Auch wenn meine
geistig behinderte Schwester älter ist, als ich, hat sie sich ein
kindliches Gemüt bewahrt. „Du weißt, dass ich bald Geburtstag
habe“, sagte sie mir gestern am Telefon. Als ob ich den Geburtstag
meiner Schwester vergessen könnte. Und gleich bekam auch schon ihre
Wünsche und meine Geschenkalternativen mitgeteilt. Nur keine falsche
Zurückhaltung. Man muss ja sehen, wo man bleibt und das bekommt, was
man braucht: Eine Musik-CD mit Nenas Lied von den 99 Luftballons und
DVDs mit den Sissi-Filmen und dem Schloss am Wörther See. Na, dann.
Nichts wie los. Gut, die Verkäuferin schaute mich schon etwas
komisch an, als ich meine besondere Bestellung aufgab. Aber nur keine
intellektuelle Verkrampfung. Was tut man nicht alles für sein
Schwesterherz, das sich wie Pippi Langstrumpf die Welt so macht und
anschaut, wie sie ihr gefällt und sich deshalb einen unverstellten
Blick auf die schönen Seiten des Lebens bewahrt hat. Davon können
wir alle nur lernen, denen täglich vor allem die unschönen Seiten
des Lebens um die Ohren gehauen werden. Fangen wir am besten gleich
heute damit an, einzusehen: Das Leben ist trotz allem schön und lebenswert.
Dieser Text erschien am 10. Mai 2018 in der Neuen Ruhr Zeitung
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