Kirche
ist immer die Kirche ihrer Zeit. So war es auch 1968, als Essen und
sein Bischof Franz Hengsbach Gastgeber des 82. Katholikentages waren.
Damals rebellierten die Studenten gegen den „Muff unter den
Talaren“ und gegen den Krieg in Vietnam. Mit dem katholischen
US-Senator Robert Kennedy und dem schwarzen US-Bürgerrechtler Martin
Luther King fielen 1968 zwei politische Hoffnungsträger
Mordanschlägen zum Opfer. Der deutsche Studentenführer Rudi
Dutschke überlebte ein Attentat schwer verletzt. Und mit dem
sowjetischen Einmarsch in der CSSR starben 1968 auch die politischen
Hoffnungen, die sich mit dem Prager Frühling und dem Reformer Alfred
Dubcek verbanden.
Das
katholische Deutschland stand 1968 noch unter dem Eindruck des
Zweiten Vatikanischen Konzils und der von Papst Paul VI. 1968
verkündeten Enzyklika Humane Vitae. Das päpstliche Verbot der
Antibabypille, das ihm Volksmund den Namen „Pillen-Paul“
einbrachte, enttäuschte viele katholische Laien. Sie sahen den 1962
von Papst Johannes XXIII. eingeleiteten konziliaren Aufbruch der
katholischen Kirche in die Moderne ins Stocken geraten.
Vor
diesem Hintergrund trafen sich vom 4. Bis zum 8. September 1968
mehrere 10.000 Katholiken, 36 Jahre nach dem ersten Essener
Katholikentag, wieder in der Ruhr-Metropole.
Aus
den Leitartikeln, mit denen die Essener Bistumszeitung Ruhrwort
dieses Treffen der leidenschaftlich und manchmal auch unerbittlich
geführten Diskussionen begleitete, lässt sich sehr gut herauslesen,
wie zwiespältig der Ruhrbischof und Konzilsteilnehmer Franz
Hengsbach den Katholikentag in seiner zehn Jahre zuvor gegründeten
Diözese betrachtete.
Einerseits
zitierte das Ruhrwort mit Blick auf den Katholikentag den
Konzilspapst Johannes XXIII. mit seiner Warnung „vor den
Untergangspropheten“, die jede Annährung der Kirche an die moderne
Welt ablehnten und die Vergangenheit der Kirche undifferenziert „als
gut und sauber“ verklärten. Andererseits verwies Hengsbach als
Herausgeber des Ruhrwortes auf eine Rede, die Papst Paul VI. vor
Bischöfen in Bogota gehalten hatte. In den Zitaten aus der
Papstrede wurden die Vorbehalte gegenüber der revolutionären
lateinamerikanischen Befreiungstheologie deutlich. Paul VI. billigte
in seiner Rede den katholischen Theologen Diskussion und
Meinungsvielfalt zu, forderte sie aber auch auf, „eifrige Schüler
des kirchlichen Lehramtes“ und des „kirchlichen Charismas“ zu
bleiben und nicht dem Irrglauben zu verfallen, „dass heute jeder
lehren und glauben kann, was er will.“
Ruhrbischof
Hengsbach, damals 58 Jahre alt, appellierte in seiner Wochenzeitung
an die Teilnehmer des Essener Katholikentages, „einander zuzuhören
und sich die eigenen Meinungen nicht um die Ohren zu hauen.“ Mit
Blick auf die damalige linke außerparlamentarische Opposition wies
Hengsbach darauf hin, dass es in der katholischen Kirche nur eine
konstruktive und von Sachverstand getragene innerkirchliche
Opposition gegeben dürfe. In der Nachbetrachtung des Essener
Katholikentages ließ Hengsbach im Ruhrwort „die Breite unseres
Gespräches, das zeigte, das der Geist Gottes um uns war“, loben.
