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In dieser Situation ruft Papst Benedikt XV. die kriegführenden Nationen zum Frieden auf. „Der grundlegende Punkt soll der sein, das die materielle Gewalt der Waffen durch die moralische Kraft des Rechtes ersetzt wird.“, unterstreicht der Pontifex in seiner Friedensnote.
Sie hat er zuvor mit dem Fraktionsvorsitzenden der katholischen Zentrumspartei, Matthias Erzberger, und mit seinem bayrischen Nuntius Eugenio Pacelli, dem späteren Papst Pius XII., abgesprochen. In ihnen findet Benedikt Gesinnungsgenossen, während deutsche Kardinäle, wie der Münchener Erzbischof Michael Faulhaber oder der Kölner Erzbischof Felix von Hartmann, ganz im Sinne der Obersten Heeresleitung unter Paul von Hindenburg und Erich Ludendorff den Krieg aus deutscher Sicht als „gerecht“ und dem deutschen Volk „von seinen Feinden aufgezwungen“ verteidigen. Pacellis und Erzbergers Sondierungsgespräche mit Reichskanzler Theobald von Bethmann-Hollweg bringen kein Ergebnis, da der politisch unter Druck stehende Kanzler keine verbindlichen Friedensbedingungen nennen kann.
Erfolgsaussichten schienen günstig
Obwohl der vormalige Erzbischof von Bologna, Giacomo della Chiesa, der seit dem 3. September 1914 als Papst Benedikt XV. auf dem Stuhl Petri sitzt, bei allen kriegsführenden Staaten moralischen Kredit besitzt, weil er stets eine Politik der Neutralität verfolgt hat, finden seinen Friedensforderungen im Sommer 1917 nur bei den neutralen Staaten uneingeschränkte Zustimmung.
Der 1854 in Genua geborene Papst, der bereits als junger Priester im Staatssekretariat des Vatikans gearbeitet hat, hat bereits in den ersten beiden Kriegsjahren die Kampfhandlungen auf den Schlachtfeldern als „grauenhafte und sinnlose Schlächterei“ verurteilt. Außerdem hat er, auch hier unterstützt, vom deutschen Zentrumspolitiker Matthias Erzberger, die Unterdrückung und Vernichtung der christlichen Armenier im mit Deutschland verbündeten Osmanischen Reich als Verbrechen gegen die Menschlichkeit gebrandmarkt.
Der Papst schlägt in seiner Friedensnote vom 1. August 1917 vor, alle Kampfhandlungen sofort einzustellen, gemeinsam abzurüsten, auf Reparationen zu verzichten, die besetzten Gebiete zu räumen, die deutschen Kolonien zurückzugeben und die Einrichtung eines Internationalen Gerichtshofes, an dem alle internationalen Streitfragen verhandelt werden sollen.
Vieles spricht zunächst für einen Erfolg Benedikts. Denn die Völker Europas sind 1917 kriegsmüde. Es kommt zu Hungerstreiks und Meutereien. In Russland muss der Zar abdanken. Im März 1917 vermittelt der belgische Offizier, Prinz Sixtus von Parma geheime Friedensgespräche zwischen Österreich-Ungarn und Frankreich. Doch die Verhandlungen werden bekannt und scheitern deshalb, weil Wien den offenen Bruch mit Berlin scheut.
Auch im Deutschen Reich wandelt sich die Stimmung. Der für die deutsche Auslandsproganda zuständige Reichstagsabgeordnete Matthias Erzberger, der noch 1916 für einen deutschen Siegfrieden mit umfangreichen Gebietsgewinnen plädiert hat, stellt am 6. Juli 1917 im Hauptausschuss des Reichstages fest: „Nur der Vorschlag eines sofortigen Verständigungsfriedens kann das Deutsche Reich noch retten.“
Zur Begründung verweist der katholische Politiker auf die Verhandlungen zwischen Frankreich und Österreich-Ungarn, auf den Fehlschlag des deutschen U-Boot-Krieges, den Kriegseintritt der USA zugunsten der Entente-Mächte Frankreich und England sowie auf die offensichtliche Kriegsmüdigkeit der deutschen Bevölkerung und der deutschen Soldaten.
Vor diesem Hintergrund schmiedet Erzberger mit den Sozialdemokraten und der linksliberalen Fortschrittlichen Volkspartei eine Koalition, die am 19. Juli 1917 eine Friedensresolution verabschiedet.
Sie bewegt sich ganz auf der Linie Benedikts, fordert sie doch „einem Frieden der Verständigung und der dauerhaften Versöhnung zwischen den Völkern.“ Zwei Tage später sagt auch der neue Reichskanzler Georg Michaelis: „Wir Deutschen wollen in Freiheit und Frieden leben und ein freies Deutschland aufbauen.“
Der Frieden scheint greifbar. Doch die Oberste Heeresleitung unter Paul von Hindenburg und Erich Ludendorff stellt sich quer. Hindenburg und Ludendorff wollen einen Siegfrieden und umfangreiche Gebietsgewinne für Deutschland um jeden Preis. Hindenburg, der 1914 als „Held von Tannenberg“ die russische Armee aus Ostpreußen vertrieben hat, gilt im Deutschland des Jahres 1917 als eigentlicher Machthaber, der auch Kaiser Wilhelm II.dominiert. Der Nationalökonom und Soziologe Max Weber spricht mit Blick auf Hindenburg von einem „charismatischen Militärdiktator.“
Machtloses Parlament
Das Verfassungsproblem im Deutschen Kaiserreich besteht damals darin, dass die Reichstagsmehrheit allein keine Politik machen kann, weil nur der Kaiser die Reichsregierung ernennen oder entlassen kann.
