„Wer Vielfalt als Bedrohung ansieht und nur die Eindeutigkeit
gelten lässt, begibt sich in die Gefahr zum Fundamentalisten zu werden“, sagt
der Direktor der Katholischen Akademie in seinem Grußwort an die zahlreichen
Gäste, die an diesem Montagabend den Weg zum Jahresempfang des Ruhrbistums
gefunden haben. Der Zustrom der Gäste, die aus allen Bereichen der Bürgerschaft
gekommen sind, sprengt das Auditorium. Deshalb muss die Wolfsburg ihr gesamtes
Obergeschoss bestuhlen.
Die Resonanz war auch deshalb so groß, weil sich Ruhrbischof
Franz-Josef Overbeck keinen Hauptredner, sondern mit NRW-Ministerpräsident
Armin Laschet, der Dortmunder Hochschulrektorin und Kuratoriumsvorsitzende der Alfried
Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung, Professor Dr. Ursula Gather, zwei
prominenten Sparringspartner für eine von Michael Schlagheck moderierte
Podiumsdiskussion über die Zukunft des Ruhrgebietes eingeladen hatte.
Dichteste Hochschullandschaft Europa
Im Kern ging es um die Frage, ob das Ruhrgebiet im
Strukturwandel zwischen Industrialisierung und Digitalisierung auf einem guten
Weg ist. Laschet und Gather führten die breitgefächerte Hochschullandschaft des
Ruhrgebietes und deren technologisches und wirtschaftliches Umfeld als ein
Paradebeispiel dafür an, dass das Ruhrgebiet mit seinem Mix aus Industrie und
Wissenschaft besser aufgestellt sei, als es das verstaubte Image der alten
Industrieregion glauben mache. Gather wies in diesem Zusammenhang darauf hin,
dass man das neue Max-Planck-Institut für Cyber-Sicherheit nach Bochum habe
holen können und das der Dortmunder Technologiepark inzwischen der drittgrößte
in Europa geworden sei.
Demografischer Wandel als Chance
Auch bei dem im demografischen Wandel immer wichtiger
werdenden Thema Pflege und Gesundheit sieht Ministerpräsident Laschet „das
Ruhrgebiet mit einer guten Expertise“ ausgestattet. In diesem Zusammenhang
nannte er die vom NRW-Sozialminister Karl-Josef Laumann und dem Ökonomen Professor
Dr. Christoph Schmidt vom in Essen ansässigen Rheinisch-Westfälischen Institut
für Wirtschaft geleitete Arbeitsgruppe, die im Rahmen der von ihm 2018 einberufenen
Ruhrgebietskonferenz, wirtschaftliche Zukunftschancen für die Region auslotet.
Laschet rechnet noch im Laufe dieses Jahres mit ersten konkreten Ergebnissen
der Revierkonferenz. Nachholbedarf räumte Laschet angesichts „digitaler
Schlaglöcher“ und einer aus seiner Sicht noch ausbaufähigen
Existenzgründerkultur, die wirtschaftlich nicht mehr nur auf große
Industrieunternehmen setze.
„Dennoch wird auch die Zukunft des Ruhrgebietes industriell
geprägt sein. Und die Maschinenbauer der Region bringen wichtige Kompetenz für
die neue Industrie 4.0 mit. Außerdem kommt der Region die Mentalität ihrer
Menschen zugute. Die reden nicht viel, sondern krempeln die Ärmel hoch und
packen an“, betonte die Vorstandsvorsitzende der Thyssen-Krupp-Stiftung. In
diesem Zusammenhang verteidigte sie auch die umstrittene Fusion von
Thyssen-Krupp und Tatan-Stahl. „In dem so Europas zweitgrößter Stahlhersteller
entsteht, werden auch im Ruhrgebiet Arbeitsplätze in der Stahlindustrie
gesichert“, unterstrich Gather.
Und was sagte der Ruhrbischof? „Als christliche Kirchen
müssen wir das Ganze und alle Themen im Blick behalten, bei denen sich die
Lebensqualität der Menschen in unserer Region entscheidet“, formulierte
Overbeck auch im Namen seines ebenfalls anwesenden evangelischen Amtsbruder
Manfred Rekowski, eine ökumenische Selbstverpflichtung für die
Zukunftsgestaltung an der Ruhr. Dem konnte der Präses der Evangelischen Kirche
im Rheinland wohl ebenso folgen wie Overbecks Forderung, beim Blick auf die
wirtschaftliche Entwicklung auch die Ökologie „und damit die Bewahrung der
Schöpfung nicht zu vernachlässigen.“ Neben dem allgemeinen Appell, sich „beim
Strukturwandel nicht zurückzulehnen“, nannte der Ruhrbischof die
unterschiedliche medizinische Versorgungsdichte in armen und wohlhabenden
Stadtbezirken als eine besorgniserregende Entwicklung innerhalb des
Ruhrgebietes, die im Interesse einer dauerhaften gesellschaftlichen Stabilität
der Region politisch bearbeitet werden müsse.
Anleihe bei Wolf Biermann
Der 2019 nach 27 Jahren aus dem Amt scheidende Direktor der
Katholischen Akademie, Dr. Michael Schlagheck, griff in seinem Grußwort die
Neujahrsbotschaft des Ruhrbischofs Dr. Franz-Josef Overbeck auf, in dem er
versprach, dass sein Haus auch im neuen Jahr „ein Ort der Begegnung sein wird,
an dem die Menschen eine freie und offene Gesprächskultur pflegen, die sich
darum bemüht, das rechte Wort zu finden und so behutsam miteinander umzugehen.“
Der Ruhrbischof bediente sich im Schlusswort des Jahresempfangs eines Zitates
des Lyrikers und Liedermachers Wolf Biermann: „Nur wer sich ändert, bleibt sich
treu!“ Overbeck drehte Biermanns Satz mit Blick auf ein „waches und gut
fundiertes Christentum in einer sich immer wieder wandelnden Welt“ umdrehte und
feststellte: „Nur wer sich treu bleibt, ändert sich!“
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