„Was machen Sie?“ Diese Frage
gehört zu den klassischen Gesprächseröffnungen, wenn man sich kennen lernen
will.
Nun könnte man es sich mit
der Antwort auf diese Frage leicht machen und das naheliegendste sagen, nämlich
das, was man eben so macht. „Ich lebe. Ich sitze hier mit Ihnen am Tisch und
trinke eine Tasse Kaffee. Ich wohne in Mülheim.“ Doch damit wollen sich die
meisten Zeitgenossen nicht zufrieden geben. Sie wollen wissen, was man
beruflich macht. Wer auf diese Frage antwortet: „Ich bin arbeitslos!“ oder:
„Ich bin Rentner!“ oder: „Ich bin Hausfrau und Mutter!“ wird von seinem
Gesprächspartner ein: „Ach so. Sie machen also im Moment nichts!“, garniert mit
einem mitleidigen Lächeln zu hören und zu sehen bekommen.
Wer hierzulande etwas gelten
will, der kann nicht machen, was er will. Er muss was aus sich machen, koste es
was es wolle. Rentner, Arbeitslose oder Hausfrauen und Mütter können noch so
viel machen und rund um die Uhr an sich und für andere arbeiten. Das macht in
den Augen ihrer Mitmenschen gar nichts. Wer etwas hermachen will, der muss
schon was auf seiner Visitenkarte stehen haben, zum Beispiel: Rechtsanwalt,
Diplom-Ingenieur, Arzt, Manager oder zur Not auch Unternehmens- oder
Steuerberater. So eine elegante Berufsbezeichnung beflügelt die Phantasie des
Gegenübers auf den ersten Blick und steigert das eigene Prestige.
Ob man mit dem, was man
beruflich macht, erfolgreich oder erfolglos ist, also ob wirklich Gold ist, was
da glänzt, spielt zumindest auf den ersten Blick keine Rolle. Die
protestantische Arbeitsethik, die unseren Wert mit dem Sozialprestige unseres
Berufes und unserer vermeintlichen Arbeitsleistung bemisst, hat sich tief in
unseren Seelen verankert, auch wenn wir vielleicht katholisch oder Gott weiß
was sind.
Deshalb beeindruckte mich
jetzt ein Gesprächspartner, der mir seine Visitenkarte mit der
Berufsbezeichnung Privatier überreichte. Privatier. Das hört sich doch viel
mondäner an als Rentner. Was mir aber an dem Begriff besonders gut gefällt, ist
die selbstbestimmte Definition der Persönlichkeit, die dahinter steht und die
ihrem Gegenüber klar macht. Ich brauche keine Berufsbezeichnung, um meine
Biografie und mein Selbstbewusstsein zu rechtfertigen und zur Schau zu tragen.
Ich bin mir als Mensch selbst genug wert. Ich brauche kein Image, weil ich bin,
was ich bin. Und was ich tue oder lasse, ist meine Privatsache, solange ich
damit nicht meinem Nächsten schade. Vielleicht sollten wir ja alle Privatiers
sein, wenn nicht auf der Visitenkarte, dann zumindest im Geiste und im
richtigen Leben.
Dieser Text erschien am 22. Juni 2019 in der Neuen Ruhrzeitung
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