Ein zentraler Platz der Stadt ist heute nach seinem
Ur-Ur-Großvater benannt, der 1949 zum Gründungsvorsitzenden des Deutschen
Gewerkschaftsbundes gewählt wurde und noch kurz vor seinem Tod im Jahr 1951 mit
dem damaligen Bundeskanzler Konrad Adenauer die paritätische Mitbestimmung in
der Montanindustrie aushandelte.
Davon profitiert heute auch sein Ur-Ur-Enkel nicht nur bei
den von den Tarifparteien vereinbarten Lohnerhöhungen. Als
ich vor zehn Jahren bei Siemens meine Ausbildung zum Zerspanungsmechaniker
begann, war es aufgrund meiner familiären Prägung keine Frage, dass ich auch in
die IG Metall eintrete, erinnert sich Fürbach. Sein Vater ist
bereits seit 50 Jahren in der IG Metall und sein Großvater Georg Rand war in
den 50er Jahren erster Bevollmächtigter der IG-Metall in Oberhausen, ehe er als
Bildungssekretär in die Frankfurter Hauptverwaltung der IG Metall wechselte. Erzähl mal Opa, wie war das damals? erinnert sich
Fürbach an die Frage, mit der er so viele Gespräche mit seinem Großvater
begann, Gespräche in denen er auch seinen Ur-Ur-Großvater Hans Böckler
kennenlernte. Was mich an meinem Ur-Ur-Großvater am meisten
beeindruckt, ist die Tatsache, dass er auch großem Druck nicht von seinen
Idealen der Solidarität und der sozialen Gerechtigkeit abgewichen ist,
sagt Fürbach.
Aus den Erzählungen seines Großvaters weiß der junge
Maschinenbautechniker, der beui Siemns arbeitet und im August Vater wird, dass
sein Ur-Ur-Großvater während der Zeit des Nationalsozialismus Widerstand
geleistet hat und immer wieder von der Geheimen Staatspolizei verhaftet und
misshandelt wurde. Besonders beeindruckt hat ihn eine Postkarte, die ihm sein
Großvater gezeigt hat. Auf ihr sind verschlüsselte
Botschaften der Männer enthalten, die am 20. Juli 1944 vergeblich versuchten,
den Diktator Adolf Hitler zu töten. Hätte die Gestapo diese Postkarte bei ihm
gefunden, wäre das sein sicheres Todesurteil gewesen, weiß Fürbach.
Der Verfolgung und Ermordung konnte Böckler, der nach einem gelungenen
Staatsstreich gegen Hitler freie Gewerkschaften aufbauen sollte, auch nur
deshalb entkommen, weil er von einem Sympathisanten aus der NS-Bauernschaft
rechtzeitig gewarnt wurde und sich im Bergischen Land verstecken konnte.
Geschichte! Und die Gegenwart? Wenn
Menschen früher in einem Betrieb ihre Lehre gemacht haben, konnte es sein, dass
sie ihr ganzes Berufsleben dort verbrachten. Heute müssen junge Leute mobiler
sein. Und in einer Zeit der permanenten medialen Reizüberflutung, in der jeder
seine Botschaften über das Internet zu verbreiten, ist für viele schwieriger geworden,
sich inhaltlich zu orientieren und sich auch politisch und sozial irgendwo zu
verankern, beschreibt Fürbach den gesellschaftlichen Wandel.
Der hat aus seiner Sicht aber nicht zu einer
Entsolidarisierung der Gesellschaft geführt. Junge Leute
interessieren sich auch heute für Politik und dafür, was um sie herum passiert.
Sie wollen aber auch wissen, was bringt mir das, wenn ich in einer Gewerkschaft
bin und wo kann ich mitmachen und mitentscheiden, berichtet Fürbach
aus seiner Zeit als Betriebsrat und Jugendvertreter bei Siemens.
Dass immerhin deutlich mehr als 50 Prozent seiner 4834
Kollegen am Mülheimer Siemens-Standort, gewerkschaftlich organisiert sind,
wertet er als Indiz dafür, dass der Wert der Solidarität
auch heute in den Menschen tief verankert ist, weil sie in guten, wie in
schlechten Zeiten spüren, dass man nur gemeinsam stark ist.
Sein solidarisches Urerlebnis hatte der Ur-Ur-Enkel Hans
Böcklers 2011 in Köln. Damals habe ich in Köln an einem
Aktionstag teilgenommen, bei dem mehr als 50 000 junge Leute
gemeinsam für eine Übernahmegarantie in der Metallindustrie demonstriert haben.
Das war ein starkes Gefühl, erinnert sich Fürbach.
Dass Auszubildende heute nach ihrer Lehre bei Siemens für
mindestens zwei Jahre in ein festes Angestelltenverhältnis übernommen werden,
sieht er als ein konkretes Ergebnis gewerkschaftlicher Solidarität. Das verstehen auch junge Menschen, wenn man es ihn verständlich
erklärt und sie nicht einfach zuquatscht, betont Fürbach.
Dass sie merken, dass sie im Ernstfall
auf eine starke Mannschaft zurückgreifen können, in der sie selbst auch
mitmachen und mitentscheiden können, führt aus Sicht des jungen
IG-Metallers, der seine Betriebsratsarbeit für eine berufliche Weiterbildung
ausgesetzt hat, dazu, dass heute wieder mehr junge
Arbeitnehmer in die Gewerkschaften eintreten.
Wohin das Fehlen gewerkschaftlicher Lobbyarbeit und
gewerkschaftlicher Solidarität führen kann, sieht er an der Zunahme befristeter
und sozial unsicherer Beschäftigungsverhältnisse.
Auch das hat er in vielen Gesprächen als Gewerkschafter und
Betriebsrat immer wieder deutlich machen können: Ohne die
Gewerkschaftliche Solidarität wäre Deutschland nicht das wirtschaftlich
erfolgreiche Land, dass es heute ist. Tarifvertraglich geregelte Gehälter,
geregelte Arbeitszeiten, Urlaubsansprüche, Mitbestimmung, Lohnfortzahlung im
Krankheitsfall oder gleicher Lohn für Leiharbeiter kommen nicht von ungefähr,
sondern sind ein Ergebnis der von den Gewerkschaften solidarisch erkämpften und
verteidigten Tarifautonomie, lautet sein Credo.
Dass sich diese Solidarität auch wirtschaftlich lohnt und
auszahlt, liegt für den Arbeitnehmer Fürbach auf der Hand, weil
auch Arbeitgeber nur dann von Arbeitnehmern profitieren, wenn diese gesund und
motiviert bleiben und nicht schon nach wenigen Jahren durch schlechte
Arbeitsbedingungen verbraucht sind.
Dass Solidarität aber auch heute tief im Menschen
drinsteckt, sieht er aber auch jenseits der Arbeitswelt, wenn
sich Menschen zum Beispiel um jemanden kümmern, der auf der Straße gestürzt ist
und nicht einfach vorbeigehen oder wenn ihm seine Nachbarn in
Dümpten selbstverständlich mit einer Leiter für die Wohnungsrenovierung
aushelfen oder ihn zum gemütlichen Grillen einladen. Es
liegt wohl auch an meiner familiären Prägung, dass ich an das gute im Menschen
glaube, beschreibt der Ur-Ur-Enkel Hans Böcklers seine auf
Solidarität und aufbauende und damit das Erbe seines Ur-Urgroßvaters
fortsetzende Lebenseinstellung.
300 000
Deutsche waren gewerkschaftlich organisiert, als der damals
28-jährige Hans Böckler 1903 sein Laufbahn als hauptamtlicher Mitarbeiter des
Deutschen Metallarbeiterverbandes begann. Als er 1951 starb, hatte der von ihm
mitgegründete und geführte Deutche Gewerkschaftsbund in Westdeutschland 5,9
Millionen Mitglieder. Heute gibt es in Mülheim rund 18 000 und im wiedervereinigten
Deutschland rund 6,1 Millionen DGB-Mitglieder, 1,9 Millionen mehr als 2010,
aber 5,7 Millionen weniger als 1991 .
Dieser Text erschien am 24. Mai 2014 in der Neuen Ruhr Zeitung
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