Donnerstag, 9. Januar 2020

"Die Erde ist ein grünes Raumschiff"

Wilhelm Knabe (96) hat viel erlebt. Jetzt hat der Mit-Gründer der Grünen, der von 1987 bis 1990 für Mülheim im Bundestag saß und von 1994 bis 1999 Bürgermeister unserer Stadt war, seine Lebenserinnerungen aufgeschrieben. Ein Gespräch.


Warum sollte man Ihre Memoiren lesen?

Knabe: Weil mein Buch Mut macht und mit Vorurteilen über das Alter aufräumt. Ich möchte Menschen Mut machen und Ihnen am Beispiel meiner eignen Lebensgeschichte zeigen, dass auch im Alter noch viel passieren kann und man keine Angst davor haben soll, sich immer wieder neuen Herausforderungen zu stellen und schönes im Leben zu entdecken.


Lohnt sich die Lektüre Ihrer Autobiografie auch für Jugendliche?

Knabe: Wenn ich mit Jugendlichen über die Erfahrungen meines Lebens gesprochen haben, hörte ich oft: „Schreiben Sie das doch mal auf!“ 2013 habe ich dann damit angefangen. Es begann mit einem Gespräch, das ich mit meinem Enkel geführt habe. Ich habe dann Erinnerungen auf Band gesprochen und niedergeschrieben.


Was ist Ihre Botschaft?

Knabe: Denkt nach und habt Mut, euren eigenen Weg zu gehen, statt nur dem vermeintlichen Zeitgeist zu folgen. Denn die Welt schreit danach vernünftig zu werden. Deshalb müssen wir nicht nur unsere Umwelt schützen, sondern und auch als Teil einer Mitwelt sehen, in der wir nur gemeinsam vorankommen, wenn wir respektvoll und wertschätzend miteinander umgehen.


Was gibt Ihnen Kraft?

Knabe: Schönes anzuschauen, zum Beispiel Blumen oder Vögel oder alte Häuser und Schlösser, bei deren Anblick ich denke: „Mensch, was haben unsere Altvorderen doch an schöner und sehenswerter Architektur geschaffen, die auch nach Jahrhunderten und Jahrzehnten noch lange kein abrissreifer Schrott ist, sondern uns viel zu sagen hat“.


Welche Herausforderung muss unsere Gesellschaft bewältigen?

Knabe: Einzusehen, dass die Erde ein kleines Grünes Raumschiff ist, das durch ein lebensfeindliches All fliegt und nur bestehen kann, wenn seine Besatzung solidarisch ist und zusammenarbeitet. Wir müssen als Menschen erkennen, dass wir nicht alles bekommen können, was wir uns wünschen und das Gier am Ende nicht glücklich macht. Deshalb brauchen wir Entschleunigung statt Beschleunigung und tun gut daran, immer wieder mal eine Besinnungspause einzulegen.


Wofür sind Sie im Rückblick dankbar?

Knabe: Zum Beispiel dafür, dass ich viele Menschen animieren konnte, mitzugehen und mitzumachen, um zum Beispiel grüne Schneisen im Ruhrgebiet zu erhalten, die etwa mit einer Autobahn (A31) zugebaut werden sollten. Ich bin dankbar dafür, dass ich jetzt in Berlin den 40. Geburtstag der Grünen mitfeiern und miterleben darf, dass aus Grünen Splittern heute eine politisch prägende Kraft geworden ist. Die Grünen können Gutes für und in unserer Gesellschaft bewirken kann, wenn sie sich verkneifen, Politik von oben herab und gegen den Willen der Bürger zu machen. 


Sie haben zwei Diktaturen er- und überlebt. Was lehrt Sie das?

Knabe: Ich weiß um die elementare Bedeutung freier Wahlen, weil ich weiß wie es ist, wenn man keine Wahl hat. Und ich weiß, dass man in der Demokratie miteinander reden muss und gegenseitige Vorwürfe zu nichts führen, weil man zusammen mehr erreichen kann als allein.




Wilhelm Knabes Autobiografie „Erinnerungen“ an ein „deutsch-deutsches Leben“, das am 9. Oktober 1923 im sächsischen Arnsdorf begann und ihn 1967 nach Mülheim führte, ist auf 355 Seiten im Mülheimer Dr.-Sigrid-Krosse-Verlag erschienen und für 22 Euro im Buchhandel erhältlich. Im Vorwort schreibt der politische Bundesgeschäftsführer der Grünen, Michael Kellner über Wilhelm Knabe: „Der Lebensbericht von Wilhelm Knabe hat mich berührt. Er gehört zu den wichtigsten Gründern der Grünen. Seine Lebensgeschichte ist eine wirkliche deutsch-deutsche Biographie. Die Kriegserfahrungen dieser Gründungsgeneration im Zweiten Weltkrieg, die Schuld der Deutschen am Holocaust und am mörderischen Vernichtungskrieg führten bei ihm und bei den entstehenden Grünen zu einer pazifistische Grundhaltung und zur Betonung von Gewaltfreiheit. Als Forstwissenschaftler arbeitete er in seiner Doktorarbeit an der Rekultivierung im Braunkohlentagebau, ein Thema, welches die Umweltbewegung bis heute beschäftigt. Seine Schilderungen geben einen spannenden Einblick in die Gründungsgeschichte der Grünen. Sie machen deutlich, welchen beruflichen Nachteilen diese Gründergeneration teilweise ausgesetzt war und welchen Mut und Beharrlichkeit dazugehörte. Ich verneige mich vor Menschen wie Wilhelm Knabe. Ohne ihn würden wir heute als Partei nicht existieren. Er hat die Saat gelegt für diese Grüne Partei.“


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