Donnerstag, 23. Januar 2020

Abschalten & hinschauen

Es kam wie es kommen musste. Gestern beobachtete ich zwei Fußgänger, die miteinander kollidierten. Denn sie schenkten der digitalen Welt auf ihrem Smartphone-Display ihre ungeteilte Aufmerksamkeit und verloren dabei ihre analoge Umwelt aus dem Blick. Schade. Denn da gibt es viel zu sehen, zum Beispiel den Vater, der seinen kleinen Sohn auf den Schultern durch die Stadt trägt oder das alte Ehepaar, das dort gemeinsam und vorsichtig, Schritt für Schritt seinen Weg geht und sich dabei vertraut aneinander festhält, die Nachbarn, die sich an der Haustür Zeit für ein Gartenzaungespräch nehmen, das karge Grün, das dem urbanen Beton trotzt, ein flirtendes Lächeln, das einem im Vorbeigehen geschenkt wird und das die Seele ebenso streichelt wie die lichten Momente, die die Wintersonne für uns zur Mittagsstunde bereithält. Ich musste bei der kleinen Karambolage an den an dieser Stelle bereits gestern zitierten Politik-Professor Karl-Rudollf Korte denken, der unsere Zeit beim Bistumsempfang in der katholischen Akademie am Montagabend als Frühdigitalisierung charakterisiert hatte. Seine Diagnose: „Wir müssen mit Blick auf die neuen Medien und ihre Möglichkeiten erst noch mündig werden.“ Und zu dieser Mündigkeit gehört an erster Stelle wohl die Fähigkeit seine zweifellos hilfreichen digitalen Assistenzsysteme im richtigen Moment abzuschalten und ganz analog die Augen aufzumachen und hinzuschauen. 

Dieser Text erschien am 23. Januar 2020 in der Neuen Ruhrzeitung

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Ein Mini-Malta an der Ruhr

Wo heute der Nachwuchs bei der Arbeiterwohlfahrt seine Freizeit verbringt, schoben im alten Wachhaus der Wraxham Baracks von 1945 bis 1994 S...