felde der Ehre den Heldentod gefunden hat  und dem wir deshalb ein ehernes Andenken bewahren.“

Gleich neben den Traueranzeigen stehen, und das reichlich, Verlobungsanzeigen. Wahrscheinlich stehen diese Verlobsanzeigen im Zusammenhang, mit dem Aufruf an alle Wehrpflichtigen der Jahrgänge 1896, 1897 und 1898, sich bis zum 15 Januar im Rathaus-Zimmer 8 zur Rekrutierung zu melden.

Neben einer öffentlichen Bekanntmachung, dass jetzt alle Zelt- und Segelstoffe für die Truppen an der Front beschlagnahmt werden, finden sich im Anzeigenteil der Lokalzeitung auch die Hinweise auf das Weihnachtsprogramm der Mülheimer Kinos und auf das „Große Militärische Weihnachtskonzert der Garnisonskapelle.“ Wer dem Kriegsalltag an der Heimatfront entfliehen will, der kann an den Weihnachtstagen 1917 im Apollo-Lichtspiel die Stummfilm-Lustspiele „Die Nichte aus Amerika“ und: „Die Wacht am Stammtisch“ sehen.

Wer die Kriegswirklichkeit daheim und an den Fronten nicht sehen will, der klammert sich an den in der Mülheimer Zeitung veröffentlichten Weihnachtsgruß des Generalfeldmarschalls Paul von Hindenburg. Der wird seit seinem Sieg über  die 1914 in Ostpreußen eingefallene russische Truppen als „Held von Tannenberg“ verehrt. Hindenburg, nach dem seit 1916 der frühere Notweg und  die heutige Friedrich-Ebert-Straße benannt ist, schreibt in seinem Weihnachtsgruß an die Leser der Mülheimer Zeitung: „Der Segen Gottes ruhte 1917 auf unseren Waffen. Er wird unsere Sache 1918 zu einem guten Ende führen.“ Es wird anders kommen. Am 13. Dezember 1918, einen Monat nach dem Waffenstillstand, der für Deutschland einer bedingungslosen Kapitulation gleich kommt, kehren die überlebenden Soldaten des Infanterieregiments 159 nach Mülheim zurück. 3500 ihrer Kameraden haben dieses Glück nicht. Sie sind an der Westfront gefallen und sehen ihre Heimat nie wieder.

Dieser Text erschien am 21. Dezember 2017 in der Neuen Ruhr Zeitung

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