Sonntag, 26. Mai 2019

Wichtigen Fragen Gehör verschaffen


Katharina Jestaedt
Foto Katholisches Büro Berlin
In einem Gespräch, das ich für die katholische Wochenzeitung Neues Ruhrwort geführt habe, äußert sich die stellvertretende Leiterin des Katholischen Büros in Berlin, Katharina Jesteadt zum 70. Geburtstag des Grundgesetzes über das Verhältnis zwischen Kirche, Politik und Staat. 

Vor 70 Jahren entstand im Parlamentarischen Rat das Grundgesetz. Welchen Einfluss nahm die Katholische Kirche auf die damaligen Beratungen?



Der Kölner Domkapitular Wilhelm Böhler, wurde 1948 vom Kölner Erzbischof und Vorsitzenden der Fuldaer Bischofskonferenz, Kardinal Joseph Frings beauftragt, die im Zuge der Beratungen des parlamentarischen Rates eventuell notwendigen mündlichen Verhandlungen mit den katholischen Parlamentariern zu führen. Das war praktisch die Geburtsurkunde des institutionalisierten Kontaktes zwischen der katholischen Kirche und staatlich-politischen Instanzen. Man sagt, dass Prälat Böhler sehr engagiert und durchaus überzeugend agiert hat. So soll es etwa durchaus auch seinem Einfluss zu verdanken seien, dass Art. 7 Abs. 3 des Grundgesetzes in staatlichen Schulen grundsätzlich einen bekenntnisorientierten Religionsunterricht vorsieht.



Warum brauchen wir auch heute katholische Büros in der Bundeshauptstadt und in den Landeshauptstädten?



Es gibt so viele politische Themen, bei denen wir als Kirche jenen eine Stimme geben, die sonst kaum Gehör finden. Ich nenne nur die Fragen von Flucht und Vertreibung, von globaler Gerechtigkeit, den Schutz der Schöpfung oder den Lebensschutz. Auf all diesen und vielen weiteren Feldern ist unsere Stimmen wichtig, nicht zuletzt, weil wir uns hier als Kirchen glaubwürdig engagieren.

  

Die Zahl der Kirchenmitglieder geht zurück. Schwächt das den politischen Einfluss der katholischen Kirche und ihrer evangelischen Schwesterkirche?



Natürlich ist der Rückgang kirchlicher Bindungen in den Verwaltungen und im Deutschen Bundestag auch in unserer Arbeit spürbar, auch wenn in den politischen Eliten unseres Landes die religiöse Bindung der Politiker noch sehr deutlich spürbar ist. Wir führen übrigens auch sehr fruchtbare Diskussionen mit Politikern, die gar nicht religiös verankert sind.

Ob unser Einfluss im politischen Diskurs noch erheblich ist, hängt in erster Linie davon ab, ob wir überzeugend argumentieren und selber glaubwürdig sind. Für Letzteres ist etwa die Frage unseres Umgang mit dem sexuellen Kindesmissbrauch in der katholischen Kirche ganz entscheidend.



Man hört gelegentlich die Kritik, die katholische Kirche kümmere sich oft zu sehr um politische Fragen und vernachlässige die Aufgabe der Glaubensvermittlung. Was sagen Sie zu solcher Kritik? Früher gab es eine enge Koalition zwischen der Katholischen Kirche und den Christdemokraten.



Diese Kritik müssen wir natürlich ernst nehmen. Bevor wir uns zu einer politischen Frage äußern, stellen wir uns immer die Frage, ob es notwendig ist, dass die Kirche zu diesem oder jenem Thema Stellung bezieht. Allerdings stellen wir auch immer wieder fest, dass Politiker dieses Argument bemühen, wenn sie unsere Haltung zu einem bestimmten Thema einfach lästig finden.



Wie sieht es heute mit dem Verhältnis der Katholischen Kirche zu den politischen Parteien aus?



Das Katholische Büro ist mit allen im Deutschen Bundestag vertretenen Parteien im Gespräch. Die Intensität der Kontakte ist je nach Thema mit der einen oder der anderen Partei größer oder kleiner. Und natürlich gibt es Parteien, für die das christliche Menschenbild stärker handlungsleitend ist als für andere.



Wie hat Ihre Arbeit in Berlin Ihren Blick auf Politik geprägt und verändert? Ist Politik ein dreckiges Geschäft, ein notwendiges Übel, eine Ansammlung von Weltverbesserern und Lobbyisten, das Machtzentrum der Nation, eine Erfüllungsgehilfin der Wirtschaft oder die Ideenschmiede der Nation?



Der enge Kontakt zu den politischen Verantwortungsträgern hat bei mir in erster Linie dazu geführt, dass ich mehr Respekt vor der Arbeit unserer Volksvertreter habe. Das gilt nicht nur für das Arbeitspensum, was jeder Einzelne zu bewältigen hat. Das gilt auch angesichts der inhaltlichen Komplexität der politischen Fragestellungen, nehmen sie nur solche Megathemen wie die Digitalisierung, eines nachhaltigen Lebensstils oder auch den Umgang mit weltweiten Flucht- und Migrationsbewegungen. Hinzu kommt, dass sich der politische Diskurs nicht zuletzt durch die gewachsene Bedeutung der sozialen Medien stark verändert und beschleunigt hat. Es bleibt oft kaum Zeit zum Nachdenken und Diskutieren. Und die Abgeordneten sind heute in sehr viel stärkerem Maße aggressiven, oft anonymen Angriffen ausgesetzt. Das alles sollte man im Kopf haben, bevor man das nächste Mal über „die Politiker“ schimpft.



Was würden Sie gerne durchsetzen, wenn Sie zur Bundeskanzlerin gewählt würden?



Ein ambitioniertes Klimaschutzgesetz und ein Rüstungsexportgesetz, um mal zwei ganz konkrete Anliegen zu benennen.


Katharina Jestaedt, Stellvertreterin des Leiters des Kommissariats der deutschen Bischöfe
1969 geboren in Lissabon/Portugal, 1988-1993 Studium der Rechtswissenschaft in Bonn und Freiburg, Erstes juristisches Staatsexamen, 1993-1995 Mitarbeiterin im Bundeskanzleramt (politische Planung, Reden), 1995-1997 Rechtsreferendariat, Zweites juristisches Staatsexamen, 1997-1999 Referentin im Presse- und Informationsamt der Bundesregierung (Europa) und im Bundeskanzleramt (politische Planung, Reden), 1999-2009 Richterin am Verwaltungsgericht Köln und am Oberverwaltungsgericht NRW mit zeitweiligen Abordnungen an die Staatskanzlei NRW (Medien) und das Justizministerium NRW (Leitung Ministerbüro), 2009-2011 Referatsleiterin im Justizministerium NRW  (Personal, Justiziariat). Seit August 2011 Stellvertreterin des Leiters des Kommissariats der deutschen Bischöfe.

Dieser Text erschien am 11. Mai 2019 im Neuen Ruhrwort

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