Gleichzeitig wurden die Kontroversen des Katholikentages mit einem
„Sturm“ und einem „Unwetter“ verglichen, „dass die Hoffnung
auf neuen Sonnenschein“ hervorgebracht habe. „Wer andere
hinterfragt, muss auch sich selbst hinterfragen“, mahnte Hengsbach
angesichts der Kritik, der sich das kirchliche Lehramt, das
kirchliche Erscheinungsbild und die gesellschaftspolitische
Positionierung der katholischen Amtskirche, in Essen tausendfach
ausgesetzt sah. Allerdings verbuchte Hengsbach den Katholikentag auch
als Erfolg, wenn er im abschließenden Leitartikel des Ruhrwortes
feststellen ließ: „Der Katholikentag von Essen hat gezeigt, dass
unsere Kirche, die oft als erstarrt oder sogar als tot bezeichnet
wird, tatsächlich jung und lebendig ist.“
Dass
die Diskussionen und Initiativen, etwa zur deutschen Bischofssynode,
die von Essen ausgingen, nicht nur in der katholischen Kirche ein
breites Echo fand, zeigten die Kommentare und Sonderseiten, die die
außerkirchliche Presse dem 82. Deutschen Katholikentag widmete. Die
Frankfurter Allgemeine Zeitung kritisierte die scharfen Debatten des
Essener Katholikentages als „einen Hexenkessel der virulenten
Besserwisserei“. Die Hamburger Wochenzeitung Die Zeit beschrieb
den Kirchentag an der Ruhr als „Treffen protestantischer
Katholiken“. Das ebenfalls in Hamburg herausgegebene
Nachrichtenmagazin Der Spiegel stellte mit Blick auf die Kontroversen
des Essener Katholikentages fest: „Nicht nur die Linken begehrten
gegen den weltfremden Papst auf!“ Plakativ zitierte das Blatt
Aussagen, wie: „Wir reden nicht über die Pille. Wir nehmen sie!“
Die
in Dortmund herausgegebenen Ruhrnachrichten stellten fest: „Die
Zeit der schönen und erbaulichen Kirchentage ist vorbei, auch wenn
hier und dort noch Zierrate vergangener Umwelten zu sehen waren. Der
Kirchentag zeigte, dass heute keine nationale Kirchenversammlung mehr
zu denken ist, auf der die Laien nicht alles kritisch hinterfragen
und auf den Prüfstand stellen. Der Kirchentag zeigte aber auch, dass
die Kirche nicht tot ist, sondern, dass sie an allen Orten tagt und
ihr Samen aufgegangen ist.“
Für
den Kommentator der in Essen herausgegebenen Neuen Ruhrzeitung war
der 82. Katholikentag ein Sieg: „der radikalen Frömmigkeit“ über
„die fromme Heerschau“ früher Katholikentreffen. Dabei lobte der
Kommentator der NRZ ausdrücklich den katholischen Mut zur Diskussion
und zur Meinungsvielfalt. Denn so habe der Essener Katholikentag das
Vorurteil widerlegt, „dass die katholische Kirche ein
monolithischer Block“ sei. Damit habe der Katholikentag die Weichen
dafür gestellt, dass die katholische Kirche auch „in der Welt von
morgen und übermorgen ihren Platz“ haben werde, weil ihre „geistig
aktiven Mitglieder keinen Umsturz der heiligen Glaubensweisheiten,
sondern eine neue Gestalt ihrer Kirche und mehr Mitbestimmung
erreichen wollen.“ Thomas Emons
INFO:
Viel beachtet wurde die Abschlussrede des Essener Katholikentages, in
der der Essener Psychiater Professor Dr. Max Engelmeier am 8.
September 1968 vor 100.000 Zuhörern in der Gruga feststellte, dass
die fortdauernde konfessionelle Spaltung der Christen: „ein
Skandal“ sei und das die christlichen Kirchen einer „Nüchterung
der Situation, einer Verbesserung unserer Glaubwürdigkeit und
Handlungsfähigkeit und einer vorurteilsfreien Zusammenarbeit
bedürfen, wo es um ihren Erhalt oder um ihre Wiederbelebung geht.“
Große Beachtung fand auch der Jesuitenpater, Priester und Publizist
Mario von Galli mit seiner Rede, die er beim Essener Katholikentag
vor 20.000 Zuhörern auf dem Burgplatz hielt und in der er sagte:
„Der
öffentliche Zusammenprall der Meinungen hat gezeigt, dass Christen
auf vielen Wegen das gleiche suchen. Auftretende Spannungen sollten
zum Wachstum der brüderlichen Gesinnung führen. Das kann aber nur
gelingen, wenn häufiger, freimütiger und freundschaftlicher
miteinander sprechen, als bisher.“
Dieser Text erschien am 8. September 2018 im Neuen Ruhrwort
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