Berichtete Schüler aus seinem jüdischen
Alltag in Deutschland: Alex Bondarelenko.
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Christian
Kamann unterrichtet unter anderem Politik an der Realschule Mellinghofer
Straße. Der Lehrer hat unterschiedliche Erfahrungen gemacht, wenn es um die
Themen Judentum und Antisemitismus geht. Einerseits engagieren sich viele
seiner Schüler in der Arbeitsgemeinschaft Stolpersteine. Hier recherchieren und
dokumentieren sie Opfer-Biografien aus der Zeit des Nationalsozialismus. Ein
Ergebnis ihrer Arbeit ist eine Wanderausstellung, die auch Jugendlichen an
anderen Schulen den Holocaust näherbringt.
Andererseits
ist Kamann darüber erschrocken, wenn er in dem einen oder anderen Schülerstreit
schon mal den als Beschimpfung gedachten Ausdruck „du Jude“ hört. Auch wenn der
Politiklehrer darin keinen fundierten Antisemitismus, sondern gedankenlose
Unwissenheit sieht, haben ihn seine zwiespältigen Erfahrungen dazu motiviert,
sich an Rent a Jew zu wenden. Das ist ein ehrenamtlicher Referentenpool von
deutschen Juden, die zum Beispiel wie jetzt in der Realschule an der
Mellinghofer Straße, mit Jugendlichen über ihren Alltag als einer von derzeit
100.000 Juden in Deutschland ins Gespräch kommen. Damit wollen Sie
Unwissenheit, Vorurteile oder Berührungsängste überwinden.
Genau das
tat jetzt auch Alex Bondarelenko. Der 30-Jährige, der als Jugendreferent beim
Jüdischen Sportverband Makkabi Deutschland arbeitet, gehört zur Jüdischen
Gemeinde Düsseldorf. Sie ist mit 7000 Mitglieder deutlich größer als die 2500
Mitglieder zählende Jüdische Gemeinde Mülheim-Duisburg-Oberhausen, besteht aber
genau wie diese zu rund 90 Prozent aus Mitgliedern, die ihre Wurzeln in der
ehemaligen Sowjetunion haben.
Schon die ersten
Fragen aus der 15-köpfigen Schülerrunde zeigt, warum der studierte
Marketingfachmann Alex Bondarelenko gut
daran tut, Jugendlichen etwas über jüdisches Leben im Deutschland des Jahres
2019 zu erzählen: „Waren Sie selbst, Ihre Eltern oder Ihre Großeltern im
Konzentrationslager?“ wollen Schüler von ihm wissen: „Dafür bin ich zu jung.
Das war ja von 1933 bis 1945 und damit deutlich vor meiner Zeit. Auch meine
Eltern und Großeltern, die aus der Ukraine stammen, mussten das nicht erleiden.
Meine Großeltern wurden nach dem deutschen Einmarsch in die Sowjetunion 1941 nach
Weißrussland und Kasachstan evakuiert. Ich selbst bin in der Ukraine geboren
und als Neunjähriger in den 1990er Jahren mit meinen Eltern nach Deutschland
gekommen, weil meine Mutter als Jüdin in der damaligen Sowjetunion keine
Schulleiterin werden konnte. Ich habe erst mit 10 Jahren erfahren, dass ich
Jude bin“, skizziert Bondarelenko seinen Lebenslauf.
„Judentum in
Deutschland ist eben nicht nur Hitler und Holocaust“, betont er und bestätigt
auf Nachfrage, „dass ich mich in Deutschland wohlfühle und auch viele
nichtjüdische Freude habe.“ Das schließt für den verheirateten Vater von zwei
Kindern nicht aus, „dass ich bestimmte politisch und gesellschaftliche
Tendenzen in Deutschland kritisch sehe, obwohl ich selbst noch keine
antisemitische Diskriminierung erfahren musste.“
Im Gespräch
über die religiöse Praxis in den Weltreligionen Judentum, Christentum und Islam
werden schnell Gemeinsamkeiten deutlich. Bondarelenko liest aus der Tora vor,
die die Christen als Altes Testament kennen und rezitiert singend ein Gebet zum
Beginn des Schabbat, den Juden so wie die Christen den Sonntag und die Muslime
den Freitag als siebten Tag der Woche feiern, an dem man ruhen und dem
Schöpfungswerk Gottes gedenken soll. Die Beschneidung von Jungen kennt man im
Islam ebenso wie im Judentum. Die jüdische Kipa und der jüdische Gebetmantel,
die Alex Bondarelenko den Schüler vorführt erinnern seine christlichen Zuhörer
an die Gewänder der Priester und die Kopfbedeckung der Bischöfe.
Im jüdischen
Lichterfest Chanukka, an dem die Juden der Einweihung des zweiten Tempels in
Jerusalem gedenken und das mit dem Anzünden von Kerzen, einem Festmahl im
Freundes- und Familienkreis und mit dem Beschenken der Kinder feiern, erkennen
viele Schüler Ähnlichkeiten zum christlichen Weihnachtsfest. Und das Jüdische
Purimfest, an dem sich Juden kostümieren, feiern, Süßes naschen und ihre
Honoratioren aufs Korn nehmen, erscheint den Dümptener Realschülern zurecht als
so etwas wie den Jüdischen Karneval, der die Freude über die Rettung des von
Mordplänen in der persischen Diaspora bedrohten jüdischen Volkes feiert.
Das Gespräch
zwischen den Schülern und Alex Bondarelenko pendelt zwischen religiösen Regel,
Alltagsleben, Hobbys, Familie und Freunden. Plötzlich wird in der Runde
deutlich, was Bondarelenko, so auf den Punkt bringt: „Wir sind alle nur
Menschen, egal woran wir glauben oder auch nicht glauben. Und wir werden diese
Welt nur dann zu einem besseren Ort machen, wenn wir uns als Menschen
respektieren und achten und nicht so tun, als sei unsere Religion besser als
die anderer Menschen.“
Da stimmen
ihm seine junge Zuhörer, die ihn nach 45 lehrreichen Schulminuten applaudieren,
zu. Doch die meisten sind schon überrascht, dass gläubige Juden keine
fleischigen und milchigen Lebensmittel gemeinsam verzehren dürfen, weil das im
Judentum als „nicht koscher“ gilt. Bondarelenko erklärt ihnen das mit dem Gebot
der Tora: „Du sollst das Kälblein nicht in der Milch seiner Mutter baden!“ Und
dann sagt er mit einem Augenzwinkern ganz pragmatisch: „Wenn meine
nicht-jüdischen Freunde in einem bestimmten Schnellrestaurant Cheeseburger
essen, bestelle ich mir eben nur Pommes.“
Und auch, was ihnen Bondarelenko
über orthodoxe und liberale Juden erzählt hat, kennen seine jungen christlichen
und muslimischen Zuhörer nur zu gut aus ihrer Religion nur zu gut, nämlich dass
man ihre Regeln, je nach Lesart und Interpretation strenger oder toleranter
auslegen kann. Und auch wenn Alex Bondarelenko in einer Unterrichtsstunde nicht
alle Fragen über das Judentum und Juden im heutigen Deutschland beantworten
kann, bleibt nicht nur für Lehrer Christian Kamann das gute Gefühl, „dass die
Schüler heute wichtige Denkanstöße in Sachen Toleranz mitnehmen und einige
Wissenslücken schließen konnten.“ Dieser Text erschien am 11. März 2019 in der Neuen Ruhr Zeitung
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