Freitag, 14. August 2020

Wir hören uns

„Wir sehen uns!“ Das ist in Corona-Zeiten leichter gesagt als getan. Was uns gestern noch selbstverständlich erschien: In die Schule oder zur Uni gehen, Verwandte besuchen, sich mit Freunden in der Kneipe auf ein Bier treffen, ist in Zeiten des Virus zu einem Unding geworden. Der tägliche Einkauf wird zum Spießrutenlauf. Einlassschlangen vor Geschäften und Abstandsmarkierungen im Supermarkt zeigen uns, was die Stunde geschlagen hat. Und wir selbst sind geschlagen, weil wir zu Hause bleiben und uns vor dem Lagerkoller bewahren müssen. Von der Schlagerparty des vormaligen Stadtprinzen Dennis Weiler über den Online-Unterricht an Mülheims Schulen bis zum sonntäglichen Online-Gottesdienst in der Petrikirche. Immer öfter sehen wir uns in diesen Zeiten der sozialen Distanzierung nur noch im Netz. In der aktuellen Ausnahmesituation tut aber auch jenseits jeder virtuellen Ansicht jeder Anklang  von Alltag gut und wirkt wie ein Balsam für die Seele. Das Klingeln des Telefons und die vertrauten Stimmen von Freunden und Familienangehörigen, mit denen man sich über seinen Alltag im Ausnahmezustand, über Hoffnungen, Wünsche und Befürchtungen austauschen kann, sind gerade jetzt wie eine kleine Sinfonie der Normalität und Mitmenschlichkeit. Sie gibt uns Mut und lässt uns aus dem Corona-Hamsterrad aussteigen, in dem sie uns hören lässt: Wir sind noch da und wir sind nicht allein. „Ruf mal wieder an!“ Diese werbewirksame Aufforderung der Deutschen Bundespost aus den Zeiten der Telefonzellen und Wählscheinen-Telefone mit Verlängerungsschnur war noch nie so lebenswichtig wie heute. Deshalb vergessen wir nicht und denken daran: „Wir hören uns!“


Dieser Text erschien am 22. März 2020 in der NRZ

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