Wenn wir
heute über die Schloßstraße gehen, werden wir nicht nur auf den Wochenmarkt
stoßen, dessen Händler uns Lebensmittel anbieten. Einkaufen an der frischen
Luft macht regt den Appetit an. Mit diesem Erfolgsrezept versuchen uns derzeit
auch die Europa-Wahlkämpfer ihre politischen Appetithappen auf der Schloßstraße
und am Kurt-Schumacher-Platz zu servieren, garniert mit Kugelschreibern,
Gummibärchen, Luftballons und Chips für den Einkaufswagen und präsentiert in
den schönsten Farben. Für jeden Farb-Typ ist was dabei: Schwarz, Rot, Gelb,
Himmelblau, Grün oder Magenta. Auch die politische Poesie, die uns die
Handelsreisenden der Parteien auf dem politischen Markt der Möglichkeiten in bunten
Broschüren mit auf den Weg geben, wecken die schönsten Fantasien und verlocken
dazu, anzubeißen. „Wir schaffen das Soziale Europa!“ „Klimaschutz!“
„Miteinander!“ „Wo der Mut kommt, geht der Hass!“ „Kommt zusammen und macht
Europa stark!“ „Unser Europa gibt Sicherheit!“ „Renten sichern und erhöhen!“
Wer kann da noch widerstehen? Im Wahlkampf erscheint uns die Politik wie die
zarteste Versuchung seit es Parteien und Kandidaten gibt. Die Kandidaten, die
unsere Volksvertreter werden wollen, erscheinen uns als wahre Lichtgestalten,
die uns verstehen und alles für uns tun. Wer sich auf dem politischen Markt der
Möglichkeiten umschaut, der zuweilen wie ein politischer Märchenwald anmutet, dem
fällt Hape Kerkelings Lied ein: „Das ganze Leben ist
ein Quiz und wir sind nur die Kandidaten. Und wir raten, raten, raten“ ein. Auf
dem Wahl- wie auf dem Wochenmarkt gilt: Wir müssen uns für ein Produkt
entscheiden, ohne vorher zu wissen, ob es uns bekommt oder schwer im Magen
liegt. Schade, dass es nach einer Wahl wie bei jedem guten Menü keinen
Nachtisch gibt. Ob auf der Schloßstraße oder anderswo: Ich sähe gerne mal Plakate,
die wahrheitsgemäß verkünden: „Mieten und Strom bezahlbar gemacht!“ „Faire
Ausbildungs- und Arbeitsplätze geschaffen!“ „Steuergerechtigkeit hergestellt!“
„Waffenhandel eingestellt!“ und: „Kleptomanische Diktatoren in den Knast
gebracht!“ Das wären wirklich mal schöne Aussichten, die Lust auf die nächste
Wahl machen würden.
Dieser Text erschien am 18. Mai 2019 in der Neuen Ruhr Zeitung
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