Samstag, 12. Mai 2018

Die heile Welt lässt grüßen


Auch wenn meine geistig behinderte Schwester älter ist, als ich, hat sie sich ein kindliches Gemüt bewahrt. „Du weißt, dass ich bald Geburtstag habe“, sagte sie mir gestern am Telefon. Als ob ich den Geburtstag meiner Schwester vergessen könnte. Und gleich bekam auch schon ihre Wünsche und meine Geschenkalternativen mitgeteilt. Nur keine falsche Zurückhaltung. Man muss ja sehen, wo man bleibt und das bekommt, was man braucht: Eine Musik-CD mit Nenas Lied von den 99 Luftballons und DVDs mit den Sissi-Filmen und dem Schloss am Wörther See. Na, dann. Nichts wie los. Gut, die Verkäuferin schaute mich schon etwas komisch an, als ich meine besondere Bestellung aufgab. Aber nur keine intellektuelle Verkrampfung. Was tut man nicht alles für sein Schwesterherz, das sich wie Pippi Langstrumpf die Welt so macht und anschaut, wie sie ihr gefällt und sich deshalb einen unverstellten Blick auf die schönen Seiten des Lebens bewahrt hat. Davon können wir alle nur lernen, denen täglich vor allem die unschönen Seiten des Lebens um die Ohren gehauen werden. Fangen wir am besten gleich heute damit an, einzusehen: Das Leben ist trotz allem schön und lebenswert.

Dieser Text erschien am 10. Mai 2018 in der Neuen Ruhr Zeitung

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Menschen bewegen Menschen

  Beim Thema Seelsorge denkt man nicht ans Radfahren. Und "Radfahrern", die nach unten treten, aber nach oben buckeln, ist alles z...