Das Freikorps Schulz auf der Schloßbrücke
Foto: Stadtarchiv Mülheim an der Ruhr
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28. Juni 1919: Mit den Friedensvertrag von
Versailles endet der Erste Weltkrieg. 9 Millionen Soldaten sind an seinem
Fronten gefallen. 3.500 von ihnen kamen aus Mühlheim. Wie der furchtbare Krieg,
so hat auch der für den Kriegsverlierer Deutschland harte Frieden unmittelbare
Auswirkungen auf das Leben der damals rund 125.000 Mülheimer.
Die Mülheimer Zeitung, die den Kaiseradler
durch das Stadtwappen ersetzt hat, schreibt am Tag nach der Unterzeichnung
des Versailler Friedensvertrages: „Liebe Mülheimer Burger! Unser Volk ist hart geprüft.
Es scheint, als müssten wir alles auskosten, was bitter und gallig schmeckt.
Die Tiefen bleiben uns nicht erspart. Doch da wollen wir nicht klagen und
verzweifeln, sondern der kalten, hasserfüllten Welt sagen: Wir wagen zu hoffen.
Was uns trennt, das lasst uns beiseite tun und zusammenfügen. Das tut uns Not.
Die Zukunft ist schwarz. Aber sie wird nicht verzweifelt sein, wenn wir uns im Weltenspiegel
suchen und erforschen, was uns die Not als Lehrmeisterin zu sagen hat.“ Fünf Jahre zuvor hatte die Mülheimer Zeitung in
ihrer Ausgabe vom 2. August 1914 mit der Schlagzeile aufgemacht: „Mit Gott für
Kaiser und Reich! Der Herr segne die deutschen Waffen!“ Doch der Kaiser hat im
November 1918 abgedankt. Deutschland ist jetzt Republik. Es muss sein Heer auf
100.000 Soldaten reduzieren und ein Großteil seiner Waffen abgeben. Das sorgt
in Mülheim, das seit 20 Jahren Garnisonsstadt ist, für Krisenstimmung. Einige
der in der Kaserne an der Kaiserstraße stationierten Soldaten wollen nicht wahrhaben,
dass sich die Zeiten ändern. Ihr Kommandeur Siegfried Schulz sammelt 1.000
Soldaten unter seinem Kommando und bildet das Freikorps Schulz. Wie ihr
Kommandeur, lehnen auch seine Soldaten die neue Republik ab. Deren Regierung
besteht in ihren Augen aus „Novemberverbrechern“, die mit der Revolution im
November 1918 „der im Felde unbesiegten“ deutschen Armee mit einem „Dolchstoß
in den Rücken gefallen“ seien. Die „Dolchstoßlegende“, mit der vor allem die
Deutschnationale Volkspartei auf Stimmenfang geht, hat mit den Fakten des
Kriegsendes nichts zu tun, Heute würde man von Fake News sprechen. Im Jahr nach
dem Friedensvertrag von Versailles tobt auch in Mülheim ein blutiger Ruhrkampf.
In der Roten Ruhrarmee bewaffnen sich linke Arbeiter, um einen rechtsextremen
Putsch gegen die junge Republik abzuwehren und die Republik gleichzeitig in
ihrem sozialistischen Sinne umzugestalten. Dafür steht 1919 auch der Mülheimer
Arbeiter- und Soldatenrat.
Bei der Wahl zur Weimarer Nationalversammlung
stimmen 1919 fast 9 Prozent der Mülheimer für die deutschnationalen
Volkspartei, die die neue Republik ablehnt und ihren alten Kaiser Wilhelm II.
wiederhaben will. Doch Wilhelm bleibt in Holland und ausgerechnet der als „Gewerkschaftsfresser“
verschriene Mülheimer Industrielle Hugo Stinnes handelt als Vertreter der
deutschen Arbeitgebern mit den Führern der Arbeiterschaft ein Abkommen aus, das
den Achtstundentag und die Tarifautonomie der Arbeitgeber und Arbeitnehmer einführt.
Die Zeit, in der
Gewerkschaften illegal waren, ist ebenso vorbei wie die Zeit, in der nur Männer
wählen durften. 1919 dürfen erstmals auch die Mülheimerinnen wählen und gewählt
werden. 37.000 der damals 75.000 Mülheimer Wähler sind vor 100 Jahren
Erstwählerin. Drei von ihnen, die Lehrerin Maria
Büßemeyer, die Mutter und Soldatenwitwe Luise Blumberg und die Hausfrau Katharina
Havermann zogen für die katholische Zentrumspartei und die liberale Deutsche
Volkspartei als erste Frauen ins Stadtparlament ein. Schon damals war die
Frauenquote im Stadtrat ausbaufähig, saßen doch mit den drei Ratsfrauen 1919 69
Ratsherrn im Stadtparlament.
Über alle
Parteigrenzen hinweg waren sich die Mülheimer vor 100 Jahren einig, dass die im
Versailler Friedensvertrag festgeschriebenen Reparationen ungerecht und zu hoch
waren. Von einem „Diktat“ der Siegermächte war die Rede. 1923 marschierten
französische Truppen auch in Mülheim ein, um dafür zu sorgen, dass Deutschland
im Rahmen seiner Reparationen aus genug Ruhrkohle lieferte. Bis 1925 blieben
die französischen Soldaten als Besatzer in Mülheim. Der Widerstand gegen die
Vollstrecker der harten Friedensbedingungen von 1919 einte die Bürgerschaft,
ruinierte aber auch Wirtschaft und Währung. Mit der Hyperinflation verloren die
Mülheimer ihre Ersparnisse und die vom Oberbürgermeister Paul Lembke geführte
Stadtverwaltung ließ eigenes Mülheimer Notgeld drucken, um den Zahlungs- und Investitionsverpflichtungen
nachzukommen.
Es waren
die Verwerfungen, die der Versailler Friedensvertrag vom 28. Juni 1919 und die sozialen
Folgen der 1929 Weltwirtschaftskrise, auf deren Höhepunkt 1932 6 Millionen
Deutsche, darunter 17.000 Mülheimer arbeitslos waren, die der in Mülheim 1925
gegründeten NSDAP und der mit ihre verbündeten Deutschnationalen
Geschichte auf dem Straßenschild
Die Konflikte, die auch die Mülheimer
Stadtgesellschaft nach dem umstrittenen Friedensvertrag von Versailles
spalteten, lassen sich im Mülheimer Stadtbild ablesen. Die heutige
Friedrich-Ebert-Straße hieß bis 1949 Hindenburgstraße, benannt nach Eberts
Nachfolger im Reichspräsidentenamt. Die Ratsmehrheit der Nationalsozialisten
und der Deutschnationalen kürten Hindenburg und den von ihm zum Reichskanzler
ernannten Adolf Hitler 1933 zu Mülheimer Ehrenbürgern. Stand der Sozialdemokrat
Ebert für die Demokratie von Weimar, so repräsentierte der einstige
Generalfeldmarschall als „Held von Tannenberg“ und als „Ersatzkaiser“ das 1918
untergegangene Kaiserreich. Er gehörte aber als ein geistiger Vater der
Dolchstoßlegende zu den Totengräbern der Weimarer Demokratie, deren Verfassung
er als Reichspräsident mit seinen Notverordnungen aushebelte.
Dieser Text erschien am 28. Juni 2019 in NRZ & WAZ
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