Unter dem Einfluss der Obersten Heeresleitung hat Kaiser Wilhelm II. am 14. Juli 1917 den Reichskanzler Theobald von Bethmann-Hollweg entlassen, weil dieser aus ihrer Sicht zu sehr mit einem Verständigungsfrieden geliebäugelt hat. Sein Nachfolger Michaelis weiß sich gewarnt. Dennoch schreibt er im September 1917 an Papst Benedikt: „Wir stimmen mit eurer Heiligkeit überein, dass bestimmte Regeln und Sicherheiten für die gegenseitige Begrenzung der Rüstung zu Lande, zu Wasser und in der Luft, sowie für die wahre Freiheit und die Gemeinsamkeit der hohen See, diejenigen Gegenstände darstellen, deren Behandlung in neuem friedlichen Geist das Verhältnis der europäischen Staaten zueinander bestimmen sollte. Sodann ergäbe sich die Aufgabe internationale Meinungsverschiedenheiten mit friedlichen Mitteln entscheiden zu lassen.“
Und in Beratungen mit der österreichischen Regierung sagt
Michaelis: „Die Frage, ob Deutschland noch ein viertes Kriegsjahr durchhalten wird, kann nicht mit Sicherheit beantwortet werden. Das Interesse an territorialen Gewinnen muss gegebenenfalls vor der Möglichkeit eines raschen Friedensschlusses zurück treten.“ Doch der Reichskanzler schränkt gleichzeitig ein: „Die letzte Entscheidung hierüber muss bei der militärischen Leitung liegen.“ Und die lässt Michaelis in Person von Paul von Hindenburg wissen: „Ein Blick auf alle Fronten ergibt, dass wir militärisch so stark stehen, wie nie zuvor.“
In einem Brief an Mitglieder des Deutschen Kriegerverbandes fordert Hindenburg: „Die Zähne zusammen gebissen und kein Wort mehr vom Frieden, bis die blutige Arbeit vollbracht und der Sieg unser ist“
Die Macht der Generäle
Und so muss Reichskanzler Michaelis am 19. September 1917 vor allem deshalb die Friedensinitiative des Papstes zurückweisen, weil der Kaiser und seine Generäle nicht bereit sind, mit der Entente nicht über die Räumung des 1871 von Deutschland annektierten Elsaß-Lothringen und des seit 1914 von deutschen Truppen besetzten Belgiens verhandeln wollen.
Aber auch England und Frankreich haben keinen Finger gerührt, um der Friedensinitiative des Papstes zum Durchbruch zu verhelfen. Denn sie fühlen sich nach dem Kriegseintritt der USA, April 1917, militärisch im Vorteil und streben keinen Verständigungsfrieden, sondern eine bedingungslose Kapitulation Deutschlands, die politische Entmachtung des deutschen Kaisers, die Übernahme der deutschen Kolonien sowie deutsche Reparationen und Gebietsabtretungen an Frankreich an.
Im September 1917 muss der Papst einsehen, dass seine moralische Kraft vor der materiellen Gewalt der Waffen und der Machtpolitiker kapitulieren muss. Fortan konzentriert er seine Kraft auf die humanitäre Hilfe für die Kriegsgefangenen an allen Fronten. Wie im Krieg, so verhallt Benedikts Appell an die Vernunft der politisch Verantwortlichen, auch im Frieden. Benedikts Warnung vor „der Rachsucht“ der Sieger wird ignoriert. Die Siegermächte schreiben im Friedensvertrag von Versailles Deutschland die alleinige Kriegsschuld zu und belasten die neue deutsche Republik mit umfangreichen Gebietsabtretungen und Reparationslasten. Diese Politik der Revanche kostet Europa einen Diktatur und einen weiteren Weltkrieg.
Auf den Spuren Benedikts
Erst nach dem Zweiten Weltkrieg, der noch einmal fast 60 Millionen Menschenleben gekostet hat, handeln die europäischen Staatsmänner in Benedikts Geist, in dem sie 40 Jahre nach seiner gescheiterten Friedensinitiative das Friedenswerk der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft auf den Weg bringen. Benedikt Vision eines Internationalen Gerichtshofes wird immerhin schon in seinem Todesjahr 1922 realisiert und 1945 von den neu gegründeten Vereinten Nationen wiederbelebt.
Zweifellos kann man Benedikt XV. als historischen Kronzeugen für die Europäische Union ansehen, die nicht von ungefähr 2012 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet worden ist. Es verwundert nach zwei Weltkriegen nicht, dass es 2005 mit dem 1927 geborenen Kardinal Joseph Ratzinger ein Papst aus Deutschland war, der sich mit seiner Namenswahl als Benedikt XVI. in die Nachfolge des weitsichtigen Friedenspapstes gestellt hat. 100 Jahre nach dem Beginn des Ersten Weltkrieges und des Pontifikates von Benedikt XV. kam die Historikerin Birgit Aschmann bei einer Veranstaltung des Zentralkomitees der deutschen Katholiken zu folgender Einschätzung dieses Friedenspapstes:
„Natürlich sind es Spekulationen. Aber es lohnt doch, sich zu fragen, was 1917 passiert oder nicht passiert wäre, wenn es zu dem von Benedikt XV. erstrebten gerechten und dauerhaften Frieden gekommen wäre. Hätte die russische Revolution aufgehalten werden können? Hätten die Nationalsozialischen dann noch in Deutschland einen fruchtbaren Boden gefunden? Eines ist klar: Die deutschen Katholiken, Kleriker und Laien, haben vor und während des Ersten Weltkrieges nicht genug für den Frieden getan.“
Dieser Text erschien am 29. Juli 2017 in der katholischen Zeitung Die Tagespost
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