Montag, 21. Mai 2018

Schüler entdecken Israel „So eine Reise hätten wir alleine nicht machen können“

Zu Besuch in Jerusalem
Die meisten Deutschen kennen Israel nur aus den Medien. 18 junge Frauen und Männer, die das Mülheimer Berufskolleg Stadtmitte und das Gymnasium in Essen-Werden besuchen konnten sich jetzt ein eigenes Bild machen. Der dafür mit früheren Zuschüssen der Städte Mülheim, Oberhausen und Duisburg gefüllte Sparstrumpf der DIG und eine Finanzspritze der Mülheimer Sparkasse machten es möglich. Jerusalem und Tel Aviv standen ebenso auf dem einwöchigen Reiseprogramm, wie die Golanhöhen, der See Genezareth, das Tote Meer und Mülheims, 15 Kilometer nordöstlich von Tel Aviv gelegene  Partnerstadt Kfar Saba.

“So eine Reise hätten wir für 450 Euro pro Person niemals machen können”, sagt die Gymnasiastin Franziska Halle, während sie beim Nachtreffen der Israel-Fahrer auf einer Leinwand die Fotos ihre Reiseeindrücke vorbeiziehen lässt und dabei in ein Stück Pizza beißt. Was ist den Schülern nach sieben vollen Tagen in Israel besonders im Gedächtnis geblieben?

“Man lernt den Frieden zu schätzen”

Die Berufsschülerin Bianca Deuse fand den Besuch auf den seit dem Sechs-Tage-Krieg von 1967 größtenteils von Israel kontrollierten, aber bis heute von Syrien beanspruchten Golanhöhen und das dortige Gespräch mit zwei UN-Blauhelm-Soldaten besonders beeindruckend. „Ein österreichischer Soldat berichtete von den jüngsten Granateinschlägen im Drei-Länder-Eck Israel-Syrien-Jordanien. Mir war vorher gar nicht bewusst, dass die seit 1974 auf den Golanhöhen stationierten UN-Blauhelme nur als neutrale Beobachter agieren und militärisch von der israelischen Armee geschützt werden müssen“, berichtet sie. Deuse ist durch den Besuch auf den Golanhöhen deutlich geworden, „wie wertvoll die Zusammenarbeit in der Europäischen Union und die damit verbundene Tatsache ist, dass wir von befreundeten Nachbarländern umgeben sind, in die wir jederzeit problemlos reisen können.“

„Ich fühlte mich absolut sicher!“

Vor dem Hintergrund ihrer medialen Israel-Eindrücke, die vom Nahost-Konflikt und Terroranschlägen geprägt sind, war die Berufsschülerin Paulina Woldetzky positiv überrascht, „wie sicher ich mich auch abends als Frau in Tel Aviv gefühlt habe.“ Auch die mit Maschinen-Pistolen patrollierenden Soldaten, denen sie am Damaskus-Tor in der  Jerusalemer Altstadt begegnete, erlebte sie als freundliche und auskunftsbereite Gesprächspartner, so dass ihr der zunächst ungewohnte Anblick von Soldaten im Straßenbild bald vertraut war.

„Eigentlich sollte jeder mal so eine Reise machen!“

Können die jungen Israel-Fahrer aus dem westlichen Ruhrgebiet ihre Reise Altersgenossen empfehlen? „Auf jeden Fall, weil man in Israel eine sehr facettenreiche und multikulturelle Gesellschaft kennen lernen kann, in der Menschen unterschiedlicher Religionen friedlich zusammenleben“, sagt die Gymnasiastin Franziska Halle. Sie hat deshalb besonders der Besuch in einer Grundschule in Tel Aviv begeistert. „Dort lernten und spielten Kinder aus Israel und Flüchtlinge aus unterschiedlichsten Ländern ganz selbstverständlich und fast familiär miteinander. Und obwohl viele der Flüchtlingskinder noch nicht lange an der Schule waren, bewegten sie sich dort selbstverständlich und sahen in ihren Lehrern so etwas, wie ihre Freunde.“, schildert sie ihre vor Ort gesammelten Eindrücke. Geht man in der von Einwanderern geprägten Acht-Millionen-Gesellschaft Israels unverkrampfter mit dem multikulturellen Zusammenleben um. Franziska Halle meint: „Ja!“

