Sie ist mit 1600 Schülern und 150 Lehrern Mülheims größte Schule. 2020 feiert die Gustav-Heinemann-Schule ihr 50-jähriges Bestehen. Am 22. Januar beginnt das Jubiläumsjahr ab 14 Uhr mit einem Tag der Offenen Tür für Interessierte Schüler und Eltern. Außerdem werden Gustav-Heinemann-Schüler an diesem Tag auf dem Schulhof das neue Schulmotto: „Wir sind Gustav!“ mit riesigen Buchstaben nachstellen und diese Aktion mithilfe einer Foto-Drohne dokumentieren.
Zum Beginn des Jubiläumsjahres sprachen Thomas Ratz, der die Gustav-Heinemann-Schule seit 2018 leitet und sein Vor-Vorgänger Peter Virnich, der zwischen 1975 und 2001 an ihrer Spitze stand, darüber wie die Schule zu dem geworden ist, was sie heute ist und was sie im Kern ausmacht.
Warum haben Sie sich als Lehrer für diese Schule entschieden?
Virnich: Ich kam 1971 als Lehrer an die Schule, die damals noch Gesamtschule der Stadt Mülheim an der Ruhr hieß. Der damalige Schulleiter, Günter Wischmann, den ich bei der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft kennengelernt hatte, hatte mich davon überzeugt, dass ich hier als Lehrer gut aufgehoben sein könnte. Davor hatte ich bereits sechs Jahre an einem Gymnasium unterrichtet. Dort herrschte noch ein sehr autoritärer Stil. Das gefiel mir nicht. Ich wollte mit den Schülern auf Augenhöhe arbeiten und das konnte ich hier. Deshalb habe ich meine Entscheidung zum Wechsel auch nie bereut, weil ich hier eine pädagogische Aufbruchstimmung erleben durfte, die mich begeisterte, auch wenn sie manchmal an Selbstausbeutung grenzte. Ich denke da an Lehrerkonferenzen der frühen Jahre, an denen wir manchmal vier bis fünf Stunden an pädagogischen Konzepten feilten.
Ratz: Ich habe selbst an einer Krefelder Gesamtschule mein Abitur gemacht, habe mich dann aber als Lehrer auch an anderen Schulenformen beworben. Doch hier an der Gustav-Heinemann-Schule gefiel mir einfach die Atmosphäre am besten. Als ich 1999 zum Vorstellungsgespräch kam, verlief ich mich zunächst in dem großen Gebäude. Eine Schülerin sah mich umherirren und sprach mich freundlich an, ob sie mir weiterhelfen könne. Die positive Atmosphäre, mit der ich empfangen wurde, fand im Schulleiterbüro seine Fortsetzung. Mir war schnell klar: „Hier möchtest du unterrichten“, weil man hier in mir nicht nur den Fachlehrer, sondern auch den Menschen sieht. Und das hat sich dann auch bestätigt, in dem man mir schnell Verantwortung übertragen hat und ich etwa als Musiklehrer mithilfe des Fördervereins gleich mehrere Instrumente anschaffen konnte.
Wie kam es zur Gründung der Gesamtschule?
Virnich: Damals hatte man es mit einem Schülerberg zu tun und brauchte dringend eine große Schule für den Mülheimer Norden, da es hier für Dümpten und Winkhausen nur eine Hauptschule gab, die im Gebäude der heutigen Erich-Kästner-Grundschule untergebracht war. Mit den Stimmen der SPD, die damals eine absolute Mehrheit in Mülheim hatte, beschloss der Rat der Stadt im Dezember 1968 die Gründung einer integrierten und differenzierten Gesamtschule, in die nicht nur die Hauptschule an der Nordstraße, sondern eine damals ebenfalls neugegründete Realschule und ein Gymnasium integriert werden sollte. Im Juli 1970 hat die Gesamtschule der Stadt Mülheim dann mit insgesamt 22 Klassen und 792 Schülern an der Nordstraße ihren Unterrichtsbetrieb aufgenommen. Der Prozess der Schulgründung wurde damals von einem pädagogischen Planungsausschuss begleitet. Diesem Planungsausschuss, der vom damaligen Bürgermeister und Hauptschulrektor Dieter aus dem Siepen geleitet wurde, gehörten Mülheimer Pädagogen und Politiker an.
Wurde die Gesamtschule von den Mülheimern gut angenommen?
Virnich: Die Nachbarn an der Nordstraße taten sich anfangs schwer damit, dass vor ihrer Haustür ein großes Schulgebäude entstand und sie plötzlich nicht mehr auf ein freies Feld schauen konnten. Doch wir hatten schon in den ersten Jahren oft doppelt so viele Anmeldungen wie freie Plätze. Der Ganztagsschulbetrieb mit seiner Mensa, seinen Arbeitsgemeinschaften, seiner Hausaufgabenbetreuung uns seinen Förderkursen kam bei Eltern und Schülern gut an. Das galt auch für unsere Betriebs- und Berufsschulexkursionen, in denen wir herausfanden, was die Schüler in unserem Unterricht lernen mussten, um später auf dem Arbeitsmarkt zu bestehen.
