Montag, 18. September 2017

Oskar Dierbach: Was uns trägt, ein Interview zu den Mülheimer Bibeltagen

Oskar Dierbach
In Mülheim finden an diesem Wochenende wieder ökumenische Bibeltage statt, diesmal inspiriert vom Bibelwort: „Einen andern Grund kann niemand legen außer dem, der gelegt ist, welcher ist Jesus Christus.“

 Der 1954 als Sohn eines Maurers im Ruhrgebiet geborene und aufgewachsene Oskar Dierbach ist im Christlichen Verein junger Menschen groß geworden. Er hat eine lange Erfahrung in der christlichen Jugend- und Sozialarbeit. Seit fast 30 Jahren arbeitet der Pflegedienstleiter des Hauses Ruhrgarten in der Altenpflege. Zusammen mit engagierten Christen aller Konfessionen organisiert er, alljährlich im September, die Mülheimer Bibeltage. Was treibt ihn und seine Mitstreiter an, die am 16. und 17. September in den Altenhof an der Kaiserstraße einladen? 


Warum braucht es Bibeltage? Was können Bibeltage leisten, was ein Gottesdienst oder die persönliche Bibellektüre nicht leisten können?

Die Bibeltage sind ein offenes Begegnungsforum für Menschen, die aus ganz unterschiedlichen gemeindlichen Zusammenhängen kommen. Es sind fragende und interessierte Menschen, die hier Gemeinschaft erleben und Impulse für ihr Leben bekommen wollen. Unsere gemeinsame Grundlage ist die Bibel. Auf dieser Grundlage ist viel Platz für unterschiedliche Denkansätze und Lebensstile. Das spiegelt sich in der Diskussion aber auch in den Impulsen, die unsere Referenten geben. Hier treffen sich Menschen, die sich sonst selten oder gar nicht sehen, aber an diesen beiden Bibeltagen voneinander lernen und sich gegenseitig befruchten können. Die Begegnungen der Bibeltage ermutigen und korrigieren Menschen in ihrem Glauben und weiten so den Blick. Sie beugen damit der latenten Gefahr einer geistigen Engstirnigkeit vor.

Wie erklären Sie sich den Widerspruch, dass immer mehr Menschen den christlichen Kirchen den Rücken kehren und sich gleichzeitig nach mehr Sinn, ethischen Werten und Orientierung für ihr Leben sehnen?

Ich erlebe es, das dort, wo die biblische Botschaft Jesu in die konkrete Lebenssituation von Menschen so hinein gesagt wird, das sie diese Botschaft auch verstehen und  für sich selbst nachvollziehen können, das dort dann auch ein großes Interesse entsteht. Ich treffe bei den Bibeltagen Menschen, die hart arbeiten, die arbeitslos sind, die sich fragen, wie sie ihre Kinder vernünftig erziehen und ihre Beziehung gestalten können und die nach der Relevanz der Frohen Botschaft fragen. Und wenn diese Menschen, die eine Schippe tiefer graben wollen, dann durch Gespräche, Impulse und Lektüre erfahren, dass die Bibel auch für ihr ganz eigenes Leben eine reiche Quelle ist, dann haben die Bibeltage ihr Ziel erreicht.

Aber was machen dann die Kirchen falsch, die das gleiche Ziel für sich in Anspruch nehmen?

Auch Pfarrer wollen die Frohe Botschaft in unsere Zeit und in unseren Alltag übersetzen. Den einen gelingt es und den anderen eben nicht. Meine Erfahrung ist, dass auch Gottesdienste und Gemeindegruppen gut besucht sind, in denen es gelingt. Anders, als noch vor 50 Jahren, kommen die Menschen heute nicht mehr aus traditioneller Verbundenheit in die Kirche, weil auch ihre Eltern und Großeltern dazu gehörten. Das gilt nicht nur für die Kirchen. Das gilt auch für Vereine, Verbände und Parteien. Menschen fragen sich heute: Was hat das mit mir zu tun? Wo komme ich da vor. Und deshalb hat der Sportverein Zulauf, in dem Menschen erleben: Es mach Freude, hier gemeinsam Sport zu betreiben. Und das gilt im übertragen Sinn auch für Kirchengemeinden, in denen Menschen erleben: Die Frohe Botschaft Jesu ist eine Botschaft für mich und mein Leben, weil sie dort Menschen treffen, die ihren Glauben leben und so in unsere heutige Zeit übersetzen.

