Oskar Dierbach |
In Mülheim
finden an diesem Wochenende wieder ökumenische Bibeltage statt, diesmal
inspiriert vom Bibelwort: „Einen andern Grund kann niemand legen außer dem, der
gelegt ist, welcher ist Jesus Christus.“
Der 1954 als Sohn eines Maurers im Ruhrgebiet geborene und aufgewachsene Oskar Dierbach ist im Christlichen Verein junger Menschen groß geworden. Er hat eine lange Erfahrung in der christlichen Jugend- und Sozialarbeit. Seit fast 30 Jahren arbeitet der Pflegedienstleiter des Hauses Ruhrgarten in der Altenpflege. Zusammen mit engagierten Christen aller Konfessionen organisiert er, alljährlich im September, die Mülheimer Bibeltage. Was treibt ihn und seine Mitstreiter an, die am 16. und 17. September in den Altenhof an der Kaiserstraße einladen?
Warum braucht es Bibeltage? Was
können Bibeltage leisten, was ein Gottesdienst oder die persönliche
Bibellektüre nicht leisten können?
Die
Bibeltage sind ein offenes Begegnungsforum für Menschen, die aus ganz
unterschiedlichen gemeindlichen Zusammenhängen kommen. Es sind fragende und
interessierte Menschen, die hier Gemeinschaft erleben und Impulse für ihr Leben
bekommen wollen. Unsere gemeinsame Grundlage ist die Bibel. Auf dieser
Grundlage ist viel Platz für unterschiedliche Denkansätze und Lebensstile. Das
spiegelt sich in der Diskussion aber auch in den Impulsen, die unsere
Referenten geben. Hier treffen sich Menschen, die sich sonst selten oder gar
nicht sehen, aber an diesen beiden Bibeltagen voneinander lernen und sich
gegenseitig befruchten können. Die Begegnungen der Bibeltage ermutigen und
korrigieren Menschen in ihrem Glauben und weiten so den Blick. Sie beugen damit
der latenten Gefahr einer geistigen Engstirnigkeit vor.
Wie erklären Sie sich den
Widerspruch, dass immer mehr Menschen den christlichen Kirchen den Rücken
kehren und sich gleichzeitig nach mehr Sinn, ethischen Werten und Orientierung
für ihr Leben sehnen?
Ich erlebe
es, das dort, wo die biblische Botschaft Jesu in die konkrete Lebenssituation
von Menschen so hinein gesagt wird, das sie diese Botschaft auch verstehen
und für sich selbst nachvollziehen
können, das dort dann auch ein großes Interesse entsteht. Ich treffe bei den
Bibeltagen Menschen, die hart arbeiten, die arbeitslos sind, die sich fragen,
wie sie ihre Kinder vernünftig erziehen und ihre Beziehung gestalten können und
die nach der Relevanz der Frohen Botschaft fragen. Und wenn diese Menschen, die
eine Schippe tiefer graben wollen, dann durch Gespräche, Impulse und Lektüre
erfahren, dass die Bibel auch für ihr ganz eigenes Leben eine reiche Quelle
ist, dann haben die Bibeltage ihr Ziel erreicht.
Aber was machen dann die Kirchen
falsch, die das gleiche Ziel für sich in Anspruch nehmen?
Auch Pfarrer
wollen die Frohe Botschaft in unsere Zeit und in unseren Alltag übersetzen. Den
einen gelingt es und den anderen eben nicht. Meine Erfahrung ist, dass auch
Gottesdienste und Gemeindegruppen gut besucht sind, in denen es gelingt.
Anders, als noch vor 50 Jahren, kommen die Menschen heute nicht mehr aus traditioneller
Verbundenheit in die Kirche, weil auch ihre Eltern und Großeltern dazu
gehörten. Das gilt nicht nur für die Kirchen. Das gilt auch für Vereine,
Verbände und Parteien. Menschen fragen sich heute: Was hat das mit mir zu tun?
Wo komme ich da vor. Und deshalb hat der Sportverein Zulauf, in dem Menschen
erleben: Es mach Freude, hier gemeinsam Sport zu betreiben. Und das gilt im
übertragen Sinn auch für Kirchengemeinden, in denen Menschen erleben: Die Frohe
Botschaft Jesu ist eine Botschaft für mich und mein Leben, weil sie dort
Menschen treffen, die ihren Glauben leben und so in unsere heutige Zeit
übersetzen.
Kann man die über 2000 Jahre alte
Botschaft des Jesus von Nazareth heute leben? Kann man damit auch Politik und
einen Staat machen oder steckt nicht in ihrer moralischen Rigorosität nicht
auch ein Stück Überforderung?
„Die
Wahrheit wird euch frei machen“, sagt Jesus. Da kann man sich fragen: Kann ich
es mir überhaupt leisten, die Wahrheit zu sagen? Gehört nicht ein bisschen
Flunkern und mehr Schein als Sein zum politischen und gesellschaftlichen
Überleben?
Wenn ich als Politiker die Wahrheit
sage, verliere ich womöglich die Wahl.
Zum
Beispiel. Oder ich bekomme als Geschäftsmann vielleicht weniger Kunden. Ich
selbst habe in meinem Beruf immer wieder die Erfahrung gemacht, dass es enorm
befreiend wirkt, wenn man sich in einem geschützten Raum hinter verschlossenen
Türen, jenseits der Mainstream-Kommunikation die Wahrheit sagt, ohne dabei zu
fragen: Wer ist schuld? Sondern, um zu fragen: Welche Probleme haben wir und
wie können wir sie gemeinsam lösen? Wer die Evangelien liest, merkt schnell: Da
stecken Grundwahreheiten drin, mit denen man auch heute sehr gut leben kann,
wenn man sich denn darauf einlässt und die Bibel nicht nur als Stichwortgeber
für nette Lebensweisheiten ansieht.
Wie haben Sie das Thema für die
Bibeltage 2017 gefunden und wie wollen Sie es mit Leben füllen?
Wir haben
uns im 500. Jahre der Reformation von Martin Luther inspirieren lassen. Wie wir
lebte Luther in einer Zeit großer sozialer und politischer Verwerfungen. Bevor
er die Kirche, die den Menschen Angst machte und sie ausnahm, reformieren
wollte, fragte er sich nach seiner eigenen Mitte und danach, wo er Gott in
seinem Leben mit all seinen Widersprüchen finden könne. Unsere Frage im Sinne
Luthers lautet also: Wie finden wir heute in unserer Zeit Mitte und
Orientierung und das so, dass auch unsere Zeitgenossen verstehen, was uns als
Christen trägt? Dafür haben wir uns Seelsorger, Jugendarbeiter und
Wissenschaftler eingeladen, um ihre Denkanstöße aufzunehmen, aber auch mit
ihnen zu diskutieren, zu singen, zu beten und die Bibel zu lesen. Denn so, wie
Luther zu seiner Zeit die Bibel ins Deutsche übersetzt hat, so müssen wir heute
die Bibel in unsere Zeit hinein transportieren und uns auf die von Luther
postulierte Freiheit eines Christenmenschen besinnen, um unseren Glauben in
einer zunehmend multikulturellen und multireligiösen Welt profiliert leben zu
können, ohne uns abschotten und auf anderen herabschauen zu müssen.
Internet-Informationen zu
den Mülheimer Bibeltagen findet man unter www.bibeltage-mülheim.de oder per
E-Mail an: info@bibeltage-mülheim.de
Dieser Text erschien am 16. September 2017 im Neuen Ruhr Wort
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