Dienstag, 18. August 2020

Hilfe fürs Frauenhaus

„Wir wollen als Bürgerstiftung da sein, wo man unsere Hilfe besonders dringend braucht. Und wir wissen, dass unser Geld im Frauenhaus gut investiert ist. Weil die Arbeit, die hier geleistet wird den von häuslicher Gewalt betroffenen Frauen und ihren Kindern nachhaltig hilft, können wir uns auch vorstellen, weiterhin Geld in diesen Bereich nachzuschießen“, erklären die Stiftungsvorstände Bettina Gosten und Anke Dieberg-Hemmerle, warum die 2004 gegründete Bürgerstiftung in diesem Fall Geld für Schulmaterial, Lebensmittel und Hygieneartikel zur Verfügung gestellt hat. „Das entlastet uns finanziell und erweitert unseren Handlungsspielraum“, sind sich die Vorsitzende des Vereins Hilfe für Frauen, Annette Lostermann-DeNil und ihre Stellvertreterin Kim Ehring einig.

Was bedeutet diese konkrete Hilfestellung für die betroffenen Frauen und ihre Kinder? Eine Mitdreißigerin, die mit ihren beiden schulpflichtigen Kindern Zuflucht in dem von derDiplom-Sozialwissenschaftlerin Gülsüm Erden geleiteten Frauenhaus gefunden hat, erklärt dazu im Gespräch mit dieser Zeitung:

??? Was bedeutet die Hilfe der Bürgerstiftung für Sie?

!!! Ich bin der Bürgerstiftung sehr dankbar für ihre Hilfe, weil sie dafür sorgt, dass meine Kinder genauso gut mit Schulsachen ausgestattet in das neue Schuljahr starten können wie ihre Klassenkameraden. Und niemand merkt, dass sie mit mir im Frauenhaus leben müssen. Da ich aufgrund der Kindererziehung in den letzten Jahren nicht mehr berufstätig war und finanziell vom Einkommen meines Ehemanns abhängig bin, habe ich zur Zeit keine Rücklagen, auf die ich zurückgreifen kann, um meinen Kindern zum Beispiel einen Ranzen, Stifte, Hefte , ein Geo-Dreieck, ein Lineal , eine Butterbrotdose, Stifte und Füller zu kaufen .

??? Warum haben Sie  Zuflucht im Frauenhaus gesucht?

!!! Die Rufnummer 0208 997086 des Frauenhauses habe ich von einer Freundin bekommen. Ich habe dort vor vier Wochen angerufen, weil ich es zu Hause nicht mehr ausgehalten habe. Mein extrem eifersüchtiger Ehemann hat mich immer wieder gedemütigt, geschlagen und sexuell genötigt. Und jetzt war das Fass einfach übergelaufen. Obwohl ich von meinem Ehemann finanziell abhängig bin, habe ich begriffen, dass ich so nicht weitermachen kann. Und ich will das auch meinen Kindern nicht antun. Sie mussten die Gewalt, die mein Ehemann mir angetan hat, immer wieder mit ansehen. Die seelischen Schmerzen, die das bei meinen Kindern und bei mir ausgelöst hat, waren mindestens so schlimm, wie die körperlichen Schmerzen, die ich erleiden musste .

??? Wie wird Ihnen im Frauenhaus geholfen?

!!! Die beiden Sozialarbeiterinnen, die sich dort um uns kümmern, haben mein am Boden zerstörtes Selbstbewusstsein wiederaufgebaut. Mit ihrer Hilfe habe ich begriffen, dass ich etwas wert bin und Rechte habe, auch wenn ich von meinem Ehemann finanziell abhängig bin. Anfangs habe ich die Schuld immer bei mir gesucht und mich gefragt, was ich falsch gemacht habe, dass unsere Ehe so aus dem Ruder gelaufen ist. Durch die Beratung und Hilfe, die ich im Frauenhaus bekommen habe, weiß ich jetzt, dass ich mit konkreten Forderungen auf meinem Ehemann zu gehen kann und muss und dass sein Verhalten durch nichts zu rechtfertigen war und ist . Auch bei den Ämtergängen und beim Papierkrieg rund um Fragen des Kindergeldes, des Erziehungsgeldes, der sozialen Grundsicherung und des Unterhalts, den mein Mann zu leisten hat, haben mir die Leiterin des Frauenhauses, Gülsüm Erden und ihre Kollegin sehr geholfen und mir die Angst genommen, dass meine Kinder und ich ohne meinen Ehemann nicht überleben können. Sie haben mich auch ermutigt, meinen Schulabschluss nachzuholen und eine Berufsausbildung anzustreben, damit ich dauerhaft finanziell auf eigenen Beinen stehen kann. Ich will endlich selbstbestimmt leben und meinen Kindern ein gutes Vorbild sein.

