Mittwoch, 5. Juli 2017

Eine Zeitreise in die DDR:Sigrid Richter und Peter Keup wurden als sogenannte „Repblikflüchtlinge“ inhaftiert und drangsaliert. Ihre Zeitzeugenberichte beeindruckten die Luisenschüler aus der Jahrgangsstufe 8 nachhaltig.

DDR-Zeitzeuge Peter Keup vom Bochumer Institut für
Deutschlandforschung mit den Luisenschullehrern Beate Schulte
und Andreas Wortberg
Wie demokratisch war eigentlich die Deutsche Demokratische Republik? Das wollen Achtklässler der Luisenschule genauer wissen. Deshalb luden sie sich mit ihren Lehrern Beate Schulte und Andreas Wortberg zwei Zeitzeugen ein, die in der DDR gelebt und unter der SED-Diktatur gelitten haben.

Uns geht es um nachhaltiges Erinnern“, erklärte Schulte das Ziel des Projektes. „Ihr wisst mehr, als man von 14-Jährigen erwarten kann und ihr stellt gute Fragen“, bescheinigten Sigrid Richter (65) und Peter Keup (59) ihren jungen Zuhörern. Man merkte den Schülern im dreistündigen Zeitzeugengespräch an, dass sie sich vorab in Büchern und im Internet über die DDR, ihr politisches System und ihren Alltag schlau gemacht hatten.

Und doch ist es etwas anderes, ob man Fakten im Internet und Büchern nachliest oder eine persönliche Geschichte aus der Zeit hört, in der Deutschland geteilt war,“ meinte Schülerin Lea. Das konzentrierte Zuhörern und gezielte Nachfragen der Jugendlichen, zeigte, dass die authentischen Zeitzeugenberichte über die Schattenseiten der DDR bei ihnen nachhaltig wirkten.

Richter und Keup wurden während der frühen 80er Jahre verhört und inhaftiert, weil sie frei sein wollten und von Ost- nach Westdeutschland übersiedeln wollten.

Den Schülern stockte hörbar der Atem, als sie erfuhren, dass Richter und Keup ihren Beruf als Lehrerin nicht mehr ausüben konnten und die Schule verlassen musste, weil ihnen von der DDR-Führung „Republikflucht und Verrat am Kommunismus“ vorgeworfen wurde. Ungläubiges Entsetzen erntete Keup bei den Luisenschülern, als er ihnen von seinem fast 40-stündigen Verhör im Dresdener Untersuchungsgefängnis berichtete. Die Betroffenheit war den Jugendlichen auch anzusehen, als sie von Richter erfuhren, dass sie durch die Haft fast drei Jahre von ihrem Mann und ihrem Sohn getrennt wurde und die Familie erst im Januar 1987 im Westen Deutschlands wieder zusammen kam, nach dem sie von der Bundesrepublik für 100 000 D-Mark pro Person freigekauft wurden.

Auf dem gleichen Weg kamen auch Peter Keup, seine Eltern und sein älterer Bruder Mitte der 80er Jahre nach Essen, wo die Eltern ihres Vaters lebten. 

Der Vater, der den Mauerfall nicht mehr miterleben sollte war 1956, nach dem Verbot der westdeutschen KPD, als überzeugter Kommunist in die DDR übergesiedelt. Das ließ die Schüler ebenso nachdenklich werden, wie Keups Bericht über die Lektüre seiner Stasi-Akten im Jahr 2013. Denn bei dieser Gelegenheit erfuhr Keup, dass sein älterer, 1993 verstorbener Bruder, 1983 von der DDR-Staatssicherheit verpflichtet wurde, Spitzelberichte über seine Familienangehörigen zu schreiben. Ihre persönlichen Berichte über den oft schizophrenen Alltag in der DDR, „in dem es immer zwei Welten und Wahrheiten gab und in dem man sich immer genau überlegen musste, wem man was sagen konnte“, flankierten Keup und Richter mi erschütternden Zahlen. Allein an der Berliner Mauer mussten 140 DDR-Bürger ihren Fluchtversuch mit dem Leben bezahlen. An der innerdeutschen Grenze, wo der Schießbefehl und Selbstschussanlagen grausamer Alltag waren, waren es 400. 35.000 der 200.000 inhaftierten „Republikflüchtlinge“ hatten das Glück von der Bundesregierung freigekauft zu wrden.

Vielen Schülern ging es, wie dem Achtklässler Alexander, die in der abschließenden Reflexionsrunde des Zeitzeugengespräches einräumte: „Ich habe heute sehr viele Informationen aufgenommen, die ich erst mal verarbeiten muss. Im Moment fehlen mir noch die Worte, um meine Eindrücke zu beschreiben.“

Bitte, seid kritisch und aufgeschlossen und hinterfragt, was ihr hört und lest“, bat Richter ihre jungen Zuhörer. Und Keup machte deutlich. „Ihr müsst euch bilden und informieren, um zu erkennen, dass die Demokratie immer noch die beste Staatsform ist und deshalb bewahrt werden muss, damit es nie wieder zur Diktatur kommt. Ihr solltet auch den heutigen Flüchtlingen mit Respekt begegnen, die frei und selbstbestimmt leben wollen.“

Weitere Informationen zum Thema gibt es im Internet unter: www.vos-zeitzeugen.de

Dieser Text erschien in der NRZ und WAZ vom 5. Juli 2017


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