Freitag, 21. Juni 2019

Freie Fahrt für Herrn Töpfer


Gestern musste ich an den ehemaligen Bundesumweltminister Klaus Töpfer denken. Wieso das? Ich keuchte die Prinzenhöhe hinauf, einem Termin in der Katholischen Akademie Die Wolfsburg entgegen. Während ich mich, mit der Uhr im Nacken, Schritt für Schritt zum Ziel kämpfte, fuhren diverse Autos an mir vorbei. Bei genauerem Hinsehen fiel mir auf, dass die eiligen Herrschaften in ihren gut abgefederten Fahrzeugen über glatte und breite Wege ihrem Ziel entgegenrauschen konnten, während die Bürgersteige, auf denen ich mich mühsam fortbewegen musste, immer holpriger und schmaler wurden. Mit Blick auf die vielen eleganten Autos, die vor noch eleganteren Häusern parkten, beschlich mich das Gefühl, dass die Art der Fußgänger hier gar nicht mehr vorgesehen ist. Auf der Prinzenhöhe, der Name ist Programm, geht man nicht zu fuß. Man fährt oder noch besser man lässt sich fahren, so wie einst Ex-Umweltminister Klaus Töpfer, der sich zu seinem klima- und entwicklungspolitischen Vortrag in seinem Dienstwagen zur Wolfsburg chauffieren ließ. Auf eben diesen Umstand wurde er nach seinem Vortrag denn auch von einem Umwelt-Aktivisten kritisch angesprochen. O-Ton: „Sie sind ja heute auch nicht klimaneutral mit dem Fahrrad, sondern umweltschädigend mit ihrem Dienstwagen angereist.“ Darauf antwortete der damals schon 78-jährige Klaus Töpfer: „Sicher hätte ich mit einem Fahrrad anreisen können. Doch dann wäre ich wohl nicht mehr in der Lage gewesen, Ihnen hier einen Vortrag zu halten!“ Auch wenn ich, ganz ohne Chauffeur und Dienstwagen, bis zu meinem 78. Geburtstag noch etliche steinige Kilometer auf meinem Lebensweg zurücklegen muss, hatte ich gestern sehr viel Verständnis für Klaus Töpfer. Ich muss als Fußgänger und als Fahrgast des öffentlichen Personennahverkehrs schon froh sein, wenn die meisten vollmotorisierten Stadtmütter und Stadtväter, die gegen die Verschuldung Mülheims angehen müssen, mit in Zukunft noch den einen oder anderen ebenen Gehweg gönnen können und mir am Ende nicht auch noch die Straßenbahnlinie unter meinem Sitzplatz wegsparen und ich demnächst nur noch als Anhalter oder in Tagesmärschen meine Lokaltermine erreichen kann.

Dieser Text erschien am 15. Juni 2019 in der Neuen Ruhr Zeitung

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