Beim Namen
Thyssen denkt man an Stahl, Kohle und große Industriewerke. Man staunt, wenn
man das erste Verwaltungsgebäude und Materiallager sieht, das August Thyssen in
Styrum errichten ließ. Dabei handelte es sich um einen umgebauten Schuppen des
ehemaligen Heckhoff-Hofes. Angesichts der Entwicklung, die der Thyssen-Konzern
später nahm, wirken seine Anfänge äußerst bescheiden.
Seine
Keimzelle war die Kommandit-Gesellschaft Thyssen und Co, die der damals
28-jährige August Thyssen zusammen mit seinem Vater Friedrich 1871 in Styrum
gründete. Mit einem Startkapital von 70.000 Talern ging Thyssen ans Werk.
Eigentlich
hatte er ein Grundstück auf dem Styrumer Marktplatz erwerben wollen, wo 1893
ein Rathaus für die zwischen 1878 und 1903 eigenständige Landbürgermeisterei
Styrum errichtet werden sollte. Doch das Geschäft platzte und der
Unternehmensgründer musste sich nach einer Alternative umschauen. Er fand sie
bei Gustav Becker, der ihm zunächst 20.000 Quadratmeter des Heckhoff-Landes
verkaufte. Hier ließ Thyssen nicht nur besagten Schuppen umbauen. Hier ließ er
auch eine 100 Meter lange Werkshalle errichten, die einen eigenen Bahnanschluss
hatte. Außerdem ließ sich Thyssen auf seinem Werksgelände fünf Puddelöfen, eine
160 PS starke Dampfmaschine, eine Bandeisenstraße und eine Luppen-Eisen-Straße
installieren.
Sein
Werksgelände lag zwischen dem Bahnhof Styrum und dem späteren Hauptbahnhof, den
wir heute als Bahnhof West kennen. Das war für den Unternehmer eine logistisch
hervorragende Lage. Denn sein Werk, dessen Mitarbeiter-Zahl bis 1877 auf 300
anstieg und damals 3000 Tonnen Eisen produzierte, befand sich damit im
Kreuzungsbereich der Rheinischen und der Bergisch-Märkischen Eisenbahn. Auch
wenn Styrum mit dem Beginn des Eisenbahnverkehrs im März 1862 in einen Teil
„vor“ und einen Teil „hinter“ der Bahnteilte, brachte die Industrialisierung
Styrum einen enormen Aufschwung. Aus allen Provinzen des Deutschen Reiches und
seinen Nachbarländern kamen Menschennach Styrum, um hier bei Thyssen Arbeit zu
finden. So verzehnfachte sich die Bevölkerung Styrums in der zweiten Hälfte des
19. Jahrhunderts und lag um 1900 bei 31.000 Einwohnern.
Thyssen, der
sein Unternehmen zunächst mit seinem Vater Friedrich und nach dessen Tod mit
seinem zwei Jahre jüngeren Bruder Josef führte, war nicht nur an reiner
Gewinnmaximierung interessiert. Damit er die Arbeiter und ihre Familien an sich
binden konnte, ließ er nicht nur Werkswohnungen errichten. 1878 initiierte er
die Gründung eines Werkschores, den wir heute als Mannesmann-Chor kennen.
Auch der Bau
der 1897 eingeweihten Styrumer Marienkirche und des 1912 eröffneten Mülheimer
Stadtbades wurden von Thyssen mitfinanziert. Außerdem Gründete er mit Hugo
Stinnes den Mülheimer Bergwerksverein und das Rheinisch-Westfälische
Elektrizitätswerk. Beruflich legte Thyssen Wert auf Repräsentation. Davon
zeugen seine spätere Firmenzentrale, das heutige Haus der Wirtschaft an der
Wiesenstraße und sein späterer Wohnsitz Schloss Landsberg. Doch privat war
Thyssen sehr sparsam und ersparte sich das Brückengeld, in dem er die von 1844
bis 1900 existierende Kettenbrücke nur zu Fuß und nicht mit seiner Kutsche
überquerte.
Als August
Thyssen 1926 starb, wurde der Wert seines Unternehmens auf 400 Millionen
Reichsmark geschätzt. Der größte Teil der Thyssen-Werke ging nach dem Tod des
Firmengründers in den Vereinigten Deutschen Stahlwerken auf.
Ein Beitrag für den 5. Band der Buchreihe "Styrum - ein starkes Stück Stadt"
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