Darüber kann sich die ehemalige CDU-Ratsfrau und
Kulturausschussvorsitzende Renate Sommer (82), die dem Rat von 1975 bis 2000
angehörte so energisch aufregen, wie eine junge Nachwuchspolitikerin. „Das ist
sehr deprimierend. Denn das Stadtparlament hat ja auch eine Vorbildfunktion und
sollte den Querschnitt der Stadtgesellschaft abbilden. Aber was sollen die
Frauen sagen, wenn sie in den Rat schauen und fast nur Männerköpfe sehen. Wir
haben heute auf keinen Fall mehr, sondern eher weniger Frauen im Rat, als zu
meiner aktiven Zeit“, beklagt Sommer.
„Wir haben in der CDU zwar eine Quote, wonach jedes dritte
Fraktionsmitglied eine Frau sein sollte und es gibt auch genügende engagierte
Frauen in der Partei. Aber wenn es um Wahlkreise und Listenplätze geht, hört
die Solidarität und die Vernunft oft auf“, sagt die ehemalige
Kommunalpolitikerin mit Blick auf altgediente Ratsherren, die in den
Ortsverbänden oft ihre Erbhöfe und Pfründe verteidigen und keine Lust haben,
dem weiblichen Parteinachwuchs zu weichen.
Dabei lässt Sommer keinen Zweifel daran, dass dem Stadtrat
mehr Frauen gut tun würden. Sie hätten, ist die Christdemokratin überzeugt,
durch ihre Lebenserfahrung als berufstätige Mütter und als im Alltag gestählte
Familienmanagerinnen einen sehr viel lebensnäheren Blick auf Finanzen und
Stadtplanung oder soziale Belange als viele Langzeit-Ratsherren. „Wir brauchen
mehr Wechsel und begrenzte Amtszeiten in der Kommunalpolitik, damit frischer
Wind und mehr Offenheit für neue Ideen ins Rathaus einziehen.“ Neue Ideen und
frischen Wind, daran lässt Sommer keinen Zweifel brauchen auch Ortsverbände und
Ortsvereine der traditionellen Volksparteien, „weil die klassischen
Parteiversammlungen von den meisten jungen Frauen als ätzend empfunden werden.“
Mit der Vorsitzenden der Arbeitsgemeinschaft
sozialdemokratischer Frauen (ASF), Andrea Schindler, ist sich Sommer einig,
dass Volksparteien, die solche bleiben wollen, auch jenseits von Wahlkämpfen,
moderne und projektbezogene Kommunikations- und Arbeitsstrukturen brauchen, die
auch für politisch interessierte Nichtmitglieder offen sind.
Schindler und Sommer sind sich auch einig in ihrer
Enttäuschung, dass nur 4 von 15 CDU- und sogar nur 2 von 17 SPD-Ratsmitgliedern
weiblich sind. „Der Wunsch ist da, dass wir besser im Rat vertreten sind. 2 von
17 ist uns zu wenig“, sagt Schindler, die mit der ASF immerhin 500 der
insgesamt 2000 SPD-Mitgliedern vertritt. Auch wenn sie nicht abstreiten will,
dass es im Einzelfall auch schon mal die Beharrungskräfte in dem einen oder
anderen Ortsverein sind, die es dem weiblichen oder auch dem jungen Nachwuchs
nicht leicht machen, glaubt Schindler, dass viele Frauen von der
gesellschaftlichen Wirklichkeit und von ihrem eigenen Anspruch ausgebremst
werden. „Viele Frauen wagen den Sprung in den Rat nicht, weil sie ihre Aufgabe
100-prozentig erfüllen wollen. Gleichzeitig sind berufstätige Mütter heute aber
immer noch einer stärkeren Doppelbelastung ausgesetzt, weil die Aufteilung der
Familienarbeit immer noch nicht so gleichberechtigt gestaltet wird, wie wir uns
das als Frauen wünschen.“
Folge: Mit Margarete Wietelmann (Speldorf-Nordost) und Hilde
Freiburg (Heißen-Mitte) traten nur zwei von 14 SPD-Ratskandidatinnen auf
aussichtreichen Listenplätzen und in Wahlkreisen an, die als SPD-Hochburgen
galten. Die 27-jährige Nachwuchswissenschaftlerin Farina Marx unterlag als
dritte SPD-Direktkandidatin in der der CDU-Hochburg am Kahlenberg Bürgermeister
Markus Püll.
Auch wenn Andrea Schindlers Mann Claus, seines Zeichens
Fraktionsgeschäftsführer der SPD, versichert, dass sich einige Ortsvereine
vergeblich um weibliche Ratskandidatinnen bemüht hätten, räumt er ein, dass die
historisch von der Industriearbeiterschaft geprägte Revier-SPD immer noch eine
männlich dominierte Partei ist. Seine Frau Andrea hat das Gefühl, „dass Frauen,
die sich um ein Mandat bewerben besonders kritisch beäugt werden.“ Angesichts
der Wahlergebnisse hält es Schindler für dringend notwendig, „dass die SPD mit
den Frauen ein Konzept erarbeitet, dass uns Frauen stärker als bisher in die
politische Verantwortung einbindet und dafür sorgt, dass sich die Frauenquote
in der Ratsfraktion erhöht.“ Mit Sorge sieht sie, „dass uns vor allem die
Frauen der mittleren Jahrgänge fehlen.“ Deshalb will die ASF-Vorsitzende jetzt
verstärkt auf Fortbildung in Sachen Rhetorik, Auftreten, Kommunikation und
Selbstbehauptung setzen. Denn nach der Wahl ist vor der Wahl.
3 Frauen (Maria Büßemeyer und Katharina Havermann von der
katholischen Zentrumspartei) und Luise Blumberg von der liberalen Deutschen
Volkspartei zogen 1919 als erste Ratsfrauen in ein Mülheimer Stadtparlament
ein. Damals waren die drei Damen allein unter 69 Ratsherrn. Immerhin: Heute
stehen 14 Ratsfrauen 40 Ratsherrn gegenüber. Während bei der SPD nur 2 von 17
und bei der CDU 4 von 15 Fraktionsmitgliedern weiblich sind, sind es bei den
Grünen 3 von 6, bei den MBI 2 von 5 und bei der FDP 1 von 3.
Dieser Text erschien am 5. Juni 2014 in der Neuen Ruhr Zeitung
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