„Sie waren sehr aufgeschlossen und interessiert!“

Die Berufsschülerin und angehende Erzieherin Meike Linscheidt erlebte das Gespräch mit etwa gleichaltrigen Wehrpflichtigen als besonders spannend. Vor dem Hintergrund ihres Wissens um die deutsche Tradition friedensbewegter Wehrdienstverweigerer und Zivildienstleistenden, als die Bundeswehr bis 2011 noch keine Freiwilligen, sondern eine Wehrpflicht-Armee war, fand sie es interessant wie selbstverständlich und klaglos die gleichaltrigen Israelis ihrem zwei- bis dreijährigen Militärdienst ableisteten. Besonders beeindruckend fand sie aber das Interesse und die Aufgeschlossenheit, „die wir in unseren Gesprächen mit den jungen Israelis erlebten, die ihrerseits davon beeindruckt waren, dass wir uns als junge Deutsche für das Land Israel, seine Menschen und seine Kultur interessierten, obwohl wir keine Juden sind.

Mit den unmittelbaren Auswirkungen des Nahost-Konfliktes Berufsschüler und Gymnasiasten aus dem Ruhrgebiet nicht nur im Gespräch mit den jungen israelischen Soldaten, sondern auch bei ihrem Besuch in der Mülheimer Partnerstadt Kfar Saba konfrontiert. Im Angesicht der acht Meter hohen Mauer, die die israelische Stadt Kfar Saba von ihrer palästinensischen Nachbar-Gemeinde Qalqilia trennt, lernten sie das Kontrastprogramm zu den offenen Grenzen des europäischen Schengen-Raumes kennen. „Wenn ich in Kfar Saba auf den dortigen Aussichtsturm steige und auf der einen Seite die Mauer von Qalqiliya und auf der anderen Seite die israelische Mittelmeer-Küste sehe, wird mir immer wieder die ganze Tragweite des Nahost-Konfliktes bewusst“, sagt der Ruhr-Vorsitzende der DIG, Markus Püll, der die junge Reisegruppe zusammen mit seinem Vorstandskollegen Günter Reichwein durch Israel führte. Für Reichwein, der in den 60er Jahren zu den ersten deutschen Studenten gehörte, die Israel besuchten, ist es eine große Genugtuung, „zu sehen, wie frei und unbefangen sich heute junge Israelis und junge Deutsche begegnen.“

„Wir dürfen das nicht vergessen!“


Aber auch die Jugendlichen und jungen Erwachsenen aus dem Ruhrgebiet sparten das traumatische Thema Holocaust nicht aus. „Es ist schon etwas anderes, ob man in einem Buch über den Holocaust und seine sechs Millionen Opfer liest oder ob man in der Gedenkstätte Yad Vashem unter anderem durch Video-Interviews mit Holocaust-Überlebenden deren Leidensweg in Yad Vashem sehr anschaulich und persönlich nachvollziehen kann“, sagt die 18-jährige Gymnasiastin Hannah Bündert. Fühlt man sich als Urenkelin der deutschen Täter-Generation schuldig? „Nein. Denn es war nicht unsere Generation, von der diese Verbrechen begangen wurden. Aber unsere Generation darf die Verbrechen des Holcaust nicht vergessen und muss die Erinnerung an sie auch in die Zukunft tragen, damit niemand den Holocaust leugnen und die Geschichte sich nicht wiederholen kann“, bringt Bündert die wichtigste Erkenntnis ihres Besuches in Yad Vashem auf den Punkt.

Dieser Text erschien im Mai 2018 im Magazin der Deutsch-Israelischen Gesellschaft

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