Eine Stadt, die
mit Eleonore Güllenstern und Dagmar Mühlenfeld inzwischen zwei
Oberbürgermeisterinnen. Mit Gisela Prätorius, Helga Wex, Ulrike Flach und
Astrid Timmermann-Fechter vier Bundestagsabgeordnete und mit Hannelore Kraft
und Barbara Steffens eine NRW-Ministerpräsidentin und eine
Landesgesundheitsministerin hervorgebracht hat, kennt Politikerinnen heute als
die bessere Hälfte unserer Demokratie.
Kaum zu glauben
aber wahr, dass es gerade mal 100 Jahre her ist, dass Frauen in Deutschland und
damit auch in Mülheim erstmals die Wahl hatten, zu wählen oder gewählt zu
werden.
Am 19. Januar
1919 ist es so weit. Auch im damals 128.000 Einwohner zählenden Mülheim, in dem
die meisten Bürger ihr Geld in der Stahlindustrie und im Handel verdienen,
dürfen Frauen mit darüber abstimmen, welche Partei wie viele Sitze in der
Nationalversammlung bekommen soll, die der am 9. November 1918 ausgerufenen
Republik eine Verfassung geben soll. Erstmals werben die politischen Parteien
mit Zeitungsanzeigen und Veranstaltungen auch um Wählerinnen. Beim Blick in die
Vor-Wahl-Ausgaben der Mülheimer Zeitung und des Mülheimer Generalanzeigers
fällt auf, das fast ausschließlich Anzeigen der liberalen und konservativen
Parteien veröffentlicht werden. In einem Mülheimer Zeitungsaufruf der
rechtsliberalen Deutschen Volkspartei, zu der unter anderem auch der Mülheimer
Industrielle Hugo Stinnes und der Geschäftsführer der späteren Mülheimer
Wohnungsbaugenossenschaft, August Kirchberg gehörten, heißt es vor dem Wahltag:
„Mütter und Frauen! Wollt ihr euren Kindern den Religionsunterricht, Rückgrat
eines glücklichen Familienlebens, erhalten? Wollt ihr euren Gatten und Kindern
eine wirtschaftliche Zukunft aufbauen und eure Stimme erheben gegen den
sittlichen und wirtschaftlichen Verfall? Dann wählt die Deutsche Volkspartei!“
Von einer eigenen
wirtschaftlichen Zukunft der Frauen war in der Zeitungsanzeige der Deutschen
Volkspartei noch keine Rede. Denn Frauen durften noch bis in die 1970er Jahre
hinein nur mit Zustimmung ihres Ehemannes einen Beruf ausüben oder ein eigenes
Konto eröffnen.
Immerhin 20,8
Prozent der wahlberechtigten Mülheimerinnen und Mülheimer folgen am 19. Januar
1919 diesem Aufruf. Stärkste Partei wird damals in Mülheim erstmals die SPD mit
39,8 Prozent, gefolgt von der katholischen Zentrumspartei (21,3 Prozent). Für
die linksliberalen Deutschen Demokraten entscheiden sich 9 Prozent der
Mülheimerinnen und Mülheimer, während 8,8 Prozent für die Deutschnationale
Volkspartei stimmen. Dass 26 Prozent der stimmberechtigten Frauen und Männer in
der Ruhrstadt am 19. Januar von ihrem Wahlrecht keinen Gebrauch gemacht haben,
führt die Mülheimer Zeitung nach der Wahl darauf zurück, dass Kommunisten und
Unabhängige Sozialdemokraten zum Wahlboykott aufgerufen haben, weil sie keine
parlamentarische Demokratie, sondern
eine sozialistische Räterepublik wollen. Am 11. Januar hatte ihre Mülheimer
Zeitung, die Rote Fahne getitelt: „Fort mit Scheidemann und Ebert“ und sich
damit gegen die Sozialdemokraten Friedrich Ebert und Philipp Scheidemann gestellt,
die politisch für den Übergang von der Monarchie zur Republik standen. Diesen
politischen Kurs unterstützte auch die katholische Zentrumspartei, deren
Kandidat Joseph Allekotte (1867-1944) am 19. Januar 1919 in die
Nationalversammlung und 1920 auch in den Reichstag gewählt wurde. Der Saarner
Postbeamte hatte sich bereits seit 1906 als Stadtverordneter und
Kreisvorsitzender des Zentrums kommunalpolitisch engagiert. (T.E.)
Die ersten Frauen im Stadtrat
Eineinhalb Monate
nach der Wahl zur Nationalversammlung wurden die Volksschullehrerin Maria Büßemeyer (1876-1973) und
die Hausfrauen Katharina Havermann (1873-1943) und Luise Blumberg (1890-1974) als erste Frauen in ein
Mülheimer Stadtparlament gewählt. Büßemeyer und Havermann zogen als
Stadtverordnete der katholischen Zentrumspartei in den Stadtrat ein. Blumberg
hatte ihre Mandat bei den Kommunalwahlen vom 2. März 1919 als Kandidatin der
Deutschen Volkspartei errungen. Büßemeyer gehörte dem Rat bis 1929, Havermann bis 1926 und Blumberg zog 1924 nach Oberhausen, wo sie erneut in den Stadrat gewählt wurde. Den drei Ratsfrauen saßen damals allerdings 69
Ratsherren gegenüber. Heute sitzen 44 Ratsherrn elf Ratsfrauen gegenüber. Bei
der Amtseinführung der neuen Ratsmitglieder sagt der damalige Oberbürgermeister
Paul Lembke:“ "Meine Damen und Herren! So begrüße ich Sie heute, die neue
Stadtverordnetenversammlung. Neu, wie die Versammlung, ist auch die Art es
Grußes. Zum ersten Male habe ich die Ehre, neben den Herrn auch Damen in
unserer Mitte willkommen zu heißen. Ich freue mich dessen und hoffe, dass Sie
uns eine wertvolle Hilfe bei unserer Art der Arbeit sein werden, die wir zu
leisten haben, sein werden."
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