Kurz vor dem 30. Jahrestag der Maueröffnung hat mit Alexander Wiegand ein Mülheimer das Große Bundesverdienstkreuz am Bande bekommen. Wiegand, der den Berliner Mauerbau am 13. August 1961hatnah miterlebt hat, verhalf ab 1967 insgesamt 129 Landsleuten aus der damaligen DDR und den Staaten des kommunistischen Ostblocks zur Flucht in den Westen. „Ich freue mich, dass das, was ich für unser Land und für die Menschenrechte getan habe, durch diese Auszeichnung offiziell anerkannt worden ist“, sagte der 78-jährige Heißener nach der Ortsverleihung im Rathaus gestern in einem Gespräch mit der Mülheimer Woche.
Zu den ersten Gratulanten gehörten Heinrich Töge und Peter Plach. Beide haben im selben tschechischen Gefängnis, wie Wiegand, gesessen und dort, wie er, schlimmste Misshandlungen erfahren, die sie für ihr Leben gezeichnet haben.
Viereinhalb Jahre in Haft
Als Fernfahrer hatte Alexander Wiegand am 30. April 1972 acht Flüchtlinge an Bord, die sich hinter einer zweiten Wand seines Lastkraftwagens versteckten. An der bayerisch-tschechischen Grenze, die damals als Staatsgrenze der kommunistischen Tschechoslowakei ein Teil des Eisernen Vorhangs zwischen dem demokratischen Westen und dem kommunistischen Ostblock war, wurden die von Wiegand unentgeltlich transportierten Flüchtlinge bei einer Kontrolle entdeckt. Er wurde verhaftet und von einem Gericht der CSSR zu 26 Jahren Haft verurteilt, von denen er viereinhalb Jahre absitzen musste. 1976 schmuggelte der Gefängniswärter Oldrich Prasil einen Brief Wiegands an den bundesdeutschen Botschafter in Prag aus der Haftanstalt und ebnete ihm so den Weg in die Freiheit. Denn von der Prager Botschaft wurde Wiegands Brief an den damaligen Bundesaußenminister Hans-Dietrich-Genscher weitergeleitet, der sich beim damaligen Staatschef der CSSR, Gustav Husak für Wiegands Freilassung verwandte. 13 Jahre später konnte derselbe Genscher auf dem Balkon der Prager Botschaft den im Botschaftspark ausharrenden DDR-Flüchtlingen die erlösende Botschaft ihrer Ausreise in die Bundesrepublik verkünden. 41 Tage später öffnete sich in Berlin die Mauer.
Warten auf eine Opferrente
Doch ebenso wie seine Leidensgenossen Peter Plach und Heinrich Töge wartet der ehemalige Fluchthelfer Alexander Wiegand bis heute vergeblich auf eine Opferrente, die nach geltendem deutschen Recht bisher nur den Opfern des SED-Regimes zu steht, die zu Unrecht in Gefängnissen der DDR gesessen haben. Die von Oberbürgermeister Ulrich Scholten in der Rathausbücherei vorgenommene Verleihung des Bundesverdienstkreuzes machen Wiegand und seinen Leidensgenossen Mut, dass ihre beim Deutschen Bundestag vorliegende Petition auf Gewährung einer Opferrente nun Gehör finden könnte. Bei den Feierlichkeiten zum Tag der Deutschen Einheit in Kiel konnte Wiegand das gemeinsame Anliegen bereits mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, Bundesratspräsident Daniel Günther und NRW-Ministerpräsident Armin Laschet besprechen.
Bis heute ehrenamtlich aktiv
Auch in den späten Jahren der DDR und des Ostblocks hat Alexander Wiegand zur Flucht verholfen, dann aber geschützt durch einen Diplomatenpass des Auswärtigen Amtes. Auch jenseits der Fluchthilfe war der mutige und gläubige Fernfahrer immer wieder in humanitärer Mission unterwegs. Er brachte Medikamente und andere Hilfsgüter ins kriegsgeschüttelte Bosnien und in die von einer Reaktorkatstrophe betroffene weißrussische Tschernobyl-Region. Auch heute noch ist er als ehrenamtlicher Mitarbeiter der Caritas aktiv und kümmert sich zum Beispiel um Flüchtlinge und Drogenabhängige. „Meine Patentante Elisabeth hat mir beigebracht, dass man als Mensch in seinem Leben nicht nur an sich denken darf“, erklärt er seine Motivation. Und der Politik in unserem wiedervereinigten, aber politisch uneinigen Land empfiehlt Wiegand „alles für Sport, Bildung und Arbeitsplätze zu tun, damit die Menschen eine Lebensperspektive haben und keinen Extremisten nachlaufen.“
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