Dienstag, 30. Oktober 2018

Seelsorge wie gedruckt

Was machen Sie eigentlich beruflich? Das ist die klassische Gesprächseröffnung, wenn man mit seiner neuen Tisch-Bekanntschaft nicht gerade über das Wetter reden will. Jetzt überraschte mich meine Tischnachbarin bei einem Hochzeitsmahl mit der Feststellung: "Ich habe sie doch schon öfter in St. Barbara gesehen!" Als ich diesen Eindruck bestätigte, schob meine Tischdame die Frage nach: "Sind Sie da der Pfarrer?" "Nein, ich bin nicht der Pfarrer. Ich bin Journalist, aber des Öfteren dort zu Gast", klärte ich meine Gesprächspartnerin auf.
Dennoch schmeichelte mir der offensichtlich vertrauenerweckende Eindruck, für einen Pfarrer gehalten zu werden. "Wollen Sie beichten, meine Tochter oder soll ich Sie ins Gebet nehmen?" Doch dann wurde mir klar, dass ein guter Journalist, genau wie ein Seelsorger, die Fähigkeit des gezielten Fragens und Zuhörens und des Vertrauenschaffens haben muss, damit sich Menschen im Gespräch öffnen, um ihre Geschichte nicht nur dem Journalisten, sondern mit seiner Hilfe auch ihren Mitmenschen zu erzählen und so vielleicht positive Impulse in unsere Gemeinschaft hineinzugeben, die im besten Fall gemeinsame Herausforderungen und Lösungen aufzeigen können. Denn nur redenden Menschen kann geholfen werden, wenn ihnen ihre Mitmenschen zuhören.

Dieser Text erschien am 30. Oktober 2018 in der NRZ

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