??? Wie lange müssen und wollen Sie im Frauenhaus bleiben?

!!! Das kann ich noch nicht genau sagen. Die Mitarbeiterinnen des Frauenhauses unterstützen mich jetzt auch bei der Suche nach einer bezahlbaren Wohnung. Aber als alleinerziehende Mutter mit zwei Kindern und ohne Job, habe ich es auch bei den Vermietern natürlich besonders schwer. Von Frau Erden weiß ich, dass manche Frauen das Frauenhaus schon nach wenigen Wochen wieder verlassen haben, während andere mit ihren Kindern dort ein halbes Jahr oder sogar ein ganzes Jahr bleiben mussten. Ich könnte zwar einen polizeilichen Wohnungsverweis meines gewalttätigen Mannes erwirken, aber das würde das Problem nur zeitlich aufschieben. Meine Kinder und ich brauchen einen echten Neuanfang in einer neuen Wohnung.

Hintergrund:

Das Frauenhaus finanziert sich mit Landesmitteln und mit Tagessätzen für die Unterkunft. Letztere werden überwiegend von der Stadt, vom Jobcenter, von besser situierten Frauen auch selbst gezahlt. Bei Bedarf gibt es einen städtischen Zuschuss. Und zu einem erheblichen Teil wird das Frauenhaus durch Spenden finanziert. Das Frauenhaus wurde 1994 eröffnet. 1997 setzte der Deutsche Bundestag den Tatbestand „Vergewaltigung in der Ehe“ und 2002 den Tatbestand der häuslichen Gewalt unter Strafe. Das Frauenhaus bietet Platz für 8 Frauen und 14 Kinder. Allein im August haben 10 Frauen und 14 Kinder zwischenzeitlich Zuflucht im Frauenhaus gefunden. 2019 fanden insgesamt 41 Frauen und 56 Kinder dort eine Zuflucht. Die Hälfte der Frauen hatten die deutsche Staatsangehörigkeit. Seit Jahresbeginn haben 35 Frauen und 50 Kinder im Frauenhaus ein Obdach gefunden. Nach Angaben der Einrichtungsleiterin Gülsüm Erden hat der corona-bedingte Lockdown bisher keinen Anstieg der Hilfeanfragen bewirkt. Sie rechnet allerdings mit einem zeitverzögerten Anstieg, da sich von ihren gewalttätigen Ehemännern abhängige Frauen in der Corona-Krise besonders schwer damit täten, die häusliche Lebensgemeinschaft zu verlassen. Neben seiner werktags von 9 bis 12 Uhr geöffneten Beratungsstelle am Hans-Böckler-Platz 9, wo auch Termine außerhalb dieses Zeitfensters vereinbart werden können, wird der Verein Hilfe für Frauen in Kürze eine weitere Beratungsstelle an der Kämpchenstraße 8 eröffnen. Das Frauenhaus ist werktags unter der Telefonnummer 0208/ 997086, die Beratungsstelle vormittags unter 0208 305 68 23

zu erreichen und das überörtliche Hilfetelefon gegen Gewalt gegen Frauen steht rund um die Uhr kostenfrei unter der Rufnummer 08000 116 016 zur Verfügung. Hier kann auch in 17 weiteren Sprachen telefonische Hilfe geleistet werden. Der Träger- der Verein Hilfe für Frauen e.V. ist auch über die Internetseite: www.hilfe-fuer-frauen-ev.de erreichbar.


Dieser Text erschien am 16. August 2020 in NRZ & WAZ

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