Freitag, 21. September 2018

Katholische Rebellion: Der Essener Katholikentag 1968


Kirche ist immer die Kirche ihrer Zeit. So war es auch 1968, als Essen und sein Bischof Franz Hengsbach Gastgeber des 82. Katholikentages waren. Damals rebellierten die Studenten gegen den „Muff unter den Talaren“ und gegen den Krieg in Vietnam. Mit dem katholischen US-Senator Robert Kennedy und dem schwarzen US-Bürgerrechtler Martin Luther King fielen 1968 zwei politische Hoffnungsträger Mordanschlägen zum Opfer. Der deutsche Studentenführer Rudi Dutschke überlebte ein Attentat schwer verletzt. Und mit dem sowjetischen Einmarsch in der CSSR starben 1968 auch die politischen Hoffnungen, die sich mit dem Prager Frühling und dem Reformer Alfred Dubcek verbanden.
Das katholische Deutschland stand 1968 noch unter dem Eindruck des Zweiten Vatikanischen Konzils und der von Papst Paul VI. 1968 verkündeten Enzyklika Humane Vitae. Das päpstliche Verbot der Antibabypille, das ihm Volksmund den Namen „Pillen-Paul“ einbrachte, enttäuschte viele katholische Laien. Sie sahen den 1962 von Papst Johannes XXIII. eingeleiteten konziliaren Aufbruch der katholischen Kirche in die Moderne ins Stocken geraten.
Vor diesem Hintergrund trafen sich vom 4. Bis zum 8. September 1968 mehrere 10.000 Katholiken, 36 Jahre nach dem ersten Essener Katholikentag, wieder in der Ruhr-Metropole.
Aus den Leitartikeln, mit denen die Essener Bistumszeitung Ruhrwort dieses Treffen der leidenschaftlich und manchmal auch unerbittlich geführten Diskussionen begleitete, lässt sich sehr gut herauslesen, wie zwiespältig der Ruhrbischof und Konzilsteilnehmer Franz Hengsbach den Katholikentag in seiner zehn Jahre zuvor gegründeten Diözese betrachtete.
Einerseits zitierte das Ruhrwort mit Blick auf den Katholikentag den Konzilspapst Johannes XXIII. mit seiner Warnung „vor den Untergangspropheten“, die jede Annährung der Kirche an die moderne Welt ablehnten und die Vergangenheit der Kirche undifferenziert „als gut und sauber“ verklärten. Andererseits verwies Hengsbach als Herausgeber des Ruhrwortes auf eine Rede, die Papst Paul VI. vor Bischöfen in Bogota gehalten hatte. In den Zitaten aus der Papstrede wurden die Vorbehalte gegenüber der revolutionären lateinamerikanischen Befreiungstheologie deutlich. Paul VI. billigte in seiner Rede den katholischen Theologen Diskussion und Meinungsvielfalt zu, forderte sie aber auch auf, „eifrige Schüler des kirchlichen Lehramtes“ und des „kirchlichen Charismas“ zu bleiben und nicht dem Irrglauben zu verfallen, „dass heute jeder lehren und glauben kann, was er will.“
Ruhrbischof Hengsbach, damals 58 Jahre alt, appellierte in seiner Wochenzeitung an die Teilnehmer des Essener Katholikentages, „einander zuzuhören und sich die eigenen Meinungen nicht um die Ohren zu hauen.“ Mit Blick auf die damalige linke außerparlamentarische Opposition wies Hengsbach darauf hin, dass es in der katholischen Kirche nur eine konstruktive und von Sachverstand getragene innerkirchliche Opposition gegeben dürfe. In der Nachbetrachtung des Essener Katholikentages ließ Hengsbach im Ruhrwort „die Breite unseres Gespräches, das zeigte, das der Geist Gottes um uns war“, loben. Gleichzeitig wurden die Kontroversen des Katholikentages mit einem „Sturm“ und einem „Unwetter“ verglichen, „dass die Hoffnung auf neuen Sonnenschein“ hervorgebracht habe. „Wer andere hinterfragt, muss auch sich selbst hinterfragen“, mahnte Hengsbach angesichts der Kritik, der sich das kirchliche Lehramt, das kirchliche Erscheinungsbild und die gesellschaftspolitische Positionierung der katholischen Amtskirche, in Essen tausendfach ausgesetzt sah. Allerdings verbuchte Hengsbach den Katholikentag auch als Erfolg, wenn er im abschließenden Leitartikel des Ruhrwortes feststellen ließ: „Der Katholikentag von Essen hat gezeigt, dass unsere Kirche, die oft als erstarrt oder sogar als tot bezeichnet wird, tatsächlich jung und lebendig ist.“
