Freitag, 21. Juni 2013
In Memoriam Elfriede Rosorius: Eine ganz persönliche Geschichte über die Anfänge der Neuen Ruhr Zeitung in Mülheim
Elfreide Rosorius war als Tochter des ersten NRZ-Lokalchefs und späteren SPD-Bundestagsabgeordneten Otto Striebeck eine Pionierin und jahrzehntelage Wegbegleiterin und Leserin der Mülheimer NRZ. Am 17. Juni 2013 ist sie im Alter von 92 Jahren gestorben. Der nachstehende Text gibt ein Gespräch mit ihr wieder, das ich zum 65. Geburtstag der NRZ am 13. Juli 2011 für die Mülheimer NRZ mit ihr geführt habe:
Auch mit 90 Jahren liest Elfriede Rosorius immer noch jeden Tag die NRZ. Politik, Sport und Lokales interessieren sie am meisten. Neben der aktuellen Ausgabe liegen auf ihrem Schreibtisch auch die Zeitungsseiten der vergangenen Tage, zu deren Lektüre sie noch nicht gekommen ist.
Für Rosorius ist die NRZ mehr als „ein unverzichtbares Medium“, um auf dem Laufenden zu bleiben. Für sie ist sie Teil ihrer Familiengeschichte. Denn ihr Vater Otto Striebeck war der ersten Redaktionsleiter der Mülheimer NRZ, deren erste Ausgabe am 13. Juli 1946 erschien.
„Ich bin damals von Haus zu Haus gelaufen und habe 500 Abonnenten geworben“, erinnert sie sich nicht ohne Stolz. “Jetzt können wir endlich wieder sagen und schreiben was wahr ist“, hat sie damals ihren Nachbarn gesagt, um sie davon zu überzeugen, für 1,50 Reichsmark pro Monat die Neue Ruhr Zeitung zu abonnieren. Erst zwei Jahre später sollte die NRZ mit der neuen D-Mark bezahlt werden.
Dass die Presse- und Meinungsfreiheit unbezahlbar war, wusste Rosorius aus eigener Erfahrung. Als aktiver Sozialdemokrat und Bergmann, der sich zum Zeitungsredakteur hochgearbeitet hatte, verlor ihr Vater nach der Machtübernahme durch die Nazis seinen ersten journalistischen Arbeitsplatz bei der Volksstimme in Moers und saß drei Jahre lang im Zuchthaus. „Der Otto hat Recht gehabt“, hat seine Tochter später oft zu hören bekommen, als sich Leute an seine 1933 gedruckten Flugblätter mit der Warnung “Wer Hitler wählt, wählt den Krieg“ erinnerten.
Den Wiederaufbau hat Striebeck dann ab 1946 nicht nur als Redaktionsleiter der NRZ, sondern auch als Stadtverordneter der SPD begleitet. “Er konnte Dinge sehr gut erklären, sich mit Menschen auseinandersetzen und ihnen Wege aufzeigen, wie man Dinge regeln kann“, erinnert sich Rosorius an ihren Vater, den sie als einen Mann beschreibt, „der Tag und Nacht gearbeitet hat.“
Seine Anfänge bei der von der britischen Militärregierung lizenzierten und von Dietrich Oppenberg herausgegebenen NRZ waren bescheiden. Seine Wohnung an der Friedrichstraße war sein erstes Redaktionsbüro. Eine eigene Geschäftsstelle an der Schloßstraße (siehe Foto) bekam die NRZ erst später. Striebeck, dem seine Stenografiekenntnisse das journalistische Alltagsgeschäft sehr erleichterten, war der einzige Lokalredakteur und wurde bei seiner Arbeit von einer Hand voll freier Mitarbeiter unterstützt. Mit seinen auf einer alten Schreibmaschine getippten und von Tochter Elfriede Korrektur gelesenen Texten fuhr er dann ins Essener Verlagshaus. „Da hat er manche Nachtschicht mitgemacht“, erinnert sich Rosorius.
Die erste Lokalausgabe der NRZ bestand aus einer halben Seite Text und einer halben Seite mit Kleinanzeigen. Weil das Papier knapp ist, erscheint die NRZ anfangs nur zweimal pro Woche. Wer die Berichte über die Lebensmittelhilfen des Schwedischen Roten Kreuzes, den Rehabilitationssport für Kriegsbeschädigte in der heutigen Martin-von-Tours-Grundschule oder den Diebstahl von Lebensmittelkarten, den Mangel an politisch unbelasteten Lehrern, intakten Schulen, verschlepptem Schulmobiliar oder die Kleinanzeigen mit Tauschangeboten, wie „Biete gut erhaltenen Damenmantel (Größe 42). Suche Herrenanzug“ nachliest, der bekommt eine Ahnung von der existenziellen Not, unter der die Mülheimer 1946 litten. Sicher hätte man es damals, als sich 70 Schüler einen Lehrer und 90 Schulklassen 14 Schulgebäude teilen mussten, kaum glauben können, dass man 65 Jahre später in Mülheim über Schulschließungen nachdenkt
Viele Mülheimer kamen zu Striebeck, der ihren Nöten und Anliegen in der NRZ eine Stimme und ein Forum gab. Ab 1949 verlagerte der Sozialdemokrat Striebeck den Einsatz für seine Mitbürger dann als erster Mülheimer Abgeordneter von der NRZ-Redaktion in den Deutschen Bundestag.
Was aus heutiger Perspektive vielleicht etwas befremden mag, entsprach damals einer gewissen Konsequenz, die der Absicht entsprach, mit der die englische Militärregierung auch die NRZ lizenzierte.
Es ging darum, die Deutschen zu engagierten Demokraten zu erziehen und, wie ein britischer Offizier in der NRZ vom 13. Juli 1946 sagt, „das Vertrauen in die Menschlichkeit zu stärken.“
Dieser Text erschien am 13. Juli 2011 in der Neuen Ruhr Zeitung
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