Freitag, 22. Juni 2018

Für Generationen gut bedacht: Seit 120 Jahren sorgen Mülheimer Wohnungsbaugenossen dafür, dass Menschen in unserer Stadt mehr, als nur ein Dach über dem Kopf finden und sich zuhause fühlen

Am 22. Juni 2018 wird Mülheims Wohnungsbaugenossenschaft 120 Jahre alt. Über diese Zeit hinweg hat die Mülheimer Wohnungsbau viele Veränderungen erlebt. Eins ist geblieben: Eine politische Dimension hatte die Arbeit der MWB schon immer. 

Das ging schon bei der Gründung los: Die Mülheimer Wohnungsbaugenossenschaft wurde am 22. Juni 1898 von 23 Arbeitern und Handwerkern aus dem Evangelischen Arbeiter- und Bürgerverein heraus gegründet. Die ersten Mülheimer Wohnungsbaugenossen verstanden sich, wie man vor 120 Jahren in der Mülheimer Zeitung nachlesen konnte, sogar als „ein Bollwerk gegen die anwachsende sozialdemokratische Partei und ihre umstürzlerischen Pläne“.

Gründungsidee der Wohnungsbaugenossenschaft war die der Hilfe zur Selbsthilfe, um die, wie vor 120 Jahren, auch heute aktuelle soziale Frage nach menschenwürdigem und bezahlbarem Wohnraum zu beantworten. Die MWB wuchs schnell: Waren die ersten Häuser, die die Genossenschaft ab 1899 unter anderem an der Kreuzstraße errichtete, noch Eigenheime, die von den Genossen ratenweise erworben wurden, so übernahm sie nach der Fusion mit dem Allgemeinen Spar- und Bauverein 1906 ihre ersten Mietwohnungen und baute ab den 1920er Jahren ganz bewusst preiswerte Mietwohnungen, die unter anderem Kriegsteilnehmern, Kriegerwitwen und Waisen und Kriegsinvaliden zu Gute kamen. Ausgerechnet in der Hyperinflation der Jahre 1923 und 1924 entstanden rund 90 Wohnungen zwischen Kaiserstraße, Kämpchenstraße, der heutigen Paul-Essers-Straße und der Oberstraße. An der Oberstraße bezog die Genossenschaft in den 1920er Jahren auch ihre erste Geschäftsstelle. Später wurden ihre Geschäfte von der heutigen Friedrich-Ebert-Straße und von der Adolfstraße aus geführt.

Der erste Vorstand der Genossenschaft, die bis 1942 als Spar- und Bauverein firmierte, August Kirchberg, war politisch bei den Liberalen zu Hause gewesen. Sein Name hat sich 1930 mit der Kirchbergshöhe, wo die Genossenschaft damals eine ihrer Siedlungen errichtet hatte, im Stadtbild verewigt. Kirchberg, der kurz nach dem Ende des 2. Weltkrieges starb, musste noch miterleben, wie 413 Wohnhäuser, die unter seiner Verantwortet errichtet worden waren, Opfer der Bomben wurden.
Überhaupt konnte sich auch der Mülheimer Spar- und Bauvrein  nicht den Auswirkungen der Diktatur der Nationalsozialisten entziehen: Die Genossenschaft wurde 1942 mit der 1920 gegründeten Genossenschaft Eigenheim zur Mülheimer Wohnungsbaugenossenschaft zwangsfusioniert. Zwar beschäftigte sie im Zweiten Weltkrieg, laut Wiedergutmachungsakten, keine Zwangsarbeiter, passte sich aber an den NS-Zeitgeist an. Das NSDAP-Mitglied Heinrich Genner löste August Kirchberg 1942 als Geschäftsführer ab und jüdische Bürger durften ab 1939 keine 
Mitglieder und Mieter der Genossenschaft sein. 

Nach dem Zweiten Weltkrieg gestalteten unter anderem auch Sozialdemokraten, wie die Geschäftsführer Jürgen Willmann und Frank Esser oder der Aufsichtsratsvorsitzende Gerd Müller die Entwicklung der Wohnungsbaugenossenschaft mit. Nach der Zerstörung des Krieges wurde die Mülheimer Wohnungsbaugenossenschaft zum Akteur beim Wiederaufbau. Allein in den 1950er Jahren wurden unter ihrer Regie 3000 neue Wohnungen errichtet. Die Stadt erlebte damals einen noch nie dagewesenen Bauboom.

Dieser Boom führte auch dazu, dass neben der Mülheimer Wohnungsbaugenossenschaft mit der 1951 gegründeten SWB eine zweite lokale Wohnungsbaugeellschaft entstand. Die Stadt, die seit der Gründung der Genossenschaft Anteile hält und ihren Wohnungsbau auch darüber hinaus, etwa mit Beihilfen und Darlehn, finanziell unterstützt hat, wollte in den Zeiten der akuten Wohnungsnot und des Wiederaufbaus eine zweite lokale Wohnungsbaugesellschaft schaffen, in der Wohnraum suchende Mieter, nicht zwangsläufig auch Mitglied einer Genossenschaft werden mussten.

Menschenwürdiges und bezahlbares Wohnen ist heute wieder ein wichtiges Thema, wie auch vor 120 Jahren. Mit einem vielfältigen Angebot will sich die Mülheimer Wohnungsbau auf die derzeitige wohnungspolitische Lage einstellen. Neben dem traditionellen Mietwohnungsbau betreibt die Wohnungsgenossenschaft deswegen nun auch ein erfolgreiches Bauträgergeschäft und eine Immobilienverwaltung. Außerdem sieht sich die MWB als Partnerin Mülheims in Sachen Stadtentwicklung. Das zeigen Projekte wie das Ruhrquartier oder Mülheims derzeit prominenteste Baustelle, das von den Bürgern durchaus kontrovers diskutierte Stadtquartier Schloßstraße. 


Zahlhen, Daten und Fakten


Nach der SWB (9000 Wohnungen) ist die von über 9.000 Wohnungsbaugenossen getragene MWB mit über 5000 Wohnungen heute der zweitgrößte Wohnungsanbieter, dessen Durchschnittsmiete aktuell bei 5,53 € pro Quadratmeter liegt. In den 1920er Jahren gehörten die Wohnungen des damaligen Mülheimer Spar- und Bauvereins zu den ersten, die mit einem eignen Badezimmer ausgestattet wurden.

 1990 verlor die MWB ihre Gemeinnützigkeit und wurde zu einem steuerpflichtigen Unternehmen. In der Folge gründete sie eine Baubetreuungs- und Verwaltungsgesellschaft, um sich wirtschaftlich breiter aufstellen und auch Eigentumswohnungen und Eigenheime errichten zu können.

Dieser Text erschien am 20. Juni 2018 in der Neuen Ruhr Zeitung

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