Samstag, 27. Januar 2018

Wie die katholischen Sozial- und Wirtschaftsverbände den Standort Deutschland sehen

Menschen stehen auf der Straße, weil sie ihren Arbeitsplatz verloren haben oder um seinen Verlust fürchten müssen. Laut Focus haben die großen deutschen Unternehmen im abgelaufenen Jahr mehr als 50.000 Stellen abgebaut. Gleichzeitig ergibt eine Umfrage der Unternehmensberater und Wirtschaftsprüfer von Ernst und Young, dass 76 Prozent der 100 umsatzstärksten börsennotierten Unternehmen ihre Gewinne 2017 steigern konnten und ihre Mitarbeiterzahl um 4,9 Millionen gesteigert haben. Dazu passt, dass das Bruttoinlandprodukt um 2,2 Prozent angestiegen ist und somit das größte Wirtschaftswachstum seit sechs Jahren und mit 2,5 Millionen Arbeitslosen die niedrigste Arbeitslosenzahl seit der Wiedervereinigung zu verzeichnen ist.  Dabei zeigt die Ernst-and-Young-Umfrage, dass die Industrieunternehmen und die Exporte in die Länder der Europäischen Union das Rückrat der deutschen Volkswirtschaft bilden, während Deutschland in den Bereichen Dienstleistung und Digitalisierung im Vergleich zu anderen wirtschaftsstarken Nationen, wie etwa den USA, noch Nachholbedarf hat. Alles in bester Ordnung? Ein Blick in die Statistiken der Bundesagentur für Arbeit zeigt ein differenziertes Bild. Bundesweit liegt die Arbeitslosenquote bei 5,3 Prozent. In den wirtschaftsstarken Bundesländern Baden-Württemberg und Bayern sind es drei Prozent. In Bundesländern, die strukturschwach oder im Strukturwandel begriffen, sind, wie Nordrhein-Westfalen oder Sachsen-Anhalt, schwanken die Arbeitslosenquoten zwischen sieben und neun Prozent. 35 Prozent der Erwerbslosen sind länger als ein Jahr erwerbslos. Gleichzeitig gelten ein Viertel der deutschen Arbeitnehmer, als prekär beschäftigt, weil ihr Arbeitsplatz schlecht bezahlt und zeitlich befristet ist.
Was sagen Vertreter der katholischen Wirtschafts- und Sozialverbände zu dieser janusköpfigen Wirtschaftslage?
Für den Essener Diözesan-Vorsitzenden des Verbandes der Katholiken in Wirtschaft und Verwaltung, Michael Höttger, steht fest:
„Umsatz- und Gewinnsteigerung sind grundsätzlich etwas Positives und kommen in der Regel auch den Beschäftigten 
zu gute, wie deren gestiegene Zahl belegt. Dank dieser Entwicklung herrscht auch und gerade in unserem Land 
nahezu Vollbeschäftigung, auch wenn die Zahl der prekären Arbeitsverhältnisse zugenommen hat. Im Bereich der umsatzstarken 
Unternehmen sollte es hingegen kaum prekäre Beschäftigung geben. Und selbst ein prekäres Beschäftigungsverhältnis ist aus 
meiner Sicht für das Selbstgefühl und Selbstverständnis eines Betroffenen immer noch besser als gar keins. Sei die Aufgabe auch 
noch so gering oder schlecht bezahlt, so gibt sie dem Individuum doch eine Richtung und einen Anker und das Gefühl, 
gebraucht zu werden.“

Der Bundesvorsitzende der katholischen Unternehmer, Prof. Dr. Ulrich Hemel sieht mit Blick auf die Ernst-and-Young-Umfrage vor allem die Notwendigkeit, in Deutschland, Qualifikation und Innovation zu stärken und gleichzeitig die Unternehmen mit weniger Bürokratie und einem einfacheren Steuersystem zu entlasten und sie so handlungsfähiger zu machen. Vor dem Hintergrund der Digitalisierung, sagt Hemel: „Wir müssen uns in Deutschland langfristig auf weniger Industrie einstellen. Wir sollten das Kind aber auch nicht mit dem Bad ausschütten. Deutschland braucht einen guten Mix aus Industrie und Dienstleistung. Gleichzeitig werden sich die Industriearbeitsplätze im Rahmen der Digitalisierung aber auch verändern.“
Auch für den Bundesvorsitzenden der Katholischen Arbeitnehmerbewegung, 

Andreas Luttmer-Bunsmann steht fest, „dass auch in den kommenden Jahren der industrielle Sektor in Bezug auf die Außenhandelsbilanz der Bundesrepublik Deutschlands weiterhin das Rückgrat der deutschen Wirtschaft sein wird.“ Mit Blick auf die zwangsläufigen Folgen, die die voranschreitende Digitalisierung für die Industrie und ihre Arbeitsplätze haben wird, sagt der KAB-Chef: „Wichtig ist, dass diese wirtschaftliche Entwicklung sozial und ökologisch nachhaltig ist und nicht an den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern vorbeigeht. Positiv ist daher die Forderung der IG Metall in der aktuellen Tarifrunde, die wöchentliche Arbeitszeit zurückzufahren. Inwieweit die Entwicklung gut ist, hängt in entscheidendem Maße davon ab, ob es gelingt, alle Bürgerinnen und  Bürger an dieser Entwicklung nicht nur der Top-100-Unternehmen teilhaben zu lassen. Nach wie vor durchzieht unsere Gesellschaft,  auch aufgrund der wirtschaftlichen Entwicklung, eine tiefe soziale Spaltung.“

Dieser Text erschien am 25. Januar 2018 in der Tagespost

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