Samstag, 31. Mai 2014

Der Optimist - Warum der Ur-Ur-Enkel Hans Böcklers, Tim Fürbach, davon überzeugt ist, dass Solidarität kein Thema von gestern ist

Wer einen Optimisten treffen will, ist bei Tim Fürbach richtig. Solidarität ist kein Thema von gestern. Für mich ist es ein Teil meiner Familiengeschichte, sagt der 29-jährige Ur-Ur-Enkel Hans Böcklers.

Ein zentraler Platz der Stadt ist heute nach seinem Ur-Ur-Großvater benannt, der 1949 zum Gründungsvorsitzenden des Deutschen Gewerkschaftsbundes gewählt wurde und noch kurz vor seinem Tod im Jahr 1951 mit dem damaligen Bundeskanzler Konrad Adenauer die paritätische Mitbestimmung in der Montanindustrie aushandelte.

Davon profitiert heute auch sein Ur-Ur-Enkel nicht nur bei den von den Tarifparteien vereinbarten Lohnerhöhungen. Als ich vor zehn Jahren bei Siemens meine Ausbildung zum Zerspanungsmechaniker begann, war es aufgrund meiner familiären Prägung keine Frage, dass ich auch in die IG Metall eintrete, erinnert sich Fürbach. Sein Vater ist bereits seit 50 Jahren in der IG Metall und sein Großvater Georg Rand war in den 50er Jahren erster Bevollmächtigter der IG-Metall in Oberhausen, ehe er als Bildungssekretär in die Frankfurter Hauptverwaltung der IG Metall wechselte. Erzähl mal Opa, wie war das damals? erinnert sich Fürbach an die Frage, mit der er so viele Gespräche mit seinem Großvater begann, Gespräche in denen er auch seinen Ur-Ur-Großvater Hans Böckler kennenlernte. Was mich an meinem Ur-Ur-Großvater am meisten beeindruckt, ist die Tatsache, dass er auch großem Druck nicht von seinen Idealen der Solidarität und der sozialen Gerechtigkeit abgewichen ist, sagt Fürbach.

Aus den Erzählungen seines Großvaters weiß der junge Maschinenbautechniker, der beui Siemns arbeitet und im August Vater wird, dass sein Ur-Ur-Großvater während der Zeit des Nationalsozialismus Widerstand geleistet hat und immer wieder von der Geheimen Staatspolizei verhaftet und misshandelt wurde. Besonders beeindruckt hat ihn eine Postkarte, die ihm sein Großvater gezeigt hat. Auf ihr sind verschlüsselte Botschaften der Männer enthalten, die am 20. Juli 1944 vergeblich versuchten, den Diktator Adolf Hitler zu töten. Hätte die Gestapo diese Postkarte bei ihm gefunden, wäre das sein sicheres Todesurteil gewesen, weiß Fürbach. Der Verfolgung und Ermordung konnte Böckler, der nach einem gelungenen Staatsstreich gegen Hitler freie Gewerkschaften aufbauen sollte, auch nur deshalb entkommen, weil er von einem Sympathisanten aus der NS-Bauernschaft rechtzeitig gewarnt wurde und sich im Bergischen Land verstecken konnte.

Geschichte! Und die Gegenwart? Wenn Menschen früher in einem Betrieb ihre Lehre gemacht haben, konnte es sein, dass sie ihr ganzes Berufsleben dort verbrachten. Heute müssen junge Leute mobiler sein. Und in einer Zeit der permanenten medialen Reizüberflutung, in der jeder seine Botschaften über das Internet zu verbreiten, ist für viele schwieriger geworden, sich inhaltlich zu orientieren und sich auch politisch und sozial irgendwo zu verankern, beschreibt Fürbach den gesellschaftlichen Wandel.

Der hat aus seiner Sicht aber nicht zu einer Entsolidarisierung der Gesellschaft geführt. Junge Leute interessieren sich auch heute für Politik und dafür, was um sie herum passiert. Sie wollen aber auch wissen, was bringt mir das, wenn ich in einer Gewerkschaft bin und wo kann ich mitmachen und mitentscheiden, berichtet Fürbach aus seiner Zeit als Betriebsrat und Jugendvertreter bei Siemens.

Dass immerhin deutlich mehr als 50 Prozent seiner 4834 Kollegen am Mülheimer Siemens-Standort, gewerkschaftlich organisiert sind, wertet er als Indiz dafür, dass der Wert der Solidarität auch heute in den Menschen tief verankert ist, weil sie in guten, wie in schlechten Zeiten spüren, dass man nur gemeinsam stark ist.

Sein solidarisches Urerlebnis hatte der Ur-Ur-Enkel Hans Böcklers 2011 in Köln. Damals habe ich in Köln an einem Aktionstag teilgenommen, bei dem mehr als 50000 junge Leute gemeinsam für eine Übernahmegarantie in der Metallindustrie demonstriert haben. Das war ein starkes Gefühl, erinnert sich Fürbach.

Dass Auszubildende heute nach ihrer Lehre bei Siemens für mindestens zwei Jahre in ein festes Angestelltenverhältnis übernommen werden, sieht er als ein konkretes Ergebnis gewerkschaftlicher Solidarität. Das verstehen auch junge Menschen, wenn man es ihn verständlich erklärt und sie nicht einfach zuquatscht, betont Fürbach.

Dass sie merken, dass sie im Ernstfall auf eine starke Mannschaft zurückgreifen können, in der sie selbst auch mitmachen und mitentscheiden können, führt aus Sicht des jungen IG-Metallers, der seine Betriebsratsarbeit für eine berufliche Weiterbildung ausgesetzt hat, dazu, dass heute wieder mehr junge Arbeitnehmer in die Gewerkschaften eintreten.

Wohin das Fehlen gewerkschaftlicher Lobbyarbeit und gewerkschaftlicher Solidarität führen kann, sieht er an der Zunahme befristeter und sozial unsicherer Beschäftigungsverhältnisse.

Auch das hat er in vielen Gesprächen als Gewerkschafter und Betriebsrat immer wieder deutlich machen können: Ohne die Gewerkschaftliche Solidarität wäre Deutschland nicht das wirtschaftlich erfolgreiche Land, dass es heute ist. Tarifvertraglich geregelte Gehälter, geregelte Arbeitszeiten, Urlaubsansprüche, Mitbestimmung, Lohnfortzahlung im Krankheitsfall oder gleicher Lohn für Leiharbeiter kommen nicht von ungefähr, sondern sind ein Ergebnis der von den Gewerkschaften solidarisch erkämpften und verteidigten Tarifautonomie, lautet sein Credo.

Dass sich diese Solidarität auch wirtschaftlich lohnt und auszahlt, liegt für den Arbeitnehmer Fürbach auf der Hand, weil auch Arbeitgeber nur dann von Arbeitnehmern profitieren, wenn diese gesund und motiviert bleiben und nicht schon nach wenigen Jahren durch schlechte Arbeitsbedingungen verbraucht sind.

Dass Solidarität aber auch heute tief im Menschen drinsteckt, sieht er aber auch jenseits der Arbeitswelt, wenn sich Menschen zum Beispiel um jemanden kümmern, der auf der Straße gestürzt ist und nicht einfach vorbeigehen oder wenn ihm seine Nachbarn in Dümpten selbstverständlich mit einer Leiter für die Wohnungsrenovierung aushelfen oder ihn zum gemütlichen Grillen einladen. Es liegt wohl auch an meiner familiären Prägung, dass ich an das gute im Menschen glaube, beschreibt der Ur-Ur-Enkel Hans Böcklers seine auf Solidarität und aufbauende und damit das Erbe seines Ur-Urgroßvaters fortsetzende Lebenseinstellung.

300000 Deutsche waren gewerkschaftlich organisiert, als der damals 28-jährige Hans Böckler 1903 sein Laufbahn als hauptamtlicher Mitarbeiter des Deutschen Metallarbeiterverbandes begann. Als er 1951 starb, hatte der von ihm mitgegründete und geführte Deutche Gewerkschaftsbund in Westdeutschland 5,9 Millionen Mitglieder. Heute gibt es in Mülheim rund 18000 und im wiedervereinigten Deutschland rund 6,1 Millionen DGB-Mitglieder, 1,9 Millionen mehr als 2010, aber 5,7 Millionen weniger als 1991 .

Dieser Text erschien am 24. Mai 2014 in der Neuen Ruhr Zeitung

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