Das Brautpaar, das an diesem
Sonntag am Schloss Broich aus seiner schwarzen Limousine aussteigt,
wirkt in seiner festlichen Garderobe und mit seiner glücklichen
Ausstrahlung wie bestellte Werbeträger für die Glüxx-Messe, die
zeitgleich im Rittersaal und im Wappenzimmer von Schloss Broich
Menschen anzieht, die sich wie das Brautpaar ein XXL-Stück vom Glück
abschneiden wollen, in dem sie etwas für ihre Gesundheit und ihr
Wohlbefinden tun. Es fällt auf: Die meisten Messebesucher bewegen
sich in der Lebensmitte. Viele tun bereits etwas für ihre
Gesundheit. Andere müssen nach einer Erkrankung etwas für ihre
Genesung tun.
Eine Duisburgerin in den
Fünfzigern interessiert sich „nach einer schweren Erkrankung“
für ein Saftkonzentrat aus über 70 Obst- und Gemüsesorten, das mit
Wasser verdünnt getrunken, die Regeneration ihrer Zellen fördern
soll. Anders, als ihre bessere Hälfte kann sich die Dame auch für
die 20-minütige Trainingseinheit begeistern, die unter Zuhilfenahme
von niedrig-frequentem Strom zeitsparend über 90 Prozent der
Muskelfasern stimuliert.
Anregungen findet man im
Schloss allemal. Wie wäre es mit äthrischen Ölen, die den
gestressten Zeitgenossen von der Palme auf den Boden der Tatsachen
holen. Auch Astrid Heisig und Taddäus Mildner, die Hand- und
Körpermassagen anbieten, mit denen der Blut- und Energiekreislauf
wieder in Schwung kommt, haben an diesem Tag alle Hände voll zu tun.
„Ich fühle mich sehr
entspannt und warm. Zwischenzeitlich hatte ich das Gefühl, als habe
jemand die Heizung um 15 Grad hochgedreht“, beschreibt eine
Mülheimerin mittleren Alters ihr Befinden, nach dem sie 25 Minuten
lang von Mildner massiert worden ist.
Ernährungsberaterin Monika
Bentele erstaunt ihre Gesprächspartner nicht nur mit dem Hinweis,
dass die Lebensmittelindustrie die Zahl unserer „Lebensmittel in
den letzten 100 Jahren um 80 Prozent hat ansteigen lassen.“ Auch
mit ihren Beuteln voller Zuckerwürfel, mit denen sie die versteckten
Zuckeranteile in Lebensmitteln zutage fördert, sorgt sie für
nachdenkliche Gesichter. Wer hätte das vermutet? 49 Zuckerklümpchen
stecken in der Tüte mit den Gummibärchen und in der Flasche mit dem
Tomaten-Ketchup. Der herzhafte Leberkäse, der vorgefertigte Rotkohl
aus dem Glas und das vermeintlich gesunde Müsli aus der bunten
Supermarktpackung haben es mit 26 Zuckerstücken in sich. Dagegen
nimmt sich der Soßenbinder mit 19 Zuckerwürfeln schon fast
bescheiden aus.
Die gute Nachricht lautet:
Wallnüsse haben einen hohen Fettanteil, sind aber wahnsinnig gut
fürs Gehirn. Dagegen kann der vitaminreiche Apfel seine energetische
und physiologische Wirkung nur dann voll entfalten, wenn er nicht
abends, sondern am besten in der ersten Tageshälfte genossen wird.
„Unser auf Schnelligkeit
und Leistung getrimmter Lebensstil fordert uns Menschen viel ab und
sorgt dafür, dass wir nicht mehr das bekommen, was wir am nötigsten
brauchen, nämlich Ruhe und Nährstoffe. Solange die Pharmareferenten
eine so starke politische Lobby haben, muss jeder für sich selbst
sorgen“, erklärt Messebesucher Thomas Jeschke aus Wuppertal, warum
er sich an diesem Sonntag auf den Weg nach Mülheim gemacht hat.
Dieser Text erschien am 21. Oktober 2018 in NRZ & WAZ
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