Im Gespräch: Stadtdechant Michael Janßen (links) Superintendent Gerald Hillebrand und der Journalist Detlef Schönen. |
„Was hätte wohl Luther dazu gesagt?“ fragte sich Moderator
Detlef Schönen, als er merkte, dass sich Stadtdechant Michael Janßen
und Superintendent Gerald Hillebrand duzten, während sich die
Repräsentanten der katholischen und evangelischen Stadtkirche ihre
Gedanken darüber machten, „ob uns Luther und die Reformation heute
noch jucken.“ Dass der Katholik Janßen, die protestantische
Predigtkultur lobte und der Protestant Hillebrand die katholische
Liturgie würdigte, überraschte nicht wirklich. Es war keine
Diskussion, sondern ein Gespräch über den Stand der
Kirchenspaltung, zu dem das Stadtarchiv ins Haus der Stadtgeschichte
eingeladen hatte. Denn dort kann man noch bis zum 25. April die
Ausstellung „Wortreich“ besuchen, die die Geschichte der
Reformation in Mülheim erzählt.
Das
gut 90-minütige Gespräch zwischen Stadtdechant und Superintendent
warf für die Zuhörer am Ende vor allem eine Frage auf: Warum gibt
es 500 Jahre nach Luthers 95 Reformationsthesen eigentlich noch eine
katholische und eine evangelische und keine gemeinsame christliche
Kirche?
„Warum
laufen Ihnen denn die Menschen weg, wenn sie so viel gemeinsam dafür
tun, deren Sehnsucht nach Gemeinschaft, Lebenssinn und Orientierung
zu stillen?“ fragte sich Moderator Schönen. Superintendent
Hildebrand versuchte eine selbstkritische Antwort. „Die beiden
großen christlichen Kirchen haben einen zu großen Überbau und
werden deshalb von vielen Menschen als eher abschreckende und
lebensferne Religionsbehörden wahrgenommen, während viele
Freikirchen vor allem deshalb mehr Zulauf erleben, weil Menschen dort
intensive Nähe und Spontanität finden.“
Erstaunlich
offen zeigte sich Stadtdechant Janßen für die gemeinsame Nutzung
von Kirchen und Gemeindehäusern. „Ich sehe da keinerlei Grenzen
und Probleme“, sagte er und verwies auf das Beispiel des ökumenisch
genutzten Altenberger Doms. „Ziehen Maria und der Weihrauch dann
auch mit um?“ fragte Hillebrand etwas spöttisch nach und machte
damit deutlich, dass es an der evangelischen Gemeindebasis auch in
Zeiten kleiner werdender Kirchenkassen und größer werdender Ökumene
immer noch konfessionelle Befindlichkeiten gebe. „So lieb wie jetzt
hatten sie uns noch nie!“ gab Hillebrand den Kommentar einer
Mitarbeiterin zum Besten. Gemeint war damit die Tatsache, dass die
Ökumene derzeit auch aus finanziellen Gründen vorangetrieben wird.
Lehrt Not nicht nur Beten, sondern auch Ökumene? Dem wollten Janßen
und Hillebrand nicht widersprechen. Gleichzeitig verschwiegen sie
auch weiterhin vorhandene theologische Unterschiede, etwa im
geistlichen Amtsverständnis oder in der Frage von Eucharistie und
Abendmahl nicht. Doch angesichts der im Luther-Jahr erlebten
ökumenischen Gastfreundschaften, etwa bei Gottesdiensten und
Prozessionen, sehen Stadtdechant und Superintendent auch in der
Theologie keine unüberwindliche Kluft zwischen evangelischen und
katholischen Christen. „Katholiken haben heute kein Problem mehr
mit dem Kirchenreformer Luther und Protestanten haben heute auch kein
Problem mit Papst Franziskus“, machte Stadtdechant Janßen
deutlich. Und sein evangelischer Amtsbruder Hillebrand sieht die
Unterschiede zwischen den Konfessionen nicht mehr als theologische
Existenzfragen, sondern als „liebgewordene Gewohnheiten.“
Angesichts einer starken und heterogenen islamischen Gemeinschaft und
der zunehmenden Zahl von Konfessionslosen macht Gerald Hillebrand
darauf aufmerksam, „dass die gesellschaftlichen Fronten heute
nicht mehr zwischen der evangelischen und der katholischen Kirche
verlaufen.“ Für Janßen und Hillebrand bleiben die christlichen
Kirchen auch in einer zunehmend pluralistischen und säkularen
Gesellschaft als soziale und ethische Akteure gefragt. Beispiele aus
Lateinamerika zeigen Michael Janßen, dass die christlichen Gemeinden
auch ohne hauptamtliche Geistliche und ohne große Kirchengebäude
Wirkung entfalten können, „wenn sie neben Versammlungsorten auch
überzeugte und begeisterte Menschen haben, die andere Menschen von
der Frohen Botschaft Jesu begeistern und überzeugen und so das Wort
Gottes weitergeben können.“ Für den Journalisten Detlef Schönen
ist die Ökumene 2018 auf einem guten Weg, „weil beide Seiten,
anders, als zu Luthers Zeiten einen Draht zueinander haben und sich
gegenseitig füreinander interessieren.“ Was der ökumenische
Gesprächsabend im Haus der Stadtgeschichte leider nicht ansprach,
war die Tatsache, dass beide Amtskirchen, aller an der Gemeindebasis
bereits selbstverständlich gelebten Ökumene zum Trotz, ein starkes
Beharrungsvermögen haben, wenn es um Ämter, Institutionen und
Kirchensteuereinnahmen geht.
Dieser Text erschien am 16. März 2018 im Neuen Ruhrwort
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