Dass die Diskussionen und Initiativen, etwa zur deutschen Bischofssynode, die von Essen ausgingen, nicht nur in der katholischen Kirche ein breites Echo fand, zeigten die Kommentare und Sonderseiten, die die außerkirchliche Presse dem 82. Deutschen Katholikentag widmete. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung kritisierte die scharfen Debatten des Essener Katholikentages als „einen Hexenkessel der virulenten Besserwisserei“. Die Hamburger Wochenzeitung Die Zeit beschrieb den Kirchentag an der Ruhr als „Treffen protestantischer Katholiken“. Das ebenfalls in Hamburg herausgegebene Nachrichtenmagazin Der Spiegel stellte mit Blick auf die Kontroversen des Essener Katholikentages fest: „Nicht nur die Linken begehrten gegen den weltfremden Papst auf!“ Plakativ zitierte das Blatt Aussagen, wie: „Wir reden nicht über die Pille. Wir nehmen sie!“
Die in Dortmund herausgegebenen Ruhrnachrichten stellten fest: „Die Zeit der schönen und erbaulichen Kirchentage ist vorbei, auch wenn hier und dort noch Zierrate vergangener Umwelten zu sehen waren. Der Kirchentag zeigte, dass heute keine nationale Kirchenversammlung mehr zu denken ist, auf der die Laien nicht alles kritisch hinterfragen und auf den Prüfstand stellen. Der Kirchentag zeigte aber auch, dass die Kirche nicht tot ist, sondern, dass sie an allen Orten tagt und ihr Samen aufgegangen ist.“
Für den Kommentator der in Essen herausgegebenen Neuen Ruhrzeitung war der 82. Katholikentag ein Sieg: „der radikalen Frömmigkeit“ über „die fromme Heerschau“ früher Katholikentreffen. Dabei lobte der Kommentator der NRZ ausdrücklich den katholischen Mut zur Diskussion und zur Meinungsvielfalt. Denn so habe der Essener Katholikentag das Vorurteil widerlegt, „dass die katholische Kirche ein monolithischer Block“ sei. Damit habe der Katholikentag die Weichen dafür gestellt, dass die katholische Kirche auch „in der Welt von morgen und übermorgen ihren Platz“ haben werde, weil ihre „geistig aktiven Mitglieder keinen Umsturz der heiligen Glaubensweisheiten, sondern eine neue Gestalt ihrer Kirche und mehr Mitbestimmung erreichen wollen.“ Thomas Emons
INFO: Viel beachtet wurde die Abschlussrede des Essener Katholikentages, in der der Essener Psychiater Professor Dr. Max Engelmeier am 8. September 1968 vor 100.000 Zuhörern in der Gruga feststellte, dass die fortdauernde konfessionelle Spaltung der Christen: „ein Skandal“ sei und das die christlichen Kirchen einer „Nüchterung der Situation, einer Verbesserung unserer Glaubwürdigkeit und Handlungsfähigkeit und einer vorurteilsfreien Zusammenarbeit bedürfen, wo es um ihren Erhalt oder um ihre Wiederbelebung geht.“ Große Beachtung fand auch der Jesuitenpater, Priester und Publizist Mario von Galli mit seiner Rede, die er beim Essener Katholikentag vor 20.000 Zuhörern auf dem Burgplatz hielt und in der er sagte:
„Der öffentliche Zusammenprall der Meinungen hat gezeigt, dass Christen auf vielen Wegen das gleiche suchen. Auftretende Spannungen sollten zum Wachstum der brüderlichen Gesinnung führen. Das kann aber nur gelingen, wenn häufiger, freimütiger und freundschaftlicher miteinander sprechen, als bisher.“

Dieser Text erschien am 8. September 2018 im Neuen Ruhrwort

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