Die Religionen machen Schlagzeilen. Bayerns
Ministerpräsident Markus Söder lässt in allen Amtsstuben des Freistaates Kreuze
aufhängen, um die christliche Leitkultur zu dokumentieren. In Berlin wird ein
jüdischer Kipa-Träger von einem Muslim geschlagen. Der selbsternannte
Islamische Staat mordet und terrorisiert die Menschheit. Vor diesem Hintergrund
griff das WDR-5-Stadtgespräch in der Bürgerhalle der Bezirksregierung die Frage
auf: „Kreuz, Kippa und Koran – Wie
können die Religionen friedlich zusammenleben?“ Laut WDR-Fakten-Check leben im
18 Millionen Einwohner zählenden
Nordrhein-Westfalen derzeit rund sie sieben Millionen katholische und
evangelische Christen, rund 1,5 Millionen Muslime und 26.000 Juden.
Wozu religiöse
Intoleranz und Dummheit führen können, machten die Moderatoren der Sendung, Thomas
Koch und Holger Beller, mit einer ersten Publikumsrunde deutlich. Da berichtete
eine muslimische Grundschullehrerin von einer alten Frau, die ihr im Bus sagte:
„Ihr gehört alle vergast.“ Und ein junger Mann aus der jüdischen Gemeinde
Münster erinnerte sich an verbale Übergriffe, a la „Scheiß Juden, haut ab!“
Auch Podiumsgast Margarita
Voloj-Dessauer von der Jüdischen Gemeinde Münster musste einräumen, dass sie in
jüngster Zeit immer öfter negative Reaktionen auf das Tragen eines
Schmuckstückes in Form des jüdischen Davidsternes bekommen habe und als
jüdische Deutsche oft für die Palästinenser-Politik des Staates Israel
verantwortlich gemacht werde.
„Aber es gibt auch
viel Positives und daran baue ich mich immer wieder auf“, machte Voloj-Dessauer
mit Blick auf interreligiöse Begegnungen und Gespräche in der Münsteraner
Synagoge deutlich. Gleichzeitig wies sie darauf hin, dass jüdische
Einrichtungen polizeilich geschützt werden müssten und sie deshalb als jüdische
„Weltbürgerin leider nicht so offen und vorbehaltlos auf Menschen zugehen kann,
wie ich mir das wünschen würde.“ Spontanen Applaus erhielt Voloj-Dessauer, als
sie ihre nach dem Zweiten Weltkrieg aus Südamerika nach Deutschland zurückgekehrte
Mutter zitierte. „Wir leben in Deutschland, weil Hiltler nicht Recht behalten
soll, dass Deutschland judenfrei sei.“
Münsters Weihbischof
Dr. Stefan Zekorn wies angesichts des bevorstehenden 101. Katholikentages in
Münster darauf hin, dass sich dort 120 Veranstaltungen mit dem Dialog zwischen
Christen, Juden und Muslimen beschäftigen werden. Der Weihbischof zeigte sich
zuversichtlich, dass Begegnungen und Gespräche beim Katholikentag mit dazu
beitragen könnten Vorurteile und Ängste gegenüber der jeweils anderen Kultur
und Religion zu überwinden. Zekorn ist davon überzeugt, „dass Religionen in
ihrem gemeinsamen Glauben an einen göttlichen Schöpfer, ein großes Potenzial in
sich tragen, Frieden zwischen den Menschen zu stiften, wenn sie nicht selbst
nach Macht streben oder sich für politisch motivierte Machtinteressen instrumentalisieren
lassen.“
Auch abseits von
Kirchentagen, ermutigte der Weihbischof nicht nur seine eigenen Landsleute,
sondern auch die Menschen in muslimisch geprägten Ländern zu einem Auf- und
Ausbau der Begegnungen und Gespräche zwischen Menschen unterschiedlicher
Glaubensbekenntnisse.
Auf eine
entsprechende Anfrage aus dem Publikum, ob Deutschland nicht besser eine klare
Trennung von Kirche und Staat vollziehen und wie Frankreich zu einem säkularen
Staat werden solle, erwiderte Zekorn, dass die kirchliche Präsenz, etwa als
Trägerin von Kindertagesstätten, Schulen, Sozialdiensten und Krankenhäusern,
Ausdruck der kulturellen Vielfalt in unserer Demokratie seien.
Die unter
Morddrohungen lebende Buchautorin und Islamwissenschaftlerin Lamya Kaddor, wies
in diesem Zusammenhang darauf hin, dass der französische Säkularismus das
westliche Nachbarland auch nicht vor Intoleranz, Fanatismus und politisch oder
religiös motivierter Gewalt habe bewahren können. Der Theologe und Journalist Theo
Dierkes, der beim WDR-Hörfunk die Religionsredaktion leitet, hält die Idee
einer apolitischen Religion, die sich aus der sozialen Wirklichkeit
zurückzieht, für illusorisch, weil alle Weltreligionen „durch die göttlichen
Gebote von Nächstenliebe und Barmherzigkeit dazu angehalten sind, Politik zu
machen und Partei für die Armen und Schwachen einer Gesellschaft zu ergreifen.“
Für Theo Dierkes beginnt der gesellschaftliche und religiöse Frieden dort, „wo
wir nicht mehr von den Christen, Juden oder Muslimen sprechen, sondern den
einzelnen Menschen betrachten und ihm als Individuum begegnen.“
Lamya Kaddor, die
aufgrund akuter Morddrohungen ihren Beruf als islamische Religionslehrerin seit
zwei Jahren nicht mehr ausüben kann, und deshalb derzeit als Pädagogin nur in
vorbeugenden Bildungsprojekten gegen die Saat des Fanatismus und des Hasses
arbeiten kann, sieht es „als eine persönliche Niederlage an“, dass sich fünf
ihrer Schüler durch Hassprediger außerhalb der Schule innerhalb eines Jahres so
radikalisiert hätten, dass sie als IS-Kämpfer nach Syrien gegangen seien. Aber
auch außerhalb der islamischen Gemeinschaft sieht sie in der deutschen
Gesellschaft eine zunehmende Intoleranz gegenüber der anderen Meinung und eine mangelnde
Wertschätzung für den Frieden. In ihren Augen ist die Integrationsaufgabe, vor
der Deutschland steht, „nicht nur eine Bringschuld der Zuwanderer, sondern auch
eine Bringschuld der deutschen Ursprungsgesellschaft, die sich verändern muss,
damit der Zusammenhalt und der soziale Frieden bewahrt werden können.“
Dieser Text erschien am 12. Mai 2018 im Neuen Ruhrwort
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