Kann man die über 2000 Jahre alte Botschaft des Jesus von Nazareth heute leben? Kann man damit auch Politik und einen Staat machen oder steckt nicht in ihrer moralischen Rigorosität nicht auch ein Stück Überforderung?

„Die Wahrheit wird euch frei machen“, sagt Jesus. Da kann man sich fragen: Kann ich es mir überhaupt leisten, die Wahrheit zu sagen? Gehört nicht ein bisschen Flunkern und mehr Schein als Sein zum politischen und gesellschaftlichen Überleben?

Wenn ich als Politiker die Wahrheit sage, verliere ich womöglich die Wahl.

Zum Beispiel. Oder ich bekomme als Geschäftsmann vielleicht weniger Kunden. Ich selbst habe in meinem Beruf immer wieder die Erfahrung gemacht, dass es enorm befreiend wirkt, wenn man sich in einem geschützten Raum hinter verschlossenen Türen, jenseits der Mainstream-Kommunikation die Wahrheit sagt, ohne dabei zu fragen: Wer ist schuld? Sondern, um zu fragen: Welche Probleme haben wir und wie können wir sie gemeinsam lösen? Wer die Evangelien liest, merkt schnell: Da stecken Grundwahreheiten drin, mit denen man auch heute sehr gut leben kann, wenn man sich denn darauf einlässt und die Bibel nicht nur als Stichwortgeber für nette Lebensweisheiten ansieht.

Wie haben Sie das Thema für die Bibeltage 2017 gefunden und wie wollen Sie es mit Leben füllen?

Wir haben uns im 500. Jahre der Reformation von Martin Luther inspirieren lassen. Wie wir lebte Luther in einer Zeit großer sozialer und politischer Verwerfungen. Bevor er die Kirche, die den Menschen Angst machte und sie ausnahm, reformieren wollte, fragte er sich nach seiner eigenen Mitte und danach, wo er Gott in seinem Leben mit all seinen Widersprüchen finden könne. Unsere Frage im Sinne Luthers lautet also: Wie finden wir heute in unserer Zeit Mitte und Orientierung und das so, dass auch unsere Zeitgenossen verstehen, was uns als Christen trägt? Dafür haben wir uns Seelsorger, Jugendarbeiter und Wissenschaftler eingeladen, um ihre Denkanstöße aufzunehmen, aber auch mit ihnen zu diskutieren, zu singen, zu beten und die Bibel zu lesen. Denn so, wie Luther zu seiner Zeit die Bibel ins Deutsche übersetzt hat, so müssen wir heute die Bibel in unsere Zeit hinein transportieren und uns auf die von Luther postulierte Freiheit eines Christenmenschen besinnen, um unseren Glauben in einer zunehmend multikulturellen und multireligiösen Welt profiliert leben zu können, ohne uns abschotten und auf anderen herabschauen zu müssen.

Internet-Informationen zu den Mülheimer Bibeltagen findet man unter www.bibeltage-mülheim.de oder per E-Mail an:  info@bibeltage-mülheim.de


Dieser Text erschien am 16. September 2017 im Neuen Ruhr Wort

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Wo die Kumpel zuhause waren

  Der Mülheimer Bergbau ist Geschichte. 1966 machte mit Rosen Blumen gelle die letzte Zeche dicht Punkt Mülheim war damals die erste Bergbau...