Ratz: Das ist auch heute noch ein wichtiges Argument für Eltern, die ihre Kinder bei uns anmelden. Sie sehen, dass ihre Kinder hier sehr individuell und lebensnah gefördert werden und dass wir als Schule schon aufgrund unserer Größe und unserer sehr heterogenen Schülerschaft ein vielseitiges und differenziertes Unterrichts- Förderkurs,- AG,- und Projektangebot machen können.
Wie kam die Gesamtschule zu ihrem Namenspatron Gustav-Heinemann?
Virnich: Als 1982 in Saarn eine zweite Gesamtschule gegründet wurde, wollte man unsere Schule in Gesamtschule Dümpten umbenennen. Doch das stimmte schon geografisch nicht, weil die Schule sowohl in Dümpten als auch in Winkhausen liegt. Deshalb kam in der Schulgemeinschaft schnell die Idee auf: „Wir brauchen einen Namenspatron, der zu unserer Schule passt. Obwohl es auch andere Vorschläge wie Rosa Luxemburg und Clara Zetkin gab, stellte sich der ehemalige Bundesjustizminister und Bundespräsident Gustav-Heinemann als mehrheits- und konsensfähig heraus. Für ihn sprachen, dass er während des Dritten Reiches zur regimekritischen Bekennenden Kirche gehört hatte und dass er als Bundesjustizminister gesellschaftlich wichtige Reformen durchgesetzt hatte. Ich denke da zum Beispiel an die Abschaffung des Paragrafen 175, der Homosexualität unter Strafe gestellt hatte und an die rechtliche Gleichstellung der Frauen in der Ehe. Mir gefällt der Satz Gustav Heinemanns, den er in der hitzigen Kontroverse um die 68er gesagt hat: „Wer mit dem Finger auf andere zeigt, sollte bedenken, dass drei Finger seiner Hand auf ihn selbst zeigen.“ Wir haben den neuen Namen unserer Schule damals unter anderem mit einem Buch, einer Ausstellung und einer Veranstaltung gefeiert, bei der Heinemanns Kinder Peter Heinemann und Uta Ranke-Heinemann sowie Gustav Heinemanns letzter persönlicher Referent Martin Lotz unsere Ehrengäste waren. Martin Lotz hielt damals die Festrede.
Was macht heute das pädagogische Profil der Gustav-Heinemann-Schule aus?
Ratz:
Die Themen Inklusion und Integration beschäftigen die meisten Schulen im Lande.
Logisch, dass diese Themen auch auf unserer Agenda stehen. Und natürlich
verwenden wir viel Energie darauf, um zu nachhaltigen und erfolgreichen
Lösungen zu kommen. Darüberhinaus gibt es jedoch auch Schwerpunkte, die sich
aus der Geschichte und dem Selbstverständnis der Gustav-Heinemann-Schule heraus
entwickelt haben:
Zu
nennen sind etwa unser Europaprofil, die vielfältigen Schulprogrammpunkte wie
zum Beispiel Schulsanitätsdienst, Deeskalationstraining, Schülerpaten,
Streitschlichter, Medienscouts, Schule in Bewegung, Kooperationen mit dem
Theater an der Ruhr, der Hochschule Ruhr-West und so fort.
Bei uns lernen Schüler Teamgeist. Und bei uns gilt: Wer Gustav-Heinemann-Schüler ist, bleibt es auch: An unserer Schule werden Kinder und Jugendliche nicht aussortiert, sondern individuell mit ihren Stärken und Schwächen gefördert. Dabei helfen uns unsere Lernen-Individuell-Förderkurse und die ab den Klassen 7 und 9 in den Fächern Englisch, Mathematik, Deutsch und Chemie greifende Fachleistungsdifferenzierung in Grund- und Erweiterungskurse. Kein Schüler ist nur hochbegabt oder nur lernschwach. Wo der eine Schüler seinem Klassenkameraden zeigt, wie man eine gute Powerpointpräsentation aufbaut und frei redet, zeigt dieser ihm als praktisch veranlagter Schüler dann im Technikunterricht wie man richtig sägt. (T.E.)
Gustav-Heinemann-Schule 2020
Die Schulleitung wurde zu Beginn des Schuljahres 2018/19 auf mehreren Positionen erneuert und erst vor wenigern Wochen mit einem neuen Stellvertretenden Schulleiter komplettiert. Insgesamt herrscht große Aufbruchstimmung und viele Dinge wurden bereits in kurzer Zeit neu auf den Weg gebracht wie etwa die Einrichtung neuer pädagogischer Räume.
Thomas Ratz sagt: „Im Sinne von ‚Mehr Demokratie wagen streben wir die Implementierung einer umfangreichen Feedback-Kultur an. Ferner streben wir für unsere Schule ein flächendeckendes Wlan-Netz, eine verstärkte Förderung der Medienkompetenz, eine bessere Computer-Hardware-Ausstattung und langfristig den Einsatz von digital vernetzten und interaktiven Whiteboards an, die die herkömmlichen Tafeln ersetzen sollen. Und zur Stärkung des digitalen Lernens wurde jetzt im Lehrerkollegium eine neue Koordinatorenstelle eingerichtet.“
Der Goldene Schulgeburtstag wird mit einer Festschrift, mit einem Festabend (28. April), einer Projektwoche (3. bis 5. Juni) und mit einem Schulfest am 6. Juni gefeiert. Mehr Informationen zur Schule findet man im Internet unter: www.gustav-schule.de
Dieser Text erschien am 20. Januar 2020 in NRZ und WAZ
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