Freitag, 22. Oktober 2021

Mülheims Einflugschneise

 Als dort tätiger Fluglehrer und Pilot interessiert sich Johann Toerner für die Geschichte des Flughafens Essen-Mülheim. Dazu recherchiert er nicht nur im Stadtarchiv, sondern auch in den Archiven des Bundes und des Westdeutschen Wetterdienstes.


Der Fluglehrer und Pilot 
möchte ein Buch zur Geschichte des Flughafens schreiben. Dafür hat er bereits 1600 Text- und Bilddokumente gesichtet und ausgewertet. „Derzeit konzentriere ich mich auf die Vorkriegsgeschichte des Flughafens. Mich begeistert, dass hier damals mit simplen technischen Mitteln viel erreicht wurde“, sagt Toerner, der in Bottrop lebt.„Die Leidenschaft für die Fliegerei habe ich von meinem Großvater geerbt. Er war Pilot bei der deutschen Luftwaffe im Zweiten Weltkrieg. Vom Krieg hat er wenig erzählt, aber viel von seiner Begeisterung für die Flugzeugtechnik. Das ist auf mich übergesprungen“, berichtet der 34-jährige Toerner.

Von Anfang an wurde übrigens kontrovers über die Wirtschaftlichkeit des Flughafens diskutiert. Die Anfänge waren bescheiden. Die ersten Flughafengebäude waren ein altes Schulhaus und aus Holz errichtete Abfertigungs- und Flugzeughallen. Zum ersten Geschäftsführer des Flughafens wurde Stadtoberbaurat Artur Brocke berufen. Ihn sollten die Nationalsozialisten 1933 mit falschen Korruptionsvorwürfen in den Selbstmord treiben.

Johann Toerner weiß, dass nicht nur Passagiere, sondern auch Pakete, Briefe und eilige Waren wie Tulpen aus Amsterdam über den Flughafen Essen-Mülheim ein- und ausgeflogen wurden. „Die Eröffnung des Flughafens,“ so Toerner, war erst am 31. August 1925 möglich, nachdem die französischen und belgischen Besatzungstruppen, die 1923 ins Ruhrgebiet einmarschiert waren, um Reparationen einzutreiben, wieder abgezogen waren. Eigentlich sollte der Flughafen Essen-Mülheim bereits im Frühjahr 1925 eröffnet werden.“

In seinen ersten Jahren machte der Flughafen in Raadt nicht nur positive Schlagzeilen. 1927 kam bei einem Flugtag ein Schüler ums Leben und viele weitere Menschen wurden verletzt, weil ein Kunstflieger, der Schokolade abwarf, die Kontrolle über seine Maschine verlor und in die Menschenmenge stürzte. Wie durch ein Wunder überlebten 1930 alle Piloten und Passagiere den Absturz einer schweizerischen Maschine. Sie hatte beim Anflug auf den Flughafen einen Werksschornstein gestreift.

Auch Nachtflüge waren ab 1929 möglich, weil der Flughafen mit einer Beleuchtung ausgestattet wurde. Ab 1938 verfügte der Flughafen Essen-Mülheim außerdem über ein Instrumentenlandesystem, das bei Nacht- und Schlechtwetterflügen zum Einsatz kam.

Tatsächlich hatte der von der betriebene Flughafen bis 1939 seine beste Zeit. Damals wurden von Essen-Mülheim aus die europäischen Hauptstädte Berlin, London, Amsterdam, Brüssel oder Paris angeflogen. In den frühen 1930er-Jahren starteten und landeten jährlich zwischen 5000 rund 15.000 Passagiere auf dem Flughafen.

Ab 1933 landeten hier auch viele Regierungsmaschinen, um etwa Adolf Hitler, Joseph Goebbels, Hermann Göring oder Heinrich Himmler zu Parteiveranstaltungen oder zu Besuchen bei ihren Förderern aus der Ruhrindustrie (Emil Kirdorf und Fritz Thyssen) zu bringen, die sie bereits vor.1933 unterstützt hatten.

„Mit dem Flugzeug zu reisen, war um 1930 purer Luxus, den sich nur reiche Menschen leisten konnten“, weiß Toerner. Der vierstündige Flug nach Berlin habe 85 Reichsmark und damit fünf Prozent eines durchschnittlichen Jahreseinkommens gekostet.

1933/34 sein heutiges Hauptgebäude erhielt, spiegeln sich die Wechselfälle der deutschen Geschichte. Mit Beginn des Zweiten Weltkrieges wurde aus dem zivilen Flughafen ein militärischer Fliegerhorst. Der geplante Ausbau des Flughafengebäudes wurde auf Eis gelegt.

Während des Zweiten Weltkriegs befand sich am Flughafen ein „Arbeits- und Erziehungslager“. Dessen Insassen mussten schwerste Zwangsarbeit leisten. 1944 und 1945 wurde der Militärflughafen mehrfach Ziel alliierter Luftangriffe, bei denen auch viele Zivilisten starben. Der Volltreffer, den die Tankstelle des Flughafens abbekam, hinterließ einen riesigen Kater auf dem Flughafenareal. Ab Sommer 1945 nutzte die britische Militärregierung das Flughafengelände: als Parkplatz für ihre Lkw-Flotte.


NRZ/WAZ 20/10/2021



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