90 Minuten dauert ein Fußballspiel. 90
Minuten bringt das 17-köpfige und generationsübergreifende Ensemble um Jörg
Fürst mit seiner neuen Produktion „Jeder:Jederzeit“ das Spiel unseres Lebens
auf die Volxbühne. Das Stück beginnt schon ungewöhnlich, ehe es begonnen hat. Die
70 Zuschauer werden durch die Teeküche auf die Bühne und von dort aus wie durch
ein Labyrinth zu ihren Plätzen im Auditorium geführt.
So bekommt man als Zuschauer ein Gefühl für
die Bühne, auf der die Akteure durch zwei dursichtige Tüll-Vorhänge die meiste
Zeit sichtbar und doch irgendwie etwas entrückt erscheinen. Zuweilen werden die
Vorhänge auch zu Leinwänden, auf die zum Beispiel ein dahin schmelzendes Eis oder
vielsagende Satz: „Die Zeit ist buchstabengenau“ zu sehen sind. Auf der
Rückseite der Bühne entfalten
Peter Eisold (Schlagzeug & Elektronik) und Pía Miranda (Posaune &
Gesang) einen wunderbar meditativen Klangteppich, der die gesamte Szenerie musikalisch
untermalt.
Mal sieht man die Darsteller als Gruppe
hinter den Vorhängen, mal mit Masken verfremdet, mal ihrem Publikum fast provozierend
ins Gesicht lachend. Dann treten einzelne Schauspieler aus dem Ensemble heraus,
vor die Vorhänge und ins Rampenlicht. Ihre poetischen, philosophischen und
manchmal auch skurril anmutenden Monologe werfen ein Schlaglicht auf die
Vergänglichkeit unserer Lebenszeit und unseren oft fremdelnden Umgang damit. „Als
ich jung war und wie auf Flügeln durch die Zeit flog, fühlte ich mich wie
ausgegossen. Das war ein beängstigender und zugleich göttlicher Traum“, sagt
eine Frau am Rollator, Ein grauhaariger Mann beschreibt die Veränderungen
seines Körpers und seine Selbstbetrachtung im Spiegel. Eine Frau berichtet von
ihrem Liebhaber, der sie verlassen hat und davon, dass sie das Laken, auf dem
sie sich einst liebten, ungewaschen in den Schrank gelegt hat und zuweilen wie
eine alte Erinnerung wieder aufzieht. Ein ganz junger und ein etwa älterer Mann
treten als Clowns mit roter Plastiknase auf und treiben ihre grotesken Scherze.
So geben sie ein Sinnbild für die Lebensfreude im Hier und Jetzt, die nicht an
Gestern und nicht an Morgen denkt. Und dann träumt sich ein älterer Mann in die
Abenddämmerungen seiner Kindheit zurück. Eine Frau erinnert sich daran, dass sie
schon als Kind die Unbegreiflichkeit des Todes nicht akzeptieren konnte. Und ein
junger Mann sieht seinen Körper wie „einen Koffer, in dem wir uns herum- und
durchs Leben tragen.“
„Jeder:Jederzeit“ ist eine aus Texten, Tönen
und Lichteffekten raffiniert komponierte Lebenscollage. Sie gibt ihren Betrachtern
vor allem eine Botschaft mit auf den Lebensweg: „Nutze deine Zeit, denn sie
kann jederzeit zu Ende sein!“ Wie hatte Regisseur Jörg Fürst vor der Premiere so richtig gesagt: "Beim Thema Lebensalter kann jeder anknüpfen und aufspringen, egal in welchem Lebensalter er sich gerade befindet." Die 13- bis 80 Jahre alten Darsteller der Volxbühne haben uns genau das gezeigt.
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