Zu Besuch in Jerusalem |
Die meisten Deutschen kennen Israel nur aus den Medien. 18 junge
Frauen und Männer, die das Mülheimer Berufskolleg Stadtmitte und das Gymnasium
in Essen-Werden besuchen konnten sich jetzt ein eigenes Bild machen. Der dafür mit
früheren Zuschüssen der Städte Mülheim, Oberhausen und Duisburg gefüllte
Sparstrumpf der DIG und eine Finanzspritze der Mülheimer Sparkasse machten es
möglich. Jerusalem und Tel Aviv standen ebenso auf dem einwöchigen
Reiseprogramm, wie die Golanhöhen, der See Genezareth, das Tote Meer und
Mülheims, 15 Kilometer nordöstlich von Tel Aviv gelegene Partnerstadt Kfar Saba.
“So eine Reise
hätten wir für 450 Euro pro Person niemals machen können”, sagt die Gymnasiastin
Franziska Halle, während sie beim Nachtreffen der Israel-Fahrer auf einer
Leinwand die Fotos ihre Reiseeindrücke vorbeiziehen lässt und dabei in ein
Stück Pizza beißt. Was ist den Schülern nach sieben vollen Tagen in Israel
besonders im Gedächtnis geblieben?
“Man lernt den Frieden zu schätzen”
Die
Berufsschülerin Bianca Deuse fand den Besuch auf den seit dem Sechs-Tage-Krieg
von 1967 größtenteils von Israel kontrollierten, aber bis heute von Syrien
beanspruchten Golanhöhen und das dortige Gespräch mit zwei UN-Blauhelm-Soldaten
besonders beeindruckend. „Ein österreichischer Soldat berichtete von den
jüngsten Granateinschlägen im Drei-Länder-Eck Israel-Syrien-Jordanien. Mir war
vorher gar nicht bewusst, dass die seit 1974 auf den Golanhöhen stationierten UN-Blauhelme
nur als neutrale Beobachter agieren und militärisch von der israelischen Armee
geschützt werden müssen“, berichtet sie. Deuse ist durch den Besuch auf den
Golanhöhen deutlich geworden, „wie wertvoll die Zusammenarbeit in der Europäischen
Union und die damit verbundene Tatsache ist, dass wir von befreundeten
Nachbarländern umgeben sind, in die wir jederzeit problemlos reisen können.“
„Ich fühlte mich absolut sicher!“
Vor dem
Hintergrund ihrer medialen Israel-Eindrücke, die vom Nahost-Konflikt und
Terroranschlägen geprägt sind, war die Berufsschülerin Paulina Woldetzky
positiv überrascht, „wie sicher ich mich auch abends als Frau in Tel Aviv
gefühlt habe.“ Auch die mit Maschinen-Pistolen patrollierenden Soldaten, denen
sie am Damaskus-Tor in der Jerusalemer
Altstadt begegnete, erlebte sie als freundliche und auskunftsbereite
Gesprächspartner, so dass ihr der zunächst ungewohnte Anblick von Soldaten im
Straßenbild bald vertraut war.
„Eigentlich sollte jeder mal so eine Reise machen!“
Können die
jungen Israel-Fahrer aus dem westlichen Ruhrgebiet ihre Reise Altersgenossen
empfehlen? „Auf jeden Fall, weil man in Israel eine sehr facettenreiche und
multikulturelle Gesellschaft kennen lernen kann, in der Menschen
unterschiedlicher Religionen friedlich zusammenleben“, sagt die Gymnasiastin
Franziska Halle. Sie hat deshalb besonders der Besuch in einer Grundschule in
Tel Aviv begeistert. „Dort lernten und spielten Kinder aus Israel und
Flüchtlinge aus unterschiedlichsten Ländern ganz selbstverständlich und fast
familiär miteinander. Und obwohl viele der Flüchtlingskinder noch nicht lange
an der Schule waren, bewegten sie sich dort selbstverständlich und sahen in
ihren Lehrern so etwas, wie ihre Freunde.“, schildert sie ihre vor Ort
gesammelten Eindrücke. Geht man in der von Einwanderern geprägten
Acht-Millionen-Gesellschaft Israels unverkrampfter mit dem multikulturellen
Zusammenleben um. Franziska Halle meint: „Ja!“
„Sie waren sehr aufgeschlossen und interessiert!“
Die Berufsschülerin
und angehende Erzieherin Meike Linscheidt erlebte das Gespräch mit etwa gleichaltrigen
Wehrpflichtigen als besonders spannend. Vor dem Hintergrund ihres Wissens um
die deutsche Tradition friedensbewegter Wehrdienstverweigerer und
Zivildienstleistenden, als die Bundeswehr bis 2011 noch keine Freiwilligen,
sondern eine Wehrpflicht-Armee war, fand sie es interessant wie
selbstverständlich und klaglos die gleichaltrigen Israelis ihrem zwei- bis
dreijährigen Militärdienst ableisteten. Besonders beeindruckend fand sie aber
das Interesse und die Aufgeschlossenheit, „die wir in unseren Gesprächen mit
den jungen Israelis erlebten, die ihrerseits davon beeindruckt waren, dass wir
uns als junge Deutsche für das Land Israel, seine Menschen und seine Kultur
interessierten, obwohl wir keine Juden sind.
Mit den
unmittelbaren Auswirkungen des Nahost-Konfliktes Berufsschüler und Gymnasiasten
aus dem Ruhrgebiet nicht nur im Gespräch mit den jungen israelischen Soldaten,
sondern auch bei ihrem Besuch in der Mülheimer Partnerstadt Kfar Saba
konfrontiert. Im Angesicht der acht Meter hohen Mauer, die die israelische
Stadt Kfar Saba von ihrer palästinensischen Nachbar-Gemeinde Qalqilia trennt,
lernten sie das Kontrastprogramm zu den offenen Grenzen des europäischen
Schengen-Raumes kennen. „Wenn ich in Kfar Saba auf den dortigen Aussichtsturm
steige und auf der einen Seite die Mauer von Qalqiliya und auf der anderen
Seite die israelische Mittelmeer-Küste sehe, wird mir immer wieder die ganze
Tragweite des Nahost-Konfliktes bewusst“, sagt der Ruhr-Vorsitzende der DIG,
Markus Püll, der die junge Reisegruppe zusammen mit seinem Vorstandskollegen
Günter Reichwein durch Israel führte. Für Reichwein, der in den 60er Jahren zu
den ersten deutschen Studenten gehörte, die Israel besuchten, ist es eine große
Genugtuung, „zu sehen, wie frei und unbefangen sich heute junge Israelis und
junge Deutsche begegnen.“
„Wir dürfen das nicht vergessen!“
Aber auch die Jugendlichen und
jungen Erwachsenen aus dem Ruhrgebiet sparten das traumatische Thema Holocaust
nicht aus. „Es ist schon etwas anderes, ob man in einem Buch über den Holocaust
und seine sechs Millionen Opfer liest oder ob man in der Gedenkstätte Yad
Vashem unter anderem durch Video-Interviews mit Holocaust-Überlebenden deren
Leidensweg in Yad Vashem sehr anschaulich und persönlich nachvollziehen kann“,
sagt die 18-jährige Gymnasiastin Hannah Bündert. Fühlt man sich als Urenkelin
der deutschen Täter-Generation schuldig? „Nein. Denn es war nicht unsere
Generation, von der diese Verbrechen begangen wurden. Aber unsere Generation
darf die Verbrechen des Holcaust nicht vergessen und muss die Erinnerung an sie
auch in die Zukunft tragen, damit niemand den Holocaust leugnen und die
Geschichte sich nicht wiederholen kann“, bringt Bündert die wichtigste Erkenntnis
ihres Besuches in Yad Vashem auf den Punkt.
Dieser Text erschien im Mai 2018 im Magazin der Deutsch-Israelischen Gesellschaft
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