Markus Potthoff (links) und Wolfgang Reuter |
„Ich dachte schon, dass wird hier heute eine Randalebude“, gab
Jens Oboth am Ende des Donnertagabends zu. Stattdessen bedankte sich
der Dozent der katholischen Akademie bei den Tagungsteilnehmern im
Kardinal-Hengsbach-Saal der Wolfsburg „für ihre sachlichen und
inspirierenden Wortbeiträge. Tatsächlich hätte die
Abendveranstaltung mit rund 120 interessierten Basis-Katholiken und
den Podiumsgästen Markus Potthoff, im Generalvikariat Leiter der
Abteilung für Pastorale Arbeit und Bildung, und dem Düsseldorfer
Pastoralpsychologen und Psychotherapeuten Prof. Dr. Wolfgang Reuter
auch eine hochemotionale Auseinandersetzung über die Zukunft der
Pfarrgemeinden im Bistum Essen werden können.
Denn
die Zahlen, die Potthoff zum Thema Pfarreientwicklungsprozess auf den
Tisch legte, hatten das Zeug zum Aufreger. Seit dem Jahr 2000 sind in
Deutschland 500 Kirchen profaniert worden. Im Zuge der ersten
Strukturreform des Bistums Essen wurden aus 259 nur noch 43
Pfarreien. Und nur ein Drittel der heute noch im Ruhrbistum
existierenden 270 Kirchen wird über das Jahr 2030 hinaus erhalten
bleiben können.
Potthoff
gab zu, „dass ich manchmal schlucken muss, wenn ich den Tonfall der
Briefe und Gespräche lese und höre, mit denen sich der Bischof im
Rahmen des Pfarreientwicklungsprozesses und seiner bisher 36 von ihm
freigegebenen Pfarrgemeindevoten auseinandersetzen muss.“ Dabei
zeigte der Mann aus der Bistumsverwaltung auch ein gewisses
Verständnis, für die maßlose und manchmal auch nur destruktive
Emotionalität, die ihm als Mitentscheider von manchem
Gemeindemitglied entgegenschlägt, etwa in der Tonart: „Wenn ihr
unsere Kirche zumacht, trete ich aus der Kirche aus!“
Der
Theologe Potthoff räumte ein: „Auch meine Gefühle sind in dieser
extremen Situation, in der wir vor einer epochalen Herausforderung
stehen, ambivalent. Auch ich spüre Trauer angesichts von
Kirchenschließungen und Profanierungen. Aber ich kann auch nicht die
Augen vor der Tatsache verschließen, dass das Ruhrbistum seit seiner
Gründung 1958 etwa die Hälfte seiner Kirchenmitglieder verloren hat
und welche finanziellen Konsequenzen diese Entwicklung mit sich
bringt! Denn allein ein neues Kirchendach kann schnell mehrere 10.000
Euro verschlingen.“
Der
Seelsorger und Psychotherapeut Reuter machte den Katholiken im
Ruhrgebiet Mut, „miteinander zu reden und auch destruktive
Emotionen und Differenzen auszuhalten und zuzulassen.“ Er ist davon
überzeugt, dass das Miteinander Reden und Zuhören, verbunden mit
einer guten pastoralpsychologischen Schulung der Priester und
Seelsorger „langfristig dazu führen wird, dass auch destruktive
Emotionen in konstruktive Ideen für einen Neuanfang umgewandelt
werden können und so aus der Krise eine Chance für die Kirche
werden kann.“ Als Mutmacher-Beispiele führte Reuter
Gemeindegründungen in der ostdeutschen Diaspora an, die sich nicht
in kirchlichen, sondern in ganz profanen Räumen vollzögen. Dass
auch ein Kirchenneubau in Deutschland heutzutage nicht ausgeschlossen
sein muss, zeigen die 49 neuen Kirchen, die, laut Potthoff, seit dem
Jahr 2000 zwischen Rhein und Oder neu errichtet und eingeweiht worden
sind.
„Wir
haben und als Pfarrgemeinde ganz neu erfunden“, bestätigte ein
Katholik aus Lüdenscheid, dessen Pfarrgemeinde die Zahl ihrer
Kirchen von 5 auf 1 reduziert hat. Und sein Gemeinde-Nachbar
erinnerte daran, „dass wir uns als Christen mit unserem
Auferstehungsglauben nicht an Kirchen klammern sollten.“
Allerdings
gab es auch kritische Stimmen, die mahnten, Kirchen nicht vor der
Zeit abzureißen und einen gemeindeinternen Konflikt zwischen
Gewinnern und Verlierern der Umstrukturierung zu schüren und damit
am Ende auch noch jene Menschen zu verlieren, die der Kirche noch die
Treue hielten.
Reuter sagte dazu: „Es ist
schmerzhaft. Aber wir müssen als katholische Christen lernen, uns
angesichts der Umstrukturierungen und der Aufgabe von Kirchengebäuden
nicht als Gewinner und Verlierer zu definieren. Denn wir machen schon
mit unserer Geburt und der Entbindung von der Mutter als Menschen die
Erfahrung, dass es für uns in unserem Leben kein Recht darauf gibt,
an einem Ort zu bleiben.“ In diesem Zusammenhang machten zwei
Essener Katholiken deutlich, „dass der Streit um die Aufgabe von
Kirchen eigentlich nur ein Symptom die Angst vor einer weiteren
Erosion der Kirche und davor ist, dass die Kirche von ihren eigenen
Entscheidungsträgern abgerissen wird.“ Da gab sich auch Markus
Potthoff als Vertreter der Bistumsleitung demütig, wenn er
feststellte: „Ich kann Ihnen auch nicht mit letzter Sicherheit
sagen, wie die Entwicklung weiter geht und ob wir heute die richtigen
Entscheidungen für die Zukunft treffen. Aber ich glaube, dass wir
als Kirche unsere Geschichte noch lange nicht zu Ende geschrieben
haben.“
Dieser Text erschien am 15. September 2918 im Neuen Ruhrwort
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen