Wilhelm Knabe (96) hat viel erlebt. Jetzt hat der Mit-Gründer
der Grünen, der von 1987 bis 1990 für Mülheim im Bundestag saß und von 1994 bis
1999 Bürgermeister unserer Stadt war, seine Lebenserinnerungen aufgeschrieben.
Ein Gespräch.
Warum sollte man Ihre Memoiren lesen?
Knabe: Weil mein Buch Mut macht und mit Vorurteilen über das
Alter aufräumt. Ich möchte Menschen Mut machen und Ihnen am Beispiel meiner eignen
Lebensgeschichte zeigen, dass auch im Alter noch viel passieren kann und man
keine Angst davor haben soll, sich immer wieder neuen Herausforderungen zu stellen
und schönes im Leben zu entdecken.
Lohnt sich die Lektüre Ihrer Autobiografie auch für Jugendliche?
Knabe: Wenn ich mit Jugendlichen über die Erfahrungen meines
Lebens gesprochen haben, hörte ich oft: „Schreiben Sie das doch mal auf!“ 2013
habe ich dann damit angefangen. Es begann mit einem Gespräch, das ich mit
meinem Enkel geführt habe. Ich habe dann Erinnerungen auf Band gesprochen und niedergeschrieben.
Was ist Ihre Botschaft?
Knabe: Denkt nach und habt Mut, euren eigenen Weg zu gehen,
statt nur dem vermeintlichen Zeitgeist zu folgen. Denn die Welt schreit danach
vernünftig zu werden. Deshalb müssen wir nicht nur unsere Umwelt schützen,
sondern und auch als Teil einer Mitwelt sehen, in der wir nur gemeinsam vorankommen,
wenn wir respektvoll und wertschätzend miteinander umgehen.
Was gibt Ihnen Kraft?
Knabe: Schönes anzuschauen, zum Beispiel Blumen oder Vögel
oder alte Häuser und Schlösser, bei deren Anblick ich denke: „Mensch, was haben
unsere Altvorderen doch an schöner und sehenswerter Architektur geschaffen, die
auch nach Jahrhunderten und Jahrzehnten noch lange kein abrissreifer Schrott
ist, sondern uns viel zu sagen hat“.
Welche Herausforderung muss unsere Gesellschaft bewältigen?
Knabe: Einzusehen, dass die Erde ein kleines Grünes Raumschiff
ist, das durch ein lebensfeindliches All fliegt und nur bestehen kann, wenn
seine Besatzung solidarisch ist und zusammenarbeitet. Wir müssen als Menschen
erkennen, dass wir nicht alles bekommen können, was wir uns wünschen und das
Gier am Ende nicht glücklich macht. Deshalb brauchen wir Entschleunigung statt
Beschleunigung und tun gut daran, immer wieder mal eine Besinnungspause einzulegen.
Wofür sind Sie im Rückblick dankbar?
Knabe: Zum Beispiel dafür, dass ich viele Menschen animieren
konnte, mitzugehen und mitzumachen, um zum Beispiel grüne Schneisen im Ruhrgebiet
zu erhalten, die etwa mit einer Autobahn (A31) zugebaut werden sollten. Ich bin
dankbar dafür, dass ich jetzt in Berlin den 40. Geburtstag der Grünen mitfeiern
und miterleben darf, dass aus Grünen Splittern heute eine politisch prägende Kraft
geworden ist. Die Grünen können Gutes für und in unserer Gesellschaft bewirken
kann, wenn sie sich verkneifen, Politik von oben herab und gegen den Willen der
Bürger zu machen.
Sie haben zwei Diktaturen er- und überlebt. Was lehrt Sie
das?
Knabe: Ich weiß um die elementare Bedeutung freier Wahlen,
weil ich weiß wie es ist, wenn man keine Wahl hat. Und ich weiß, dass man in
der Demokratie miteinander reden muss und gegenseitige Vorwürfe zu nichts
führen, weil man zusammen mehr erreichen kann als allein.
Wilhelm Knabes Autobiografie „Erinnerungen“ an ein „deutsch-deutsches
Leben“, das am 9. Oktober 1923 im sächsischen Arnsdorf begann und ihn 1967 nach
Mülheim führte, ist auf 355 Seiten im Mülheimer Dr.-Sigrid-Krosse-Verlag
erschienen und für 22 Euro im Buchhandel erhältlich. Im Vorwort schreibt der
politische Bundesgeschäftsführer der Grünen, Michael Kellner über Wilhelm
Knabe: „Der Lebensbericht von Wilhelm Knabe hat mich berührt. Er gehört zu den
wichtigsten Gründern der Grünen. Seine Lebensgeschichte ist eine wirkliche deutsch-deutsche
Biographie. Die Kriegserfahrungen dieser Gründungsgeneration im Zweiten
Weltkrieg, die Schuld der Deutschen am Holocaust und am mörderischen Vernichtungskrieg
führten bei ihm und bei den entstehenden Grünen zu einer pazifistische
Grundhaltung und zur Betonung von Gewaltfreiheit. Als Forstwissenschaftler arbeitete
er in seiner Doktorarbeit an der Rekultivierung im Braunkohlentagebau, ein
Thema, welches die Umweltbewegung bis heute beschäftigt. Seine Schilderungen geben
einen spannenden Einblick in die Gründungsgeschichte der Grünen. Sie machen
deutlich, welchen beruflichen Nachteilen diese Gründergeneration teilweise
ausgesetzt war und welchen Mut und Beharrlichkeit dazugehörte. Ich verneige
mich vor Menschen wie Wilhelm Knabe. Ohne ihn würden wir heute als Partei nicht
existieren. Er hat die Saat gelegt für diese Grüne Partei.“
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