Hat sich Karl Marx
fundamentale Kapitalismus-Kritik mit dem Scheitern des real existierenden
Kommunismus, etwa in der DDR oder in der UdSSR erledigt?
Schreyer: Der real
existierende Kommunismus ist zu Recht gescheitert, weil er die Ansätze von Marx
konterkariert und die Diktatur des Proletariates durch eine Diktatur einer
Staatspartei ersetzt und deren Ideologie absolut gesetzt hat. Das hatte mit
Marx, der die Menschen von ihrer wirtschaftlichen Ausbeutung befreien und die
Gesellschaft für die soziale Frage sensibilisieren wollte, nichts zu tun.
Marx fordert:
"Proletarier aller Länder vereinigt euch!" Wer ist heute noch
Proletarier und wer will es sein?
Schreyer: Mit Proletariat
meinte Marx die besitzlosen Menschen, die nur ihre Arbeitskraft verkaufen
konnten. Heute erleben wir eine Drittelung unserer Gesellschaft, in der ein
Drittel sehr gut lebt, ein Drittel in einem konjunkturell abhängigen
Beschäftigungszustand mal besser und mal schlechter über die Runden kommt und
ein Drittel als Niedriglöhner und befristet Beschäftigte im unsicheren und
schlechten wirtschaftlichen und sozialen Verhältnissen lebt.
Marx kritisierte im 19.
Jahrhundert die sozial- und wirtschaftspolitischen Auswüchse der
Industrialisierung. Was würde er uns heute angesichts der Flexibilisierung und
Digitalisierung des Arbeitsmarktes, die mit massiven Arbeitsplatzverlusten
einher geht, ins Stammbuch schreiben?
Schreyer: Er würde uns
sagen, dass die Wirtschaft für den Menschen da ist und nicht umgekehrt. Und er
würde uns darauf hinweisen, dass unsere freie Gesellschaft langfristig
scheitern wird, wenn sie Menschen weiter in Gewinner und Verlierer einteilt.
Dieser Text erschien in der Neuen Ruhr Zeitung am 4. Mai 2018
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