Mittwoch, 1. November 2017

Was zwei Mülheimer Pfarrern zum 500. Reformationstag einfällt: Ein Interview mit Michael Clemens und Michael Manz

Der katholische Pastor Michael Clemens (links) und der
evangelische Pfarrer Michael Manz vor dem Portal der
im 13. Jahrhundert errichtet wurde.
Der Reformator Martin Luther, der vor 500 Jahren mit seinen 95 Thesen die  Grundlage für ein neues und freies Glaubens- und Kirchenverständnis legte, wirkt bis heute. Dass wir unseren Glauben heute besser verstehen können, dafür sorgt Luthers Bibel-Übersetzung, die die Grundlage für unseren muttersprachlichen Gottesdienst legt. Zum 500. Reformationstag äußern sich der evangelische Pfarrer Michael Manz aus Styrum und der katholische Pastor Michael Clemens aus Eppinghofen zum Stand von Ökumene und der auch heute notwendigen Reformation der Kirchen.

500 Jahre Reformation. 500 Jahre Kirchenspaltung. Kann man das feiern?

Clemens: Ich sehe den Reformationstag nicht als das Fest einer Kirchenspaltung, sondern als Christusfest, das uns daran erinnert, dass es auch schon vor 500 Jahren Menschen gab, die nicht alles hingenommen haben und die Leib und Leben risikiert haben, um ihre Sicht der Dinge und den rechten Glauben öffentlich zu machen.
Manz: Der Reformationstag ist kein Fest, sondern ein Gedenktag, an dem wir uns daran erinnern, warum Luther mit seinen Thesen gegen die damalige Kirchenführung protestiert hat und warum er auf der ursprünglichen Form des biblisch begründeten Christentums beharrte.

Muss Kirche auch heute reformiert werden?

Manz: Wir müssen uns immer fragen: Was brauchen Menschen, um ihren Glauben leben zu können. Der Evangelischen Kirche wird oft vorgeworfen: Ihr passt euch dem Zeitgeist zu sehr an. Ihr müsst mehr bei eurem eigenen Kern bleiben.
Clemens: Die katholische Kirche steht eher im Ruf, sich ihrer Umwelt nicht  anzupassen. Aber wir haben bei beiden christlichen Kirchen das gleiche Problem. Solange das Geld bei uns eine so große Rolle spielt, wie das jetzt der Fall ist, sind wir auf dem falschen Weg. Das ist auch das, was Luther angemahnt hat.

Muss es den christlichen Kirchen erst richtig schlecht gehen, damit es ihnen wieder gut gehen kann?

Clemens: Wir haben ein dickes Relevanzproblem. Viele Menschen leben Volkskirche noch, wenn es um Taufe, Kommunion, Konfirmation, Hochzeit oder Bestattung geht. Aber viele wissen gar nicht mehr, was dahinter steht. Wir müssen ihnen wieder den christlichen Glauben zeigen und verständlich machen, damit er ihnen bei ihrer Lebensgestaltung helfen kann. Das wird auch unserer Gesellschaft helfen.
Manz: Auch ich stelle oft fest, dass es Menschen gibt, die ihre zentralen Lebensereignisse kirchlich begleitet sehen möchten, aber vom christlichen Glauben keine Ahnung haben und sich deshalb in der Kirche, wie ein Fremdkörper fühlen.

Wie kann man als Kirche die Menschen dort abholen, wo sie stehen?

Clemens: Wir müssen da ansetzen, wo sich Menschen fragen: Woher komme ich? Weshalb lebe ich? Und wohin gehe ich? Die Fragen sind da. Aber wir hinken als Kirche mit unserer Sprache und unseren Formen hinter der Zeit her. Daran müssen wir arbeiten.
Manz: „Wir müssen dem Volk aufs Maul schauen“, um Luther zu zitieren.  Alle Menschen sind in ihrem Leben auf einer Sinnsuche. Und wir müssen als Geistliche in einer Sprache, die sie verstehen mit ihnen und nicht über ihre Köpfe hinweg sprechen.

Die christliche Botschaft ist doch eindeutig. Warum tun sich die Kirchen so schwer, sie in unsere Zeit zu übersetzen?

Manz: Weil wir oft zu akademisch an die Sache herangehen. Eine mit vielen Bibel-Zitaten und Bibel-Kommentaren gut vorbereitete Predigt kann ein Genuss sein. Aber was sagt sie Otto Normalverbraucher. Der braucht etwas, was ins Herz geht und was ihn in seiner aktuellen Lebenssituation abholt und ihm weiterhilft.
Clemens: Dass das funktionieren kann, merke ich Weihnachten, wenn die Kirche voll ist und man emotional eine Menge transportieren kann und viele Menschen auch etwas damit anfangen können, dass Gott Mensch geworden ist.
Manz:...und mit Jesus von Nazareth die Welt revolutioniert hat.

Sind Menschen heute vieleicht medial so stark eingefangen, dass sie nicht mehr zur Kirche kommen?

Clemens: Sicher erleben heute viele Menschen im Fernsehen einen besseren Gottesdienst, als sie ihn in ihrer Heimatgemeinde erleben. Das ist für uns eine Herausforderung. Wir müssen mehr in unsere Gottesdienste investieren.
Manz: Aber dafür brauchen wir Zeit und Geld. Denn von nichts kommt nichts. Ich ärgere mich oft über die viele Zeit, die mir durch meine Verwaltungsaufgaben gemommen wird. Das hat nichts damit zu tun, was ich studiert und wofür ich Pfarrer geworden bin.
Clemens: An manchen Tagen sitze ich mir in Sitzungen den Hintern platt und komme erst nachts dazu, meinen Gottesdienst vorzubereiten.

Viele Menschen können mit der konfessionellen Spaltung in evangelische und katholische Christen nichts mehr anfangen. Ist es nach 500 Jahren Reformation und Kirchenspaltung nicht Zeit für eine christliche Kirche?

Clemens: Über Ökumene muss man nicht sprechen. Man muss sie einfach machen und dann ist ganz viel möglich.
Manz: Viele Menschen verstehen die Kirchenspaltung nicht mehr und fragen sich: Seid ihr verrückt, dass ihr euch mit Streitfragen aus dem Mittelalter herumschlagt. Wenn wir heute einen ökumenischen Gottesdienst feiern ist viel möglich, womit man nicht gleich zur Bild-Zeitung gehen muss.

Werden wir die Einheit der christlichen Kirchen noch erleben?

Clemens: Ich habe den Eindruck, dass bei der gemeinsamen Israel-Reise der katholischen und evangelischen Bischöfe Deutschlands mehr passiert ist, als man derzeit veröffentlichen kann. Und das stimmt mich hoffnungsfroh, dass wir noch weitere Fortschritte erleben werden, die sich hier und dort vielleicht auch den Amtskirchen entziehen. Das geht nur, wenn die Bischöfe ihren Mitarbeitern vor Ort vertrauen und ihnen etwas zutrauen. Die Basis muss in der Ökumene vorangehen und die Amtskirche muss die erreichten Fortschritte einholen. Ich kann mir eine Kirche unter einem Dach vorstellen, in der wir weiter mit unterschiedlichen Traditionen gemeinsam unseren Glauben leben können.
Manz: Die Strukturen verändern sich. Alte Verkrustungen brechen auf und wir müssen mehr und intensiver zusammenarbeiten, ohne das wir einen Papst bekommen, der für alle Christen zuständig ist.

Wie sehen Sie die Zukunft der christlichen Kirchen?

Clemens: Ich glaube, dass wir als Kirchen gefragt sind und bleiben, wenn es um wichtige Lebensfragen geht. Ich kann mir vorstellen, dass wir unsere Festgottesdienste ökumenisch in gemeinsamen Kirchen feiern. Außerdem muss die Kirche mehr in ihren Unterbau und weniger in ihren Überbau investieren.
Manz: Gemeinden werden immer größer. Wir brauchen aber kleine Gemeinden, in denen sich  die Pfarrer um die Menschen kümmern können und von Verwaltungsaufgaben entlastet werden.

Zur Person:
Pastor Michael Clemens wurde 1949 in Bochum geboren. Sein Vater arbeitete dort als Theatermaler. Nach seinem katholischen Theologiestudium wurde er 1981 vom damaligen Ruhrbischof Franz Hengsbach im Essener Dom zum Priester geweiht. Seit 1993 leitet er die Gemeinde St. Engelbert in Eppinghofen, die seit der Gemeindeumstrukturierung von 2006 zur Groß-Pfarrei St. Barbara  gehört.
Pfarrer Michael Manz wurde 1962 in Essen geboren, Sein Vater arbeitete dort als Maurer. Nach seinem Theologiestudum leitete der fünffache Vater und bekennende Fußballfan von 1993 bis 2014 den Gemeindebezirk Heißen-Ost, dessen Friedenskiche am Humboldthain 2014 aufgegeben wurde. Seit 2014 leitet Manz den Styrumer Gemeindebezirk der Lukas-Kirchengemeinde.

Zahlen, Daten, Fakten:
Heute gehören jeweils etwa 48.000 Mülheimer der katholischen und evangelischen Kirche an. Als Mülheim 1808 zur Stadt erhoben wurden, waren etwa 80 Prozent der 12.000 Einwohner evangelisch. Durch die Arbeitszuwanderung der Industrialisierung wuchs der katholische Bevölkerungsanteil bis 1927 auf 36 Prozent an. Als Mülheim 1973 mit 193.000 Einwohnern seinen Bevölkerungshöchststand erreichte, waren mehr als 100.000 Mülheimer evangelisch und mehr als 60.000 katholisch. Seit dem ist die Zahl der christlichen Kirchenmitglieder kontinuierlich zurückgegangen, weil es mehr Bestattungen und Kirchenaustritte als Taufen und Kircheneintritte gibt. Bereits in der Vergangenheit haben beide Stadtkirchen zum Beispiel mit der Aufgabe oder Umnutzung von Kirchen und Gemeindefusionen auf diese Entwicklung reagieren müssen. Aktuell befindet sich die katholische Stadtkirche in der heißen Phase ihres Pfarreientwicklungsprozesses, der im kommenden Jahr zu konkreten Strukturveränderungen führen wird.

Dieses Interview erschien am 31. Oktober 2017 in NRZ und WAZ

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