Normalerweise werden in der Cafeteria des
Karl-Ziegler-Gymnasiums Schüler und Lehrer versorgt. Doch an diesem Sonntag
bleibt dort die Küche kalt. Stattdessen bekommt die Demokratie ihre wichtigste
Nahrung, die Stimmen der Bürger. Denn am Wahltag der Europa- und Kommunalwahl
wird die Cafeteria zum Wahllokal für den Stadtmitte-Stimmbezirk 012. Nur
Wasserflaschen sind zu sehen, die sich die acht Wahlhelfer zur Erfrischung
mitgebracht haben.
„Kurz vor Toresschluss kommt immer noch ein ganzer Schwung
von Leuten,“ weiß Wahlvorsteherin Kerstin Braun. Die Frau vom Grünflächenamt
muss es wissen. Denn seit sie 18 war, hat sie jede Wahl als Wahlhelferin
begleitet. Und sie behält recht. Zwischen 17.30 Uhr und 18 Uhr wählen rund 40
Frauen und Männer in letzter Minute, darunter auch ein Briefwähler, der
vergessen hatte seinen Wahlbrief rechtzeitig einzuwerfen und eine ältere Dame
mit Rollator, der Braun über die Stufen ins Wahllokal hinein und später wieder
hinaus hilft.
Wie und warum wird man zum späten Wähler? „Ich habe mir
heute einen schönen Wellnesstag mit Waldlauf und Freiluftsauna gegönnt“,
begründet der 48-jährige Eventmanager Carsten Kroll seinen späten Wahlgang. Er
glaubt, „dass das schöne Wetter viele Wahlfaule davon abgehalten haben wird,
ins Wahllokal zu kommen.“
Der späte Wähler und Jurastudent Christoph Götz hat vor dem
Gang ins Wahllokal noch einmal den Internet-Wahlomaten der Bundeszentrale für
politische Bildung bemüht, „damit ich nicht alle Wahlprogramme durchlesen
muss.“ Obwohl der 29-Jährige einräumt, dass die Wahlentscheidung für ihn keine
leichte war, betont er: „Ich habe noch keine Wahl verpasst, weil das für mich
zum Engagement für die Demokratie einfach dazugehört.“
Auch für die beiden Mittsiebziger Anni und Günther Müller ist
das Wahlrecht eine „Bürgerpflicht“, die sie nach einem Sportnachmittag vor dem
Fernsehen selbstverständlich gerne erfüllen, „weil wir keine Stimme zu
verschenken haben.“ Während die Müllers, die zur Gruppe der Stammwähler
gehören, zugeben, dass ihnen der Durchblick bei zwölf Parteien und
Wählerbündnissen auf den Kommunalwahlzetteln schwerfällt, begrüßt der
37-jährige Künstler Patrick Gerhard die neue Vielfalt auf dem Stimmzettel. „Da
ist bestimmt für jeden was dabei und ich bin ohnehin dafür, dass es mehr
Bürgerentscheide und Bürgerbefragungen gibt“, sagt er. Trotzdem kommt er erst
spät zur Wahl: „Weil ich diesmal eigentlich gar nicht wählen gehen wollte, mich
aber von einer Freundin habe überzeugen lassen.“
„Wenn man das Wahlrecht hat, sollte es auch nutzen“, erklärt
er 41-jähriger Einzelhandelskaufmann, warum er spät aber nicht zu spät zur Wahl
kommt. Besonders wichtig ist ihm, der darüber nachdenkt nach Spanien
auszuwandern, die Wahl des Europäischen Parlaments. Doch um 18 Uhr ist es so
weit. „Ich erkläre den Wahlgang für geschlossen“, sagt Wahlvorsteherin Braun.
Nur eine junge Frau die gerade erst aus der Wahlkabine kommt, darf ihre drei
Wahlzettel noch in die Urne werfen.
Dann fängt das große Zählen an, bei dem die acht Wahlhelfer
nicht nur von der NRZ, sondern auch von der AfD-Ratskandidatin Eva Viljoen
beobachtet werden. Die Kandidatin will darauf achten, dass bei der
Stimmenauszählung alles mit rechten Dingen zugeht. Schon bald kommt es fast zum
Eklat, als die AfD-Bewerberin mit Hinweis auf die Europawahlordnung darauf
bestehen will, dass jede gezählte Stimme laut vorgelesen werden soll. „Wenn wir
das machen, sind wir noch um 24 Uhr hier. Und wenn jeder hier seine Stimmen
laut vorlesen würde, würden wir uns am Ende verzählen und bräuchten für jeden Wahlhelfer
einen eigenen Raum“, weist sie Braun zurecht.
Danach wird friedlich und flottgezählt, zunächst die grauen
Stimmzettel für die Europawahl, dann die grünen für die Stadtratswahl und
zuletzt die roten für die Wahl der Bezirksvertretung. „Wir sind ein
eingespieltes Team“, sagt Braun. Kein Wunder. Ihre Wahlhelfer kommen alle aus
der Familie. Ihr beim Tiefbauamt arbeitender Mann Ralf und ihre Tochter
Charlotte zählen ebenso mit, wie ein Schwager, die beiden Neffen Merlin und
Yanik, sowie Charlottes Freund Christian Howahl und ihre Tante Silke Stöhr.
„Wir wählen gerne und fühlen uns mit der Stadt und der Demokratie verbunden.
Deshalb wollen wir ihr etwas zurückgeben und unseren Beitrag dazu leisten, dass
alles auch so weiter läuft“, sind sich Tante und Nichte einig.
„Wo habt ihr die CDU? Zwei Kreuze auf einem Zettel? Das ist
doch ungültig. Ich habe hier eine Stimme für die Familienpartei.“ Alle Stimmen
werden sicherheitshalber dreimal durchgezählt. Und kurz nach 19 Uhr kann
Charlotte Braun per Handy Ergebnisse ans Wahlamt durchgeben. Anschließend wird
das Wahlergebnis protokolliert und von allen Wahlhelfern unterschrieben. Und
zum guten Schluss heißt es dann noch mal:“Einpacken!“ Alle Stimmen werden nach
Wahlgang und Partei sortiert in große Umschläge gesteckt, die versiegelt später
ans Wahlamt gehen. Um 19.50 Uhr verlassen Kerstin und Ralf Braun nach 13
freiwilligen Arbeitsstunden als Letzte das Wahllokal.
Bei der Europa- und Kommunalwahl wurden im
Stadtmittestimmbezirk 012 insgesamt 444 Stimmen abgegeben, davon drei ungültig.
Das entsprach eine Wahlbeteiligung von 35 Prozent.
Bei der Europawahl erhielt die SPD 153, die CDU 110, die
Grünen 60, die FDP und die Linke jeweils 21, die AFD 39 und die Piraten 12
Stimmen. Jeweils 3 Stimmen entfielen auf die Tierschutzpartei, Die Partei und
auf Pro NRW. Jeweils 2 Stimmen bekamen die Familienpartei, die Christliche
Mitte, die Freien Wähler und die Partei Bibeltreuer Christen. Jeweils eine
Stimme erhielten, die NPD, das Bürgerkommitee Solidarität, die Ökologisch Demokratische
Partei und die Bayernpartei.
Bei der Kommunalwahl für Rat und Bezirksvertretung 1
entschieden sich 113 Wähler für die SPD, 114 für die CDU, 47 für die MBI, 66
für die FDP, 36 für die AFD, 31 für die Grünen, 11 für die Linke, 10 für die
Piraten, 6 für das Bündnis für Bildung, 4 für WIR, 2 für AUF, 2 für das Bündnis
für Bürger.
Dieser Text erschien am 26. Mai 2014 in der Neuen Ruhr Zeitung
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