Donnerstag, 15. Mai 2014

Gemeinsame Baustellen: Wie erleben junge und alte Mülheimer ihre Stadt? Ein Gespräch zwischen den Generationen

Wie erleben Mülheimer aus unterschiedlichen Generationen ihre Stadt und deren Entwicklung? Und wo sehen sie in einer stark alternden Stadt, in der schon heute 30 Prozent der Bürger über 60, aber nur 18 Prozent unter 21 Jahren sind Gemeinsamkeiten zwischen den Generationen? Darüber sprach ich im Auftrag die NRZ vor dem Hintergrund der Ergebnisse ihres Bürgerbarometers mit der Vorsitzenden des Jugendstadtrates, Olga Teplytska, (17), die nach ihrem Abitur an der Otto-Pankok-Schule Pharmazie studieren möchte und mit dem langjährigen CDU-Kommunalpolitiker Paul Heidrich (70), der sich inzwischen seit einigen Jahren als Vertreter des Katholikenrates im Seniorenbeirat der Stadt engagiert.
Fangen wir doch mal mit dem positiven an. 15 Prozent der Befragten glauben, dass sich die Stadt in den letzten fünf Jahren zu ihrem Vorteil verändert hat. Worauf kann sich solcher Optimismus stützen?
Teplytska: Ich weiß, dass das Medienhaus und das modernisierte Cinemaxx-Kino im Rhein-Ruhr-Zentrum bei vielen Jugendlichen gut ankommt. Auch die neue Hochschule ist für Mülheim ein echter Gewinn.
Heidrich: Diese Einschätzung ist mir ehrlich gesagt ein Rätsel. Wenn ich an positive Veränderungen in unserer Stadt denke, denke ich am ehesten noch an das neue Haus der Stadtgeschichte und die Musikschule in der alten Augenklinik. Diese Kombination ist sicher sehr attraktiv, ebenso wie die sozialen Kontakte, die durch die Netzwerke der Generationen in den Stadtteilen entstehen.
Leider stellen 61 Prozent der Befragten ja auch fest, dass sich die Stadt in den letzten fünf Jahren zu ihrem Nachteil verändert hat. Warum eigentlich?
Teplytska: Viele sind über Ruhrbania und darüber verärgert, dass mit dem Kaufhof nichts passiert. Außerdem wünschen sich viele Jugendliche eine breitere Auswahl an Diskotheken und einen vor allem im Nachtexpress besser ausgebauten öffentlichen Personennahverkehr.
Heidrich: Diese negative Beurteilung ist aus meiner Sicht vor allem auf den desolaten Zustand der Innenstadt zurückzuführen. Wir brauchen dort einen vernünftigen Branchenmix und müssen mit allen Hauseigentümmern nach einer tragfähigen Lösung suchen. Aber auch in den anderen Stadtteilen klagen gerade ältere Bürger, dass der Weg zum nächsten Lebensmittelgeschäft oder zum nächsten Arzt immer weiter wird. Die zentralen Einkaufszentren sind für viele in ihrer Mobilität eingeschränkten Senioren nicht mehr erreichbar. Und einen Lieferservice können sich viele nicht leisten.
Dennoch lebt die ganz überwiegende und auch generationsübegreifende Mehrheit der Mülheimer gerne in ihrer Stadt. Ist das ein Widerspruch?
Teplytska: Nein. Denn Jugendliche und junge Erwachsene schätzen nicht nur die sehr engagierte Jugendarbeit, die in Mülheim geleistet wird, oder ansprechende Festivals, wie Voll die Ruhr oder das Reaggee-Festival, sondern auch ein relativ breites Angebot an Praktikums,-Ausbildungs- und Arbeitsplätzen, die man in Mülheim auch mit Hilfe von Berufsmessen gut finden kann.
Heidrich: Gerade für die wachsende Zahl alter Menschen, die heute Gott sei Dank länger mobil bleiben als früher hat Mülheim als Stadt am Fluss einen hohen Naherholungs- und Freizeitwert. Letzterer wird vor allem durch ein reichhaltiges Kulturangebot verstärkt.
Es fällt aber auf, dass der Anteil der Menschen, die „sehr gerne“ in Mülheim Leben unter den Alten größer ist als unter den Jungen, es aber auch eine kleine Gruppe von Alten gibt, die „sehr ungerne“ in der Stadt leben. Diese Fraktion gibt es bei den Jungen gar nicht.
Teplytska: Wie gerne man in der Stadt lebt, hängt sicher auch vom Stadtteil ab, in dem man lebt. Ich selbst wohne in Heißen, fühle mich abends an der zentralen Haltestelle in der Innenstadt aber eher unwohl und unsicher. Ältere Menschen schätzen vielleicht eher eine sehr ruhige Wohnlage, während für viele junge Leute etwas mehr los sein könnte. Die Zufriedenheit der Jungen steigt aber auch mit ihrer Mobilität, weil sie weniger als alte Menschen auf ihren Stadtteil begrenzt sind, wenn es um ihre Freizeit oder auch um ihre Ausbildung und Arbeit geht.
Heidrich: Ich kann mir eigentlich nicht vorstellen, warum man nicht gerne in Mülheim leben sollte. Aber ich weiß, dass viele alte Menschen heute nach 21 Uhr nicht mehr gerne aus dem Haus gehen, weil sie sich subjektiv unsicher fühlen, was vielleicht auch mit der Polizeipresseberichterstattung zu tun hat. Und ich kann mich natürlich
auch noch an Zeiten erinnern, als ich mich abends in der Innenstadt kein bisschen unsicher fühlte, weil sie damals zu dieser Zeit noch wesentlich mehr bevölkert war, weil es dort mehr Restaurants und auch Kinos gab als heute.
„Trau keinem über 30“, lautete ein Spontispruch der 68er-Bewegung. Paul Heidrich und Olga Teplytska sehen heute vor allem Gemeinsamkeiten zwischen den Generationen, wenn es um bezahlbaren und barrierefreien Wohnraum für Menschen mit Rollator, Rollstuhl und Kinderwagen oder um eine gute und bezahlbare Mobilität mit Bussen und Bahnen geht. Gerade in den Bereichen Wohnen und Nahverkehr können sich beide auch gemeinsame Initiativen von Seniorenbeirat und Jugendstadtrat vorstellen. Das alte und junge Menschen sich gegenseitig helfen können, sehen Heidrich und Teplytska auch daran, dass es in Mülheim Schüler gibt, die regelmäßig Senioren besuchen oder alte Menschen, die als Ausbildungspaten oder Zeitzeugen ihre Berufs- und Lebenserfahrung an Jugendliche weitergeben. Besonders erfreulich findet es Heidrich, dass die Zeiten, in denen Kinderspielplätze stillgelegt wurden, weil sich Nachbarn über den Kinderlärm beschwerten, in Mülheim der Vergangenheit angehören. Gerärgert hat er sich aber, als es vor einigen Monaten in Broich einen mit dem Erhalt einer Hundeswiese vorgetragenen Anwohnerwiderstand gegen die Errichtung eines Studentenwohnheims für die neue Hochschule an der Duisburger Straße gab.
 
Dieser Text erschien am 9. Mai 2014 in der Neuen Ruhr Zeitung

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