Sonntag, 13. Januar 2019

Digitales Andenken

Wenn es nach der SPD-Fraktion im Rat der Stadt geht, soll man künftig beim Spaziergang über den Friedhof mit seinem Smartphone mehr über die Menschen, die hier zur letzten Ruhe gebettet sind. Ein QR-Code auf Grabsteinen, Kantsteinen, kleinen Sockelsteinen oder auch auf kleinen Schildern, die mit einem Erd-Spieß einfach ins Erdreich der jeweiligen Grabstelle gesteckt werden kann, würde es möglich machen.
Zumindest Smartphone-Besitzer hätten dann die Möglichkeit den QR-Code mit ihrem Smartphone abzufotografieren und sich via Internetlink die vorhandenen Netz-Informationen über die vor Ort bestattete Person anzuschauen. "Solch ein niederschwelliges Angebot könnte einen wichtigen Beitrag zur kulturellen und historischen Bildung leisten", glaubt der Historiker und Heißener SPD-Stadtrat Daniel Mühlenfeld. Er ist Sprecher seiner Partei im Umweltausschuss, in dem das Thema am 22. Januar auf der Tagesordnung stehen wird. Dann will sich auch die das für die Friedhofsverwaltung zuständige Grünflächenmanagement zur Machbarkeit eines solchen Informationsangebotes äußern.
Dass ein solches Informationsangebot des digitalen Gedenkens an bekannte und unbekannte Verstorbene möglich ist, zeigt die Stadt Köln. Auf Antrag der dortigen FDP wurden 2014 in der Domstadt QR-Codes auf Friedhöfen zugelassen. Im Internet anzuschauende Fotos zeigen, dass die QR-Codes sehr einfach und zum Teil sogar elegant angebracht werden, so dass sie den Gesamteindruck einer Grabstätte nicht stören. In der 2007 eröffneten Urnenkirche Heilig Kreuz an der Tiegelstraße pflegt man das digitale Andenken der dort bestatteten Menschen schon jetzt mit einem elektronischen Gedenkbuch, dass dort über einen Monitor einsehbar ist. Auch Internetseiten, mit denen Hinterbliebene an ihre lieben Verstorbenen erinnern, sind heute keine Seltenheit mehr.
Was für Köln der 1810 eröffnete Melaten-Friedhof ist, ist für Mülheim der 1812 eröffnete Altstadtfriedhof zwischen Dimbeck und Tersteegenstraße. Dort wurden viele bekannte Persönlichkeiten wie etwa die Industriellenfamilien Stinnes und Thyssen beigesetzt. Die Mülheimer Heimat- und Familienforscherin Bärbel Essers hat 2014 ein Buch über den geschichtsträchtigen  Friedhof oberhalb der Altstadt herausgegeben. Sie weiß aus eigener Erfahrung "wie viel Zeit und Arbeit" die sorgfältige Erfassung und Dokumentation von Biografien der Verstorbenen braucht. Essers, die im Rahmen ihres Publikationsprojektes 7000 Namen bearbeitet hat, weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass sich in Mülheim vor einigen Jahren eine entsprechende Arbeitsgemeinschaft für die Dokumentation der Mülheimer Ehrengräber gebildet und angesichts des Arbeitsaufwandes bald wieder aufgelöst habe.
Außerdem befürchtet Essers angesichts einer allgemein eher rückläufigen Rücksichtnahme bei einer massenhaften QR-Code-Schnitzeljagd auf Mülheims Friedhöfen arg in Mitleidenschaft gezogen werden könnten. Zweifel hat Essers auch an der Witterungsbeständigkeit der QR-Codes.
Positiv sieht der Geschäftsführer des Deutschen Kuratoriums Deutsche Begräbniskultur, Oliver Wirthmann, QR-Codes auf Friedhöfen. Dazu sagte er der Deutschen Presseagentur im November 2018: „Mit solchen QR-Codes können Inhalte und Informationen über den Verstorbenen hinterlegt werden, die auf dem Grabstein keinen Platz finden. Die Pixel-Quadrate sind eine  zunehmend gefragte Ergänzung. Ich sehe das sehr positiv, es ist eine neue Möglichkeit. Wohnt jemand weit entfernt oder im Ausland, konnte nicht an der Trauerfeier teilnehmen oder nicht zum Grab kommen, dann teilt er die Trauer im virtuellen Raum. Dazu reicht es, wenn ihm jemand ein Foto mit dem QR-Code schickt."
Dieser Text erschien am 12. Januar 2019 im Lokalkompass der Mülheimer Woche

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