Wenn alles gut geht, hat ein Mensch zwei Augen, um nach
vorne zu schauen, zwei Beine um nach vorne zu gehen und zwei Ohren, um sich
umzuhören. Über Jahrmillionen hat sich der Mensch zu dem aufrecht gehenden
Lebewesen entwickelt, das in der Lage ist, sich in seiner Umwelt zu bewegen, zu
orientieren und mit anderen menschlichen Lebewesen zu kommunizieren.
Diese Entwicklung nennt man wohl Evolution. Ein solcher
Evolutionsschritt scheint auch derzeit wieder im Gange zu sein. Denn immer
öfter begegnet man jetzt Menschen, die seltsam gebeugt sitzen oder gehen und
denen Hören und Sehen vergangen zu sein scheint. Sie haben keinen Blick und
kein Ohr mehr für ihre Mitmenschen, die immer öfter gezwungen sind, ihnen
auszuweichen, um nicht mit ihnen zu kollidieren oder aber sie massiv
anzusprechen und aufzurütteln, wenn sie mit ihnen ins Gespräch kommen wollen.
Denn diese Menschen haben ein neues Körperteil bekommen, das nicht nur ihre
Aufmerksamkeit fesselt, sondern auch ihre Kommunikation bestimmt. Sie
kommunizieren aber nicht mit ihrer leibhaftigen Umwelt und ihren Mitmenschen,
die sie im Zweifel über den Haufen rennen oder einfach ignorieren, sondern mit
virtuellen Partnern in einer virtuellen Welt. Ihr neues Körperteil verlangt
ihre ganze Energie und wir ahnen. Diesen Evolutionssprung kann sich weder Gott
Vater noch Mutter Natur ausgedacht haben. Ihnen wäre wohl etwas besseres, als
dieses elektronische Körperteil namens Smartphone eingefallen. Dieses
Wunderwerk der Technik, das zweifellos spannende Möglichkeiten der mobilen
Kommunikation, der Alltagsorganisation und der Orientierung bietet, ist
natürlich Menschenwerk. Bleibt nur zu hoffen, dass diese elektronische
Evolution und Revolution nicht irgendwann ihre Kinder frisst, weil sie ihnen
den Blick für das Wesentliche, nämlich für ihre Mitmenschen und ihre Umwelt
raubt, denen sie im analogen Hier und Jetzt begegnen können. Auch das kann
spannend sein. Denn bei allem technischen Fortschritt sollten wir nicht
vergessen. Der Irrtum ist und bleibt die menschlichste aller Eigenschaften.
Dieser Text erschien am 2. Juni 2014 in der Neuen Ruhr Zeitung
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