Sonntag, 19. Mai 2019

Wahlkampf auf dem Wochenmarkt


Wenn wir heute über die Schloßstraße gehen, werden wir nicht nur auf den Wochenmarkt stoßen, dessen Händler uns Lebensmittel anbieten. Einkaufen an der frischen Luft macht regt den Appetit an. Mit diesem Erfolgsrezept versuchen uns derzeit auch die Europa-Wahlkämpfer ihre politischen Appetithappen auf der Schloßstraße und am Kurt-Schumacher-Platz zu servieren, garniert mit Kugelschreibern, Gummibärchen, Luftballons und Chips für den Einkaufswagen und präsentiert in den schönsten Farben. Für jeden Farb-Typ ist was dabei: Schwarz, Rot, Gelb, Himmelblau, Grün oder Magenta. Auch die politische Poesie, die uns die Handelsreisenden der Parteien auf dem politischen Markt der Möglichkeiten in bunten Broschüren mit auf den Weg geben, wecken die schönsten Fantasien und verlocken dazu, anzubeißen. „Wir schaffen das Soziale Europa!“ „Klimaschutz!“ „Miteinander!“ „Wo der Mut kommt, geht der Hass!“ „Kommt zusammen und macht Europa stark!“ „Unser Europa gibt Sicherheit!“ „Renten sichern und erhöhen!“ Wer kann da noch widerstehen? Im Wahlkampf erscheint uns die Politik wie die zarteste Versuchung seit es Parteien und Kandidaten gibt. Die Kandidaten, die unsere Volksvertreter werden wollen, erscheinen uns als wahre Lichtgestalten, die uns verstehen und alles für uns tun. Wer sich auf dem politischen Markt der Möglichkeiten umschaut, der zuweilen wie ein politischer Märchenwald anmutet, dem fällt Hape Kerkelings Lied ein: „Das ganze Leben ist ein Quiz und wir sind nur die Kandidaten. Und wir raten, raten, raten“ ein. Auf dem Wahl- wie auf dem Wochenmarkt gilt: Wir müssen uns für ein Produkt entscheiden, ohne vorher zu wissen, ob es uns bekommt oder schwer im Magen liegt. Schade, dass es nach einer Wahl wie bei jedem guten Menü keinen Nachtisch gibt. Ob auf der Schloßstraße oder anderswo: Ich sähe gerne mal Plakate, die wahrheitsgemäß verkünden: „Mieten und Strom bezahlbar gemacht!“ „Faire Ausbildungs- und Arbeitsplätze geschaffen!“ „Steuergerechtigkeit hergestellt!“ „Waffenhandel eingestellt!“ und: „Kleptomanische Diktatoren in den Knast gebracht!“ Das wären wirklich mal schöne Aussichten, die Lust auf die nächste Wahl machen würden.


Dieser Text erschien am 18. Mai 2019 in der Neuen Ruhr